Nationaltheater

Zweigeteilt: Jubel für Tanzpremiere in Mannheimer Nationaltheater

"Where we belong": Die Spanierin Alba Castillo und der Israeli Roy Assaf nahmen diese Fragestellung als Gastchoreographen wörtlich, setzen sie aber für die Bühne des Alten Kinos Franklin ästhetisch höchst unterschiedlich um

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Paloma Galiana Moscardó (v. l.), Albert Galindo, Emma Kate Tilson und Dora Stepusin in „La Salita“ von Alba Castillo. © M. Borchardt

Mannheim. Wo gehören wir hin? Diese Frage stellte NTM-Tanzintendant Stephan Thoss - in englischer Sprache - seinen choreographierenden Gästen sozusagen als Arbeitsaufgabe für den neuen Doppelabend „Where we belong“. Beide, die Spanierin Alba Castillo und der Israeli Roy Assaf nahmen diese Fragestellung wörtlich, setzen sie aber für die Bühne des Alten Kinos Franklin geografisch wie ästhetisch höchst unterschiedlich um. Das ist zunächst nicht erstaunlich, sind individuelle Handschriften zweier künstlerischer Individuen an sich schon selbstverständlich. Doch, was vor und nach der Pause am Nationaltheater auf Franklin zu sehen ist, trennt Welten.

Ein wenig zu wörtlich nimmt Alba Castillo den Auftrag. Mit ihrer Uraufführung „La Salita“ (das Zimmerchen), beschäftige sie sich als Choreographin erstmals mit ihrer Heimat Spanien, wie sie im Programmheft verrät. Es gehe ihr um die Feinheiten menschlicher Beziehung, die Widerstandsfähigkeit, die neue Anfänge erforderten, und um eine „introspektive Reise durch den Reichtum unserer eigenen Geschichte“.

Alle Infos zum Tanzabend

 

  • Der Zweiteilige Tanzabend „Where we belong“ mit Choreographien von Roy Assaf und Alba Castillo ist wieder am 9., 18. und 25. Mai sowie am 8., 17. und 23. Juni zu sehen.
  • Der Spielort Altes Kino Franklin ist zu erreichen mit der Straßenbahnlinie 5 (Achtung: nicht 5a!) Richtung Weinheim, Haltestelle „Platz der Freundschaft“.
  • Karten zwischen 12 und 36 Euro (ermäßigt 6, 50 bis 18,50 Euro) unter 0621/16 80 150. rcl

Nun ja, es beginnt mit Paso doble und ihre Bilder sehen eher nach Retrospektive spanischer Bürgerkriegsmotive aus. Im Requisitenfundus der 1930er Jahre lässt sie das Mannheimer Ensemble individuell in kollektiver Einsamkeit von Tischen und Stühlen rutschen. Wohnzimmer- und Küchenszenen zerfließen in ummauerter Einfachheit. Nebel steigen auf, ein beunruhigender Telefonanruf kommt an. Choreographisch verbunden ist das Ganze durch kunstvoll reduzierten Minimalismus eines ständigen und eher langsamen Aufstehens, Hinsetzens und Niederlegens.

Kurioses Tanztheater zum Spanischen Bürgerkrieg

Ästhetisch ist das Alles im Geiste von Pina Bauschs großem Tanztheater angelegt. Doch wer das Genre Tanztheater wählt, sollte auch eine verständliche Geschichte zu erzählen haben. Das hat Alba Castillo nicht wirklich. Ihr Zusammenfinden zur Gemeinsamkeit, vielleicht gar zum Aufstand, mündet in ein großes Feuerwerk namens Krieg, das bekanntlich immer traurig endet. Da hebt auch kein Cha Cha („Quizás, Quizás, Quizás“) die Stimmung. Emma Kate Tilson tanzt dazu gut, wirkt aber sichtlich unterfordert.

Zum Finale, umreißen wir es mal als „Widerstand in kollektiver Auflösung“, liegt die Truppe als Gruppe am Boden. Zuvor haben Albert Galindo und Arianna Di Francesco die schönste Paarszene des ersten Teils, leider bringen uns ihre gesprochenen Texte in der Geschichte auch nicht weiter.

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Tanz ist spezialisiert auf erfühlbare Umsetzung abstrakter Themen. Hier wird er leider in ein Klischee spanischer Franco-Finsternis gedrückt, das Ergebnis: 45 Minuten, eher bieder und zäh bis langweilig.

Finsternis hätte man mit Blick auf die Themen-Setzung „Herkunft und Zugehörigkeit“ da wohl eher beim Israeli Roy Assaf vermuten können, der nach der Pause den zweiten Teil bestreitet. Doch er fasst die Begriffe enger und biografischer. Weder historische Vergangenheitsbewältigung noch aktueller Gazakrieg prägen seine Uraufführung „Point of Principle“ („Grundsatzfrage“).

Die Antworten lässt er seine Tänzerinnen und Tänzer selbst geben. Seine und deren Heimat ist das Ballett. Assafs Muster für die individuellen Solistenauftritte ist dabei so einfach wie unterhaltsam: „Ich liebe Ballett, weil ...“ Und dann sprudeln sie los, all die, die schon seit ihrem fünften Lebensjahr für den Tanz - und zunächst das Klassische Ballett - leben: „Weil die Musik so schön ist“, „Weil ich ein Tutu wollte“, „Weil es besser als Psychotherapie ist“, „Weil mich meine Mutter angemeldet hat“, „Weil es die Figur erhält.“

Darin liegen viel Humor und Selbstironie, was erfreulicherweise auch für Assafs Choreographie gilt, die Moderne launig mit Positionen des Klassischen Balletts verbindet. Wenn Jessica Liu und Reiko Tan in Klappmesser-Lage am Boden liegend wieselflink mit den Füßen Battus in der Luft schlagen, ist das nicht nur zauberhaft, sondern verrät auch viel über die gefühlte Freude an der eigenen Bewegung. Shaun Patrick Ferren erweist sich in langen Demi-Point-Streckungen, also „in halber Spitze“ auf den Ballen nicht nur als Fitnessfreak, sondern auch als lakonischer Meister der Ironie.

Die „Leidensgeschichte des Tanzes“ wird mit Humor erzählt

Bach, Beethoven und Brahms perlen und schwelgen, während Pascal Michael Schut und Joseph Caldo lustvoll über „Blut, Schweiß und Tränen“ referieren und dabei paarweise en passant figurativ den halben „Schwanensee“ durchschwimmen. Erzählt wird mit viel Herzblut also auch die „Leidensgeschichte des Balletts“, von der Tücke der Perfektion, der Härte des Trainings, der Angst vor dem Scheitern.

Den Vogel schießt zum Finale Humorbegabung Lorenzo Angelini ab, wer sonst? Er liebt das Ballett sein Leben lang, aber es scheint ihn trotz Training und Leidenschaft fehlender Körpergröße wegen nicht „zurück zu lieben“. Ein Irrtum, wie sich bald zeigt. Wie ein Derwisch dreht er Pirouetten, zeigt Sprünge und Arabesken, bis der Saal tobt. Das Ballett hat ihn längst mindestens so gerne wie das Publikum ...

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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