„Alles“, sagt Thorsten Danner irgendwann an diesem Abend, „was man mit Leidenschaft macht, hinterlässt eben auch Spuren im Körper. Oder im Leben.“ Das gilt für die Jugend im Fußballverein, für das Schlagzeugspielen in einer Post-Punk-Band – und genauso für die Schauspielerei. In himmelblauem Anzug mit Hemd und Krawatte, Schlangenlederstiefeln und Rucksack betritt er den Hof des Mannheimer Theaterhauses G 7, ein Stuhl steht da für ihn bereit, das war’s auch schon weitgehend in Sachen Bühnenbild und Requisite für seinen knapp zweistündigen Monolog. Autor Roland Spranger hat diesen Text dem Mannheimer Mimen Danner, der ab 2006 neun Spielzeiten lang Ensemblemitglied am hiesigen Nationaltheater gewesen ist, auf den Leib geschrieben – der Schauspieler ist hier gewissermaßen zugleich der Gespielte.
Der Stücktitel dürfte nicht von Ungefähr in knurrig anmutenden Großbuchstaben geschrieben sein, „DANNER“ lautet er, im Zusatz: „Maße des Wohlbefindens“. Und bei Danner (oder genauer: der Bühnenfigur DANNER) hat sich in langen Monaten der Pandemiepause offenbar einiges an Gedanken, Frustration und Unmut angesammelt. All das muss jetzt raus. Als Schauspieler lebe er nicht nur vom Applaus (und dem, was es in der Kantine gibt), sondern auch von der Gage, „deswegen ist es doppelt schön, dass Sie da sind“, heißt er das Publikum willkommen. Es gebe heute Abend auch keine Videoclips und andere „Regie-Einfälle aus den 80ern“, verrät er. „Da sind nur Sie und ich, quasi das letzte Aufgebot, was noch ins Theater geht und nicht auf Netflix ist.“
Querdenker gegen Queerdenker
„Da draußen herrscht Krieg“, nimmt er die Weltlage in den Blick: „Viren gegen Wirt“, „Bauern gegen Bienen“, „Querdenker gegen Queerdenker“. Ein Krieg, der nicht „auf der Playstation entschieden“ werde – „und auch nicht in der Schaubühne als moralische Anstalt“, muss sich Schiller ins Grab flüstern lassen. Die zeitgenössische Theaterlandschaft und ihre Textflächen-freudigen Autoren scheinen einen nicht geringen Anteil am Schwelbrand zu haben, der im Danner’schen Inneren zu glimmen scheint: Im deutschen Theater gebe es keine „Situationen“ oder „Beziehungen“ mehr, vielmehr nur noch „Zustände, Fragmente, Splitter, Eruptionen, Epilepsien“, analysiert der Mime. Er aber wolle „eine Rolle spielen. Ich will, so gut ich es vermag, einen Charakter darstellen“. Er wolle nicht „formal aufgebrochen“, nicht im dritten Akt wie „eine lebende Kanonenkugel im Zirkus durch die Decke auf die Metaebene geschossen“ werden und auch nicht „eins von neun Gretchen spielen“, schraubt Danner sich in flammendem Furor die Höllenkreise postdramatischer Theater-Verdammnis empor. „Ich will keine Distanz schaffen, ich will zum Leben erwecken! Zum Leben! Danner, der kleine Kultur-Jesus!“
Der Monolog, der auch ausgeprägte Kabarett-Züge in sich trägt, fühlt sich damit ein bisschen wie der Abgesang auf eine Theater-Ära an. Danner, Jahrgang 1968, sagt irgendwann den schönen Satz: „Auf Polaroids habe ich mich schon aufgelöst.“ Eine Pistole hat er auch mitgebracht, bedroht damit in freundlich-unbeholfener Manier das Publikum (kein Lachen an den falschen Stellen! Kein Bonbonpapier-Rascheln!), aber vor allem: das eigene Bühnen-Ich.
Reich an Verweisen
„DANNER. Maße des Wohlbefindens“ ist reich an Theater-, Pop- und Film-Zitaten, Textrezitationen und Verweisen, von Shakespeare, Jean Paul und Thomas Bernhard über „Taxi Driver“ bis zum genüsslich in die Publikums-Verwunderung geschmetterten Indie-Schlager „Jungen Mädchen“. Aus aller humoristisch ausgefeilten Wut und launig entgleisender Verzweiflung scheint da immer die Schauspielkunst und das grundsympathische Charisma des Thorsten Danner durch: Da ist einer, der ganz offensichtlich die Schauspielerei und das Theater liebt. Und alles, was man mit Leidenschaft macht, hinterlässt Spuren – auch beim Publikum, das sich dafür herzlich applaudierend bedankt.
Weitere Aufführung am Samstagabend
„DANNER. Maße des Wohlbefindens“ ist eine Produktion von Thorsten Danner in Koproduktion mit dem Theaterhaus G 7. Weitere Aufführung am Samstag, 24. Juli, 20 Uhr.
Bis auf Weiteres gilt für den Besuch die 3G-Regel (geimpft, genesen, getestet). Zur Not können Besucher sich vor Ort testen lassen.
Weitere Informationen unter: tig7.de.
Thorsten Danner kam 2006 ans Mannheimer Nationaltheater. Seit 2015 ist er freischaffend etwa am Schauspiel Frankfurt, Schauspiel Stuttgart und Schauspiel Graz tätig.
Roland Spranger arbeitet neben seiner Autorentätigkeit als Betreuer in Wohnprojekten für geistig behinderte Menschen. Zudem moderiert er regelmäßig die Live-Talkshow „Gwaaf zur Nacht“ und ist Mitinitiator des Podcasts „Kunstverächter“.
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