Schauspiel

"Der Graf von Monte Christo" bei den Schlossfestspielen in Heidelberg

Mit dem „Grafen von Monte Christo“ hat am Freitag das Abendprogramm der Heidelberger Schlossfestspiele im ausverkauften Schlosshof begonnen. Aus dem umfangreichen Literaturklassiker wurde ein schnelles Bühnenstück

Von 
Frank Barsch
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Dantès (Steffen Gangloff, l.) und sein Gegenspieler, Staatsanwalt Gérard de Villefort (André Kuntze). © Susanne Reichardt

Heidelberg. Pünktlich zum Beginn der epischen Geschichte um Liebe, Intrige und Rache hat sich die isländische Kaltluft verzogen. Der Himmel zeigt sogar etwas Blau, als die Musiker von „Les marins fous“ (Johannes Zimmermann an Klavier/Akkordeon, Tobias Nessel am Schlagzeug und Katharina Gross am Bass) einziehen und mit einer schrägen Marseillaise auf das Spektakel nach Alexandre Dumas einstimmen.

Die Bühne im Schlosshof erinnert an ein Schiff oder einen Hafen: ein Ausguck, ein Steuerrad, schäbige Kisten, Lichterketten, die Takelage andeuten, und eine lange Treppe für effektvolle Auftritte. Der erste Teil der Geschichte spielt in Marseille und dem Château d’If, einer berüchtigten, ausbruchssicheren Kerkerinsel vor der Stadt.

Auch wenn die Temperaturen im Schlosshof noch einige Grad vom französischen Mittelmeerfeeling entfernt sind und die unfehlbare Wetter-App zwanzig Prozent Regenwahrscheinlichkeit anzeigt, ist die Stimmung gut, schließlich beginnt gerade für Publikum und Darsteller die entspannteste Phase der Spielzeit.

Chefdramaturg des Heidelberger Theaters mach aus umfangreichem Roman ein schnelles Theaterstück

In seinem von 1844 bis 1846 erschienenen Fortsetzungsroman nimmt Alexandre Dumas die Erzählweise der gerade omnipräsenten Serien vorweg. Von Anfang an hangelt sich sein Held von Cliffhanger zu Cliffhanger. Jürgen Popig, Chefdramaturg des Heidelberger Theaters, hat aus dem umfangreichen Roman ein schnelles Stück herausgelöst.

Zusammen mit Katja Wolf, einer im Musik- und Freilichttheater erfahrenen Regisseurin, setzt er auf die komischen Elemente, die Dumas’ düstere Story hat. Zeitweise steigert sich das Tempo bis ins Screwballhafte: ausgreifende Bewegung, genaues Timing, blitzschnelle Dialoge. Immer wieder verstärkt und gebrochen durch die musikalische Untermalung von „Les marins fous“ und die Gesangseinlagen des Ensembles.

Der Stoff für die Intrige gegen den unerfahrenen Ersten Offizier der „Pharao“ ergibt sich aus einem Gefallen, den Edmond Dantès (Steffen Gangloff) seinem am Hirnfieber sterbenden Kapitän erweist: Er soll dem verbannten Napoleon, der eine trotzige Version von Rio Reisers „König von Deutschland“ vor sich hin nörgelt, einen Brief übergeben. Bei der Gelegenheit bittet ihn der Staatsfeind Nummer eins, ein anderes Schreiben an eine bestimmte Pariser Adresse zuzustellen.

Als es für Dantès richtig gut läuft, kommt der Neid ins Spiel

Zurück in Marseille scheint es für den bodenständigen Sunnyboy Edmond Dantès richtig gut zu laufen. Sein Reeder ernennt ihn zum Kapitän und die schöne Katalanin Mercédès (Lisa Förster) will ihm ihr Jawort geben. Sie singen sich in den siebten Himmel und eine unerschütterliche Treue hinein.

Doch jetzt kommen Neid, Eifersucht und Herzlosigkeit ins Spiel. Eugène Danglars (Hendrik Richter) wäre gerne Kapitän geworden, Fernando Mondego (Simon Mazouri) liebt Mercédès und Gaspard Caderousse (Hans Fleischmann) ist generell auf seinen Vorteil bedacht. Ein anonymer Brief über die Nähe von Dantès zu Napoleon landet beim neuen Staatsanwalt.

Der Karrierist Gérard de Villefort, den André Kuntze mit dem entsprechenden Sound in einen roboterhaft psychotischen Juristen verwandelt, entpuppt sich als eigentlicher Gegenspieler von Dantès. Im Verhör stellt sich heraus, dass der Brief an Villeforts Vater gerichtet ist.

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Und das in einer politischen Situation, in der noch nicht geklärt ist, ob Gehorsam als Tugend belohnt oder als Laster verurteilt werden wird. Kurzerhand lässt er Dantès im königlichen Guantanamo verschwinden. Sein Mitgefangener Abbé Faria erklärt ihm die Intrige und vermacht ihm einen Schatz. Nach vierzehn Jahren flieht Dantès spektakulär. Ende der ersten Staffel.

So tief wie sein Fall, so gnadenlos und von biblischem Ausmaß wird seine Rache sein. Dantès verwandelt sich in den Grafen von Monte Christo. Er sei Multimillionär, ja, sogar Milliardär mutmaßt die feine Pariser Gesellschaft, zu der seine ehemaligen „Freunde“ gehören. Mittlerweile ist Techno angesagt, der Rhythmus der neuen dekadenten Liberalen.

Die Lichterkette auf der Bühne zuckt in Weiß und Blau und Rot. Der Staatsanwalt versteckt unter seiner bürgerlichen Maske ein queeres Geheimnis, Fernando trägt eine Jacke mit leicht faschistischen Mustern. Eugène Danglars ist erfolgreicher Spekulant. Nur Mercédès erkennt Dantès und bittet ihn, von seiner Rache abzulassen.

Abschied mit Rio Reiser und Zugabe im Regen

Doch Dantès zieht seinen Plan durch. Als de Villefort gerade wahnsinnig geworden ist, setzt ansatzlos der Regen ein. Steffen Gangloff gibt den Zuschauern zwei Minuten, um die Regensachen anzuziehen, und sagt kurz den Stand bei der EM durch.

Dann geht es weiter: Danglars würgen, aber nicht erwürgen, noch einmal über die steile, nasse Leiter im halsbrecherischen Tempo auf den fünf Meter hohen Ausguck und ein Abschiedslied schmettern. Dabei erweist sich Gangloff nicht nur als tollkühner Seemann und Rächer, sondern auch als erstklassiger Sänger. Das Ensemble verabschiedet sich mit Rio Reiser: „Halt dich an deiner Liebe fest.“ Zugabe im Regen.

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