Mannheim. Teile ihrer Befestigung sollen in einer Uferstützmauer erhalten sein, andere Steine unter einer Aussichtsplattform. Zu sehen sind aber nur sechs behauene Sandsteinquader, leider meist bemoost, von Gebüsch zugewuchert und mit einer verblassten Gedenktafel versehen. Viele Menschen laufen hier, am Stephanienufer auf dem Lindenhof, achtlos vorbei. Dabei stehen dort die Reste einer Festung, in der Stadt- und Kirchengeschichte geschrieben worden ist zu einer Zeit, als Mannheim noch gar nicht als Stadt existiert: die Burg Eichelsheim.
Das Dorf Mannenheim, vermutlich um 500 als „Heim des Manno“ auf einem hochwassersicheren Landstrich am Rhein entstanden, erstreckt sich im Mittelalter auf die heutige Innenstadt und den Jungbusch. Um das Jahr 1600 geht man von rund 800 Einwohnern aus, mehr als die Nachbarorte. Aber nicht nur deshalb habe es „eine herausgehobene Rolle unter den kurpfälzischen Dörfern“ eingenommen, so Ulrich Nieß, gerade verabschiedeter Direktor vom Marchivum, sondern wegen seiner gleich zwei Zollburgen. Die seien „noch in den ersten Stadtplänen des 17. Jahrhunderts gut auszumachen“, als sie zu Vorwerken der Festung ausgebaut werden.
Restlos verschwunden ist „Husen“, 1140 erstmals erwähnt und später Burg Rinhusen oder Rheinhausen genannt. Sie liegt im Bereich der Schwetzingerstadt, woran noch die Burgstraße und die Rheinhäuser Straße erinnern. Im 13. Jahrhundert verliert sie schnell an Bedeutung als Zollstätte, weil der Neckar nach einem Hochwasser seinen Lauf ändert nun nicht mehr südlich, sondern nördlich von Mannheim in den Rhein mündet. Daher wird sie zu einem Gutshof, im 18. Jahrhundert Standort einer Mühle und im 19. Jahrhundert bei der ersten Stadterweiterung zum Wohngebiet.
Eigene Münze geprägt
Weitaus bedeutsamer dagegen ist die Burg Eichelsheim, die ihren Namen vom üppigen Eichenbestand rund um ihren Standort haben soll. Nachweisbar ist sie seit 1265, wenn auch zunächst als bescheidener Bau. Der aber erfährt laut Nieß „im Lauf der Zeit einen immer repräsentativeren Aus- und Umbau“. Daher findet sich sogar die Bezeichnung „Schloß Eicholzheim“ in alten Dokumenten, häufiger „Manneheim, die Veste off dem Ryn“ oder die Burg „auf dem Rhein“, auch wenn sie doch an seinem Ufer liegt.
„Die Vorstellung, Mannheim sei eine Veste, eine mächtige Burganlage, war im gesamten Römisch-Deutschen recht weit verbreitet“, so Nieß. Die Pfalzgrafen hätten sich hier gerne aufgehalten, auf der Durchreise oder um etwa auf der Insel Mühlau zu jagen. Die Burg sei „fast zu einer Nebenresidenz“ geworden und daher immer weiter ausgebaut worden. 1369 stiftet Pfalzgraf Ruprecht I. – bekannt als Gründer der Universität Heidelberg – daher sogar eine Burgkapelle, wobei für den Unterhalt des Kaplans die Landwirte aufkommen müssen, er aber ebenso Goldgulden als Anteile an den Zolleinnahmen erhält.
Nicht nur Kraft eigener Herrschaft, sondern ab 1356 auch dank einem Privileg von Kaiser Karl IV. können die zugleich in der „Goldenen Bulle“ zu Kurfürsten erhobenen Pfalzgrafen am Rhein kräftig kassieren – als Gegenleistung für die Freihaltung der Schifffahrtsrinne auf dem Strom. Jeder Kaufmann, jeder Schiffer, der die strategisch wichtige Stelle am Rhein passieren will, muss Abgaben entrichten – in Form von Waren, vorzugsweise Wein, oder Geld. Wer nicht spurt, wird geentert, beschossen oder versenkt. Und als 1388 Worms, Speyer, Mainz und Straßburg gegen den Zoll aufbegehren, soll Ruprecht kurzerhand 60 ihrer Knechte gefangen genommen und in einen glühenden Ziegelofen geworfen haben. Schließlich gelten die Rheinzölle über Jahrhunderte hinweg als wichtigste Einnahmequelle der Pfalzgrafen. Die Burg wird daher auch 1368 in einer Liste aufgeführt, was „auf ewig“ bei der Pfalz bleiben, nie verkauft oder verpfändet werden soll.
