Mannheim. Dass Ausnahme-Schlagzeuger in der Musikregion um Mannheim längst die Regel sind, hat nicht erst seit Udo Dahmens Wirken an der Popakademie Tradition – und liegt auch an seinem Einfluss auf die Szene: Ralf Gustke. Und der 60-Jährige geht auch im fünften Karrierejahrzehnt weiter neue Wege: Am Wochenende startet sein x-tes Projekt, die neue Trio-Formation des Söhne Mannheims Jazz Department im Schatzkistl.
Mutig ist er auch: Am 14. Juni tritt er quasi gegen das Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft an, mit Gastgeber Deutschland und Schottland – traditionell einer der Fernsehtermine mit der höchsten Einschaltquote. Aber auch das Team Gustke hat spielfreudige Stars im Aufgebot: Neben seinen altgedienten Söhne-Mitstreitern Kosho (Gitarre) und Edward Maclean (Bass) als Stammformation werden Star-Trompeter Joo Kraus und der vielfach ausgezeichnete Jazz-Pianist Martin Sörös erwartet. Und am 15. Juni gibt es im Schatzkistl noch ein „Wiederholungsspiel“ ohne Konkurrenz von Kroos, Musiala, Wirtz und Co.
Die Karriere begann im Nußlocher Spielmannszug mit zehn Jahren
Gustke ist trotz des Status als einer der besten deutschen Drummer niemand, den es in die Öffentlichkeit drängt. In einem seltenen Interview abseits der Fachpresse für Instrumentenkunde hat der jüngst zu seiner Traum-Schlagzeugmarke Gretsch gewechselte gebürtige Heidelberger beim Redaktionsbesuch seine Karriere Revue passieren lassen.
Sie beginnt im Spielmannszug in Nußloch – mit zehn Jahren, auf der Landsknechttrommel. „Erst mit 16 fing ich an, Schlagzeug zu spielen.“ An einen richtigen Initiationsmoment, der seine Musikbegeisterung auslöst, kann sich Gustke nicht erinnern: „Ich war aber früh auf vielen Konzerten und habe gestaunt, was die Schlagzeuger da so machen.“
Die ersten Platten: Bachman-Turner Overdrive und Deep Purple
Seine erste Platte stammt von Bachman-Turner Overdrive, „You Ain’t Seen Nothing Yet“. „Dann kam auch gleich ,Made In Japan’ von Deep Purple. Von da an war klar: Schlagzeug ist ziemlich vorn. Ich muss das machen.“ Aber er habe wahnsinnig viel quer gehört – von Gentle Giant über Frank Zappa (viel!) bis Miles Davis und Latin. Steely Dan wurden irgendwann zur großen Liebe – „gute Songs und geile Grooves. Aber Jazzrock und Jazz, allerlei Kopfmucke habe ich rauf und runtergehört. Das ist heute immer noch so – von Hardcore über Drum ’n’ Bass bis Dubstep, dann auch wieder Norah Jones oder Foo Fighters. Hauptsache, die Musik ist ernst gemeint.“ Das erklärt, warum Gustke bis heute in allen erdenklichen Stilen sattelfest ist.

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Lehrer gab es einige, vom Tanzmusiker Claus Broch aus Bruchsal bis zum Speyerer Johannes Fries. „Aber im Prinzip habe ich selber geackert. Immer!“ Schon mit 16 gründet Gustke mit Nachbarjungs eine erste Band: Great Flood. Zu den ersten Konzerten in Leimen kommen Musiker einer Wieslocher Deutschrock-Band, die passenderweise Sintflut hieß. „Diese Band hatte einen blinden Schlagzeuger, der umziehen musste. Dann haben sie mich gefragt. Das war dann die erste semiprofessionelle Sache.“
Zebra und Co.: Immer wieder Teil von All-Star-Bands aus allen Szenen der Region
Mit Halbheiten hält sich der rhythmische Überzeugungstäter aber nicht lange auf: „Ich bin jemand, der immer gern mehrere Bälle in der Luft hat – sprich Projekte.“ Und so entsteht fast gleichzeitig in Heidelbergs Unterer Straße 1980 mit Sänger Hartmut Höfele von der Folkrock-Band Zugvogel, dem späteren De-Phazz Mastermind Pit Baumgartner, Grönemeyer-Gitarrist Stephan Zobeley ein Projekt, das heute eine regionale All-Star-Truppe wäre. Der Name: Gute Laune. Ein kurzer Weg zu Sanfte Liebe, seiner ersten Kooperation mit Kosho und der brillanten Frontfrau Barbara Lahr, die 1989 den Deutschen Rockpreis gewann? „Mehr oder weniger ja. Dadurch habe ich natürlich die Mannheimer Szene kennengelernt und erste Auftritte in der Alten Feuerwache gespielt.“
Von Gute Laune über Sanfte Liebe zu 3P und den Söhnen Mannheims
- Ralf Gustke wurde am 8. Mai 1964 in Heidelberg geboren und ist in Nußloch aufgewachsen.
- Mit 16 begann er als Schlagzeuger in Bands zu spielen wie Gute Laune, Pink und Pur, Komazu Baumaschinen GmbH, Zebra und Sanfte Liebe, die 1989 den Deutschen Rockpreis gewannen.
- Nebenher absolvierte Gustke eine Lehre als Energieanlagenelektroniker bei den Rudolf Wild Werken und ab 1988 Zivildienst.
- In den 1990ern spielte er als Studio- und Livemusiker u.a. für Chaka Khan, Edo Zanki, Wolf Maahn, Six Was Nine, Barclay James Harvest, Georg Danzer , Gianna Nannini, Schiller oder Nena.
