Mannheim. Eine Istanbuler Häuserzeile und das Fördergerüst einer Ruhrgebiets-Zeche, der Bosporus neben einem Erdbeerkuchen, eine prilblumengemusterte Tischdecke und ein orientalisches Mosaik: Die überdimensionale Collage an der schwarzen Rückwand (Bühne Linda Johnke) schafft einen plakativen Rahmen für Akin Emanuel Sipals deutsch-türkisches Familienstück „Mutter Vater Land“. Mit nur einer schmalen Sitzbank und zwei kleinen Hockern ausgestattet, lässt die Bühne viel Raum für die Figuren von Sipals autobiographischer Reise in die komplizierte Familiengeschichte dreier Generationen.
Wie in einem Familienalbum blättert Sipal mit kurzen Szenen aus unterschiedlichen Jahrzehnten die ungewöhnliche Beziehung seiner Großeltern auf. Über 50 Jahre führten der anerkannte türkische Übersetzer und die aus Schlesien geflohene Großmutter eine deutsch-türkische Fern-Ehe zwischen Istanbul und Wanne-Eickel. Mit all ihren Brüchen und Identitätsfragen beeinflusst diese Beziehung auch die Folgegenerationen - den deutsch-türkischen Vater, die türkischstämmige, in Deutschland aufgewachsene Mutter und auch den Enkel, das Alter Ego des Autors.
Eine Art Kommentarebene geschaffen
Das Ringen der intellektuellen Familie mit Gastarbeiter-Klischees. Was ist türkisch, was ist deutsch? Wie will man gesehen werden? Sipal beleuchtet hier keine ganz und gar neuen Themen, jedoch nimmt er sich dieser aus einer ungewöhnlichen und sehr persönlichen Perspektive an. Die eigentliche Meisterschaft aber liegt in seiner sprachlichen Finesse, die an vielen Stellen eine Art Kommentarebene schafft, wenn kunstvoll elaborierte Ausdrucksweise und endlose Konjunktiv-Schleifen jedes Vorurteil vom vermeintlich „tumben, des Deutschen nicht mächtigen, türkischen Gastarbeiters“ ad absurdum führen.
Das Theaterhaus G 7 hat sich mit diesem anspruchsvollen Stück literarischen Sprechtheaters für die erste Premiere der Saison ziemlich viel vorgenommen. Und das gut aufgestellte Ensemble (Susanne Berckhemer, Thomas Cermak, Mounir Saidi, Bernadette Evangeline Schlottbohm und Maximilian Wex) meistert auch die Herausforderung blitzschneller Szenen- und Stimmungswechsel, komplexer Monologe und emotionaler Szenen hervorragend. Doch hätte der Inszenierung (Regie Inka Neubert, Dramaturgie Philipp Bode, Choreografie Catherine Guerin) an mancher Stelle etwas weniger Tempo und die ein oder andere Kürzung zu Gunsten der Verständlichkeit gutgetan, um in manch rasanter und amüsanter Dialogschlacht nicht den inhaltlichen Faden zu verlieren.
Dennoch gelingen Inka Neubert und ihrem Team ein insgesamt guter Saison-Auftakt mit einem aktuellen Thema, das durch eine berührende persönliche Geschichte vielfach auf die aktuelle Realität der multikulturellen Stadtgesellschaft zugreift.
Nächste Aufführungen: 23., 29. und 30.9., 20 Uhr
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