Wer viel Geld einnehmen will, muss notfalls aber auch Kleingeld herausgeben können. Urkunden belegen, dass es darüber öfter zum Streit zwischen der Burgbesatzung und den Schiffern gekommen sein soll. Daher dient die Zollburg ab 1390 auch als Münzstätte. Hier wird – erstmals auf (später dann) Mannheimer Gemarkung – ein Geldstück geprägt, angelehnt an den im Oberrheingebiet zu jener Zeit weit verbreiteten Straßburger Lilienpfennig und auch mit der von einem Perlenkranz umgebenen Lilie als Symbol versehen, aber mit weitaus geringerem Silbergehalt. Er hat einen Durchmesser von 15 Millimeter, ist nur einseitig geprägt und als „Mannheimer Pfennig“ heute noch bekannt, denn eine Nachbildung des Goldschmiedemeisters Reinhard Schütze verleiht der Freundeskreis Marchivum als Auszeichnung für Verdienste um die Stadtgeschichte.
Nicht nur Stadt, sondern Kirchengeschichte schreibt Burg Eichelsheim Anfang des 15. Jahrhunderts. Da kommt, zum ersten und einzigen Mal, ein Papst nach Mannheim – aber nicht freiwillig. Baldassare Cossa amtiert als sogenannter „Gegenpapst“ ab 1410 in Pisa als Johannes XXIII., dessen Titel später noch der 1958 bis 1963 amtierende rechtmäßige Inhaber des Stuhls Petri führt. Zugleich regieren in Rom und Avignon ebenso Männer, die den Titel „Papst“ und seine immense Machtfülle in Anspruch nahmen – es ist das Große Abendländische Schisma, die zeitweilige Spaltung der lateinischen Kirche.
Der deutsche König Sigismund will es überwinden und beruft 1414 das Konstanzer Konzil ein. Sigismund hofft auf eine Einigung und einen Papst, der ihn dann zum Kaiser krönt. Johannes XXIII. hofft, dass die anderen beiden Päpste unter dem Druck von Sigismund zurücktreten und er dann alleine Gottes Stellvertreter auf Erden ist. Aber die beiden anderen Amtsinhaber weigern sich, und Johannes XXIII. flieht aus Konstanz – in der Hoffnung, so sein Amt retten zu können.
Ausstellung zur Stadtgeschichte
- Gedenkstätte: Am Stephanienufer finden sich die Steinquader und eine Bronzetafel.
- Stadtgeschichtliche Ausstellung: Die Ausstellung zeichnet auf mehr als 500 Quadratmetern die über 400 Jahre alte Historie Mannheims multimedial und interaktiv nach. Der Bogen reicht von der Gründung der Stadt 1606/07 bis hin zur Gegenwart.
- Anschrift: Marchivum, Archivplatz 1 (Dammstraße/Ecke Bürgermeister-Fuchs-Straße), 68169 Mannheim
- Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr, am Montag geschlossen, an jedem Feiertag geöffnet außer 24. und 31. 12. Führung wöchentlich sonntags, 15 Uhr, Treffpunkt Foyer.
- Eintritt: Sieben Euro, ermäßigt 3.50 Euro, Familienticket zehn Euro, Schüler in Klassen zwei Euro. pwr
König Sigismund ist sauer, schaltet seinen Reichsrichter ein – als dieser fungiert der pfälzische Kurfürst Ludwig III. mit Sitz in Heidelberg. Dessen Männer fangen Johannes XXIII. im Raum Freiburg ein, setzten ihn am 3. Juni 1415 in Schloss Gottlieben am Bodensee fest. Da hilft dem Papst auch die Tarnung als Bediensteter des österreichischen Herzogs nicht. Wenige Tage später wird er nach Heidelberg gebracht und dort eingekerkert – wo ist offen. Mal heißt es, dass er in einem Verlies bei der Alten Brücke schmachten muss, mal ist von einem als Gefängnis dienenden Turm des Schlosses, „Seltenleer“ genannt, die Rede.
Als Kurfürst Ludwig III. indes zu Ohren kommt, dass ein Befreiungsversuch durch den Bischof von Mainz bevorsteht, handelt er schnell und lässt Johannes XXIII. im Frühjahr 1416 auf die Zollburg Eichelsheim am Rhein bringen. Die weist zu jener Zeit vier Rundtürme und ein bewehrtes Tor auf, ist von einem Wassergraben umgeben. „Nichts Gutes ist mir widerfahren“, jammert Johannes später über diese Zeit, in der er auch Gedichte verfasst. Die Kleider ganz schmutzig, das Bett zu kurz, karge Kost, der Wein sauer wie Essig, und ein Gespött der Leute sei er obendrein gewesen, schimpft er.