- 1997 wurde Gustke Teil der Band von Moses Pelhams Label 3p. Dort spielte er u.a. für Sabrina Setlur, Glashaus und Xavier Naidoo. Seit 2000 ist er Mitglied der Söhne Mannheims. Zuletzt erschienen das siebte Album „Kompass“. und - ganz frisch - die Digital-EP „Wir singen weiter“ 2019 gründete er das Söhne Mannheims Jazz Department mit.
- Dessen neue Trio-Besetzung feiert am 14. und 15. Juni jeweils um 20 Uhr Premiere im Schatzkistl mit Trompeter Joo Kraus und Pianist Martin Sörös. Karten für 34,50 Euro unter schatzkistl.de.
Da ist viel Avantgarde dabei, vor allem die Komazu Baumaschinen GmbH: „Da traf Jazz auf Free Jazz, wir haben viel Albert-Ayler-Zeug gespielt, Caravan ... Erwin Ditzner war da auch dabei. Wir waren zwei Schlagzeuger.“ Wie später bei den Söhnen Mannheims. Noch so eine regionale Talentauswahl. Wie auch die Heidelberger Band Zebra mit Gustke, Zobeley, Bassist Gigu Neutsch und Jazz-Saxofonist Rainer Heute, die den US-Star Chaka Khan auf dem Weg nach oben mitbegleitet.
Von Wolf Maahn, Chaka Khan oder Gianna Nannini zu Xavier Naidoo
Ende der 80er Jahre läuft vieles simultan, „es ging ab wie Sau“. Über Grönemeyer-Drummer Armin Rühl kommt Gustke 1988 zu Wolf Maahns Deserteure-Nachfolgeband, für den er u. a. 1984 das „Unplugged“-Album „Direkt ins Blut“ einspielt. Damals wird – im Kölner Proberaum von BAP – ein einwöchiges Drummer-Casting veranstaltet. „Danach wurde ich viel herumgereicht“ – Gustke passt einfach in alle Szenen, 1994 auch zu den Frankenthaler Senkrechtstartern Six Was Nine – die Liste könnte man zwischen 1990 und 1996 fast beliebig fortsetzen: Georg Danzer, Gianna Nannini – später Schiller oder Nena.

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Trotz alledem gilt Gustke national als Drummer Xavier Naidoos und der 1995 erdachten Band Söhne Mannheims. Als sich die Rhein-Neckar-Szene gegen Ende der 90er in der Heidelberger „Nachtschicht“ bei den Sessions von The Wright Thing noch stärker vernetzt, „habe ich auch den Herrn Naidoo getroffen.“ Zur selben Zeit hatte er noch ein Trio mit Gitarrist Ali Neander und Bassist Willi Wagner – „in Rodgau!“ Da ist der Weg zu Moses Pelham in Frankfurt-Rödelheim kurz. Der fragt eine Remix-Version von Sabrina Setlurs Hit „Du liebst mich nicht“ an – das ist die Geburtsstunde der Backing-Band von Pelhams Label 3p, bei dem Xavier Naidoo erst im Background singt und ab 1997 ganz groß heraus kommt.
"Ich war damals nach jedem Auftritt ein Pulverfass, weil ich den ganzen Laden zusammenhalten musste“
„Xavier rief dann irgendwann an, ob ich nicht Lust hätte, bei seiner neuen Band Söhne Mannheims mitzuspielen. Ich dachte erstmal: ,Hä, was ist das denn für ein Name?’“ Aber der Erfolg gibt ihm recht – Gustke ist ab 2000 auch bei den Söhnen fest im Boot und avanciert bei Naidoos Solo-Tourneen zum Musikalischen Direktor. Dass die Söhne mal seine Karriere prägen würden, war Gustke damals nicht klar: „Gar nicht, ehrlich gesagt“, erinnert er sich lächelnd. „Ich war damals nach jedem Auftritt ein Pulverfass, weil ich den ganzen Laden zusammenhalten musste“, beschreibt er das kreative Gewusel mit fast 30 Musikern bei ersten Konzerten wie in Mosbach im Februar 2000.
Mit den Söhnen hat er fast alles mitgemacht – vom Hochspielen zur erfolgreichsten Band in Deutschland mit dem Album „Noiz“, dass nach 72 Wochen Platz eins der Jahrescharts 2005 belegte, über mauere Phasen ohne Naidoo und eine eigene Auszeit, die ihm das Drama um das politikerfeindliche Lied „Marionetten“ ersparte – bis zum Wiedereinstieg im Jahr 2019.
Wenn man in so vielen Bands als Schlagzeuger gespielt habe wie er, sei man auf der einen Seite Dienstleister. „Auf der anderen Seite sucht man nach seinem eigenen ,Was will ich eigentlich? Wer bin ich denn eigentlich?’ Bei den Söhnen habe ich immer frei Schnauze gespielt und ein bissel was ausprobiert. Das war eine Spielwiese, auch meine Spielwiese.“
Sein Ziel: Mit den Söhnen als eigenständige Marke durchstarten
Die 2019 neu formierten zehnköpfigen Söhne Mannheims sind für Gustke nicht nur einer von vielen Bällen in der Luft: „Auch wenn ohne Xavier zunächst viele Fans abgesprungen waren, haben wir jetzt mit Dominic Sanz, Michael Klimas, Metaphysics und den neuen Stimmen Karim Amun und Giuseppe Porrello eine sehr starke Konstellation. Ich sehe die Chance, als eigenständige Marke in die Zukunft durchzustarten.“ Davon gebe es in der Musikindustrie immer weniger. „Von daher muss ich einfach die Fahne hochhalten. Nach dem Motto: Wir sind Musiker! Und nicht irgendwelche Typen, die im Studio mal schnell was zusammenbauen. Und auch nach all den Jahren habe ich immer noch große Lust, Musik zu machen.“ Das wird er im Schatzkistl demonstrieren.
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