Mannheim. Der Adelige Orlando wird im Elisabethanischen England geboren und lebt als Mann - über mehrere Jahrhunderte hinweg, bis er eines Tages in einen tiefen Schlaf fällt, aus dem er nach sieben Tagen als Frau erwacht. Schriftstellerin Virginia Woolf hat die eponyme Figur ihres 1928 erschienen Romans „Orlando“ in Gestalt einer phantastischen Biografie bis in ihre eigene Gegenwart begleitet.
Frei nach Woolfs Werk inszeniert Milica Cortanovacki „Orlando“ als Schauspiel am Mannheimer Nationaltheater (NTM) - die Premiere steht am Dienstag, 16. Juli, im Studio Werkhaus auf dem Spielplan.
Cortanovacki, geboren 1996 in Kassel, schloss nach ihrem vorausgegangenen Amerikanistik-Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München noch den Studiengang Drama, Theater and Performance an der University of Sussex im englischen Brighton ab. Für ihre Abschlussinszenierung „He/Hymn“ wurde sie dort mit dem Sussex Drama Prize for Best Practical ausgezeichnet.
Seit 2022 ist Cortanovacki Regieassistentin am NTM, wo sie unter dem Dach der Format-Reihe „Ins kalte Wasser“ auch schon einen Theaterabend inszenierte. „Orlando“ markiert nun ihre erste reguläre Schauspielproduktion, mit der die junge Theatermacherin in Mannheim debütiert.
Gezeigt wird zugleich das Erfinden und das Erzählen der Geschichte
Virginia Woolfs Roman folgt seiner Titelfigur durch die Wandlungen der Jahrhunderte und Geschlechtsidentitäten. Cortanovacki beschäftigt sich in ihrer Inszenierung indes nicht nur mit der „Orlando’-Geschichte selbst, wie sie im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt, sondern ebenso damit, „wie dieses Buch überhaupt entstanden ist“; ein Roman, der - mit Blick auf Woolfs Beziehung zu Schriftstellerin Vita Sackville-West - auch als der „längste und bezauberndste Liebesbrief in der Literatur“ bekannt ist. Als diese Beziehung zwischen beiden indes „nicht funktionieren konnte“, erläutert Cortanovacki, habe Woolf versucht, „sie zu halten, dadurch, dass sie sie in diese Orlando-Figur geschrieben hat“.
In der Mannheimer Aufführung verkörpern die NTM-Ensemblemitglieder David Smith und Antoinette Ullrich Virginia und Vita - respektive Orlando: „Wir erleben auf der Bühne das gleichzeitige Erfinden, aber auch Erzählen dieser Geschichte“, führt Cortanovacki aus. „Es wird sehr viel ums Schreiben an sich gehen“, fährt sie fort, aber auch darum: „Was heißt es, zu welcher Zeit ein Mann zu sein, was heißt es, zu welcher Zeit eine Frau zu sein?“ Wobei sie diese Fragestellungen nicht nur Gender-spezifisch ausleuchtet, sondern sich überdies mit den Aspekt befasst, im einen wie im anderen Fall zugleich weiß und privilegiert zu sein.
Ein queerpolitischer Kommentar gegen Homo- und Transphobie
Dabei lässt Cortanovacki ihren „Orlando“ unter Wasser spielen, in der End- und Zeitlosigkeit des Ozeans - die Bühne richtet Keiko Nakama ein, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet. In der Fischwelt gebe es sehr viele Spezies, „die auch sich schlafen legen und dann als neues Gender wieder aufstehen“, erläutert die Regisseurin, die den Blick für die ungeheure Vielfalt von Geschlechtern, von „Lebens- und Liebesformen“ weiten und damit zugleich einen queerpolitischen Kommentar gegen Homo- und Transphobie setzen will.
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