Im Januar 1419, nach hoher Lösegeldzahlung von 35 000 Goldgulden und Unterwerfung, begnadigt ihn der vom Konstanzer Konzil gewählte Papst Martin V. nicht nur, sondern ernennt ihn zum Kardinalbischof von Tusculum. Knapp ein Jahr darauf stirbt er in Florenz. Seine Gefangenschaft in Mannheim ist 200 Jahre später noch von Bedeutung, als Mannheim zum protestantischen Bollwerk gegen die katholische Liga ausgebaut wird. „So eilte Mannheim gemeinhin der Ruf voraus, einst dem Papsttum die Stirn geboten zu haben“, so Nieß – auch wenn Mannheimer selbst an Gefangennahme und Haft gänzlich unbeteiligt sind.
Doch bis zur Stadtgründung vergehen noch 200 Jahre, in denen von Burg Eichelsheim wenig überliefert ist – bis auf ein paar waghalsige Aktionen. So soll die Besatzung mal ein Ulmer Schiff gestoppt haben, weil der Kurfürst mit der Freien Reichsstadt im Streit lebt, dann mal ein spanisches Schiff, beladen mit Samt, Seide und Silber. Ein Teil vom Silber gibt die Burgbesatzung nicht zurück.
Eine enorm wichtige Rolle spielt die Zollburg dann bei der Mannheimer Stadtgründung. Kurfürst Friedrich IV, seine Familie, die Diener und Ministeriale übernachten auf dem Weg von Heidelberg hier, ehe sie am 17. März 1606 – bei einem heftigen Unwetter – beim Dorf Mannenheim den Grundstein für die Festung Friedrichsburg legen. Es solle „zu seinem, seines Volkes und Landes Schutz eine starke Feste mit Bollwerken“ sein und „eine Stadt, von Grund auf neu aufzubauen“, diktiert der Regent seinem Schreiber. Ihr werden am 24. Januar 1607 die Stadtprivilegien verliehen. Der Grundstein ist bis heute nicht gefunden worden. In der Burg sei danach lange gefeiert, der Festungsbau von hier geleitet worden sein. Die Quellen sind da aber dürftig. Es gibt nur eine Beschreibung, wonach auf der Burg „ein festliches Mahl abgehalten“ und dem „besonders gerühmten Mannheimer Wein lebhaft zugesprochen wurde“.
Die Burg Eichelsheim existiert dann nicht mehr lange. Im Dreißigjährigen Krieg beschießen Truppen der Katholischen Liga unter General Tilly, die von Seckenheim und Neckarau auf Mannheim zumarschieren, im September 1622 die imposante vierflügelige, durch ein Hornwerk (spitze Mauern) befestigte Burg. Der Mannheimer Festungskommandant Sir Horace Veer gibt den Vorposten auf und setzt ihn in Brand, aber Tillys Männer löschen die Flammen. Mehrfach geht es während des Dreißigjährigen Krieges hin und her, bis 1634 Schweden alles bis auf einen Wachturm sprengen, aber dann wird die Anlage doch wieder aufgebaut und befestigt.
Das „Milchgütchen“
Skurril mutet aus heutiger Sicht ein Ereignis 1684 an. Kurfürst Karl II., der Theater und üppige Festgelage liebt sowie gerne Schlachten nachstellt, lässt in den Resten der Zollburg eine Belagerung spielen – in Anlehnung an die Türkenkriege mit einer osmanisch kostümierten Besatzung. Mit seinem Tod 1685 stirbt der letzte pfälzische Kurfürst aus dem protestantischen Haus Pfalz-Simmern aus und die katholische Linie Pfalz-Neuburg kommt an die Macht. Der bald darauf ausbrechende Pfälzische Erbfolgekrieg (1688-1697) bedeutet dann die endgültige Zerstörung der Reste von Burg Eichelsheim.
Gelegentlich werden hier noch Schanzen angelegt, aber militärisch spielt das Gelände ab dem 19. Jahrhundert keine Rolle mehr. Fundamentmauern der einstigen Burg sollen nach zeitgenössischen Schilderungen aber noch lange sichtbar sein. Überliefert sind verschiedene Pächter, und zeitweise gelten die Reste der Burg als beliebtes Ausflugziel. 1884 entsteht hier das „Milchgütchen“, in dem man einen Liter frisch gemolkener Milch als Kur zur Erholung zu sich nimmt. 1890 wird stattdessen ein Ausflugslokal „Rheinpark“ errichtet, das über Damen-, Billard- und Speisesalon sowie Festsaal verfügt. Zeitweise treffen sich hier die Mannheimer Sozialdemokraten, fordern den Acht-Stunden-Tag und die Erklärung des 1. Mai zum gesetzlichen Feiertag – was aber noch lange dauert. Der „Rheinpark“ wird im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Nun gibt es leider nur noch die paar Quader als Erinnerung.
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