Mannheim. Manchmal ist das Große so groß, dass ein kleineres Format zur Annäherung daran geeigneter scheint. Und groß ist die Jubiläumsausstellung „Neue Sachlichkeit“ in der Kunsthalle wahrlich. Kunstgeschichtlich so stilprägend, umfangreich und bedeutend, dass auch lokale Kulturkollegen die besondere Schau mit einem genreübergreifenden Begleitprogramm würdigen, das noch bis zum 9. März das bewirbt, was es zu feiern gibt: „100 Jahre Neue Sachlichkeit – Die 1920er Jahre in Mannheim“.
Unter vielen anderen trägt nun auch das Theater Felina-Areal in der Neckarstadt-Ost sein Scherflein bei. Hier, im Hinterhof der Damenwäsche-Fabrik, entstand ein Ort, wo freie Tanzkünstlerinnen und -künstler unter Koordination und Leitung von Sascha Koal ein lauschiges, unprätentiöses und geschütztes Theaterlabor für Projekte, Experimente und kleinteilige Kooperationen fanden, das bei Tanzschaffenden und Tanzfreunden gleichermaßen beliebt ist. Unter dem ein wenig pompösen Titel „Tanz Puls Rhythmus Metropolis“ gibt es zwei Abende, in denen sich Tänzerinnen und Choreographen, teilweise auch in Doppelfunktion, nun mit den weniger „Goldenen“ als doch vielmehr „Wilden“ Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts körpersprachlich beschäftigen.
Die Tanzabende
Im Rahmen der Kooperation „100 Jahre Neue Sachlichkeit – Die 1920er Jahre in Mannheim“ mit der Kunsthalle zeigt das Theater Felina-Areal, Holzbauerstraße 6-8, zwei Tanzabende unter dem Titel „Tanz Puls Rhythmus Metropolis“.
Der erste Teil ist dort wieder zu sehen am Freitag, 17. Januar, 19 Uhr, sowie am Samstag, 18. Januar, 18 Uhr.
Premiere des zweiten Teils ist am Donnerstag, 23. Januar, 19 Uhr. Weitere Aufführungen am 25. Januar, 18 Uhr, und 28. Januar, 19 Uhr. Karten unter 0621 / 33 64 88 6 oder karten@theater-felina-areal.de. rcl
Amelia Eisen und Mike Planz steigen im Felina-Studio mit „Juxta Junction“, also „benachbarter Lage“, konzeptionell bewusst kleinformatig ein. Hier braust eine originale Akustikversion von George Gershwins „Rhapsody in Blue“ über den liegenden Körper des Tänzers Mike Planz, einem ausgewiesenen Spezialisten für sensible Kleinteiligkeit. Mit Gershwins Klavierspiel werden zunächst seine Finger zum Leben erweckt, seine verrenkten Gliedmaßen folgen nach, tanzen und trippeln solistisch in eine weite Welt, die bereits damals in verschiedene Richtungen strebte. Während es zwischen Kommunismus und Faschismus zu lodern beginnt, flüchtet sich die Gesellschaft in einen flitterseligen, verdrängenden Gute-Laune-Tanz auf dem Vulkan.
Morphium, Charleston und endlich auch ein neues Frauenbild
Folgerichtig sehen wir nach einem Ortswechsel vom Studio ins Theater „Bodies of Light“ von Luisa Badronova und Mareike Villnow, die das Solo auch tänzerisch bestreitet. Zu Antonio Russolos „Serenata“ (1924), Mischa Spolianskys „Morphium“ (1928) und Alfredo Casellas „Pupazetti“ (1920) zeigt sie als souveränes „kunstseidenes Mädchen“ automatenhafte Annäherungen an ein kaltes Metropolis im grellen Neonlicht.
Zu Bubikopf und Marlene-Hose führt uns danach Sarah Wunsch mit „Körperwandel“. Ein wenig zu akademisch vortragend beschäftigt sie sich mit den Frauen- und Körperbildern jener Zeit, was schließlich auch die Ausstellung in der Kunsthalle leistet. Sarah Wunsch bezieht sich aber auf die Geschichte des Tanzes, tanzt charmant Anna Pawlowas „Sterbenden Schwan“, spricht von Rudolf von Labans Künstlerkolonie und dessen Schülerin Mary Wigman, deren epochalen „Hexentanz“ sie nicht minder gekonnt zum Besten gibt.
Mit „Dissolve“ geht Choreograph Mike Planz noch konkreter in die Ausstellung und beschäftigt Marzena Buchwald und Joelina Rietsche zu Barrios Mangorés „La Catedral“ (1921) sensibel und kleinteilig mit Otto Dix sechs Originalradierungen „Tod und Auferstehung“.
Als wahres Charleston-Talent erweist sich Doris Lingenau in „It’s a Boom!“. Zu Tanzmusik der 1930er Jahre wirbelt sie grandios durch die Wirtschaftskrise von damals: „Money makes the world go around“.
Der kleine und der große Wurf zu Musik der Zwanziger Jahre
Louis Armstrong (1928) und Heitor Villa-Lobos (1925) erklingen zu Cedric Bauers „The inevitable fate“, einer subtilen Analyse der Selbstfindung wie der damaligen Arbeitswelt. Cara Hopkins und Veronika Kornova-Cardizzaro umkreisen und kreuzen sich, finden in exakter Synchronie zusammen, um sich final beim stumpf automatisierten Hammerschlag am Fließband wiederzufinden. Ohne Geld ist das menschliche Schicksal eben unvermeidlich …
Zum großen Finale lädt Vladimir Staicu. Für sich und seine Kolleginnen Charlotte Fenn und Carla Torrisi greift er zu Streichquartetten von Theodor W. Adorno, Franz Schreker und Hanns Eisler, bemüht maltechnische Dimensions- und Perspektivwechsel und nennt seinen Beitrag „Neue Neue Sachlichkeit“, bleibt aber in der Tanzsprache rudimentär klassisch und stellt dazu ein dreiteiliges Gemälde auf die Bühne. Damit will er zu viel und versandet choreographisch in schwammiger Beliebigkeit. Zu sehen und zu hören sind für Kunstfreunde insgesamt 100 Minuten voller sehr konkreter Auseinandersetzungen mit der Kunsthallenschau und thematische Ergänzung mit Überraschungen.
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