Mannheim. Frau Straub, Sie haben ihr siebtes Album „Keine Angst“ genannt und wollen so in all den Krisen dieser Zeit Mut machen. Sie sind promovierte Psychologin: Ist so ein Zuspruch zurzeit eher für die Einzelnen nötig oder für unsere ganze Gesellschaft?
Sarah Straub: Sowohl als auch. Ich spreche in meinen Liedern Menschen individuell an, den einzelnen Hörer, die einzelne Hörerin. Aber die Themen, die ich anspreche, gelten ja gesamtgesellschaftlich – und da sind Veränderungen nötig. Das bedeutet, man muss erst einmal hinschauen. Das versuche ich in den Liedern auf dem Album. Aber die Zeiten sind natürlich besonders. Ich bin jetzt Mitte dreißig und habe noch nie so viele Krisen miterlebt, die auch ein ganzes Land betreffen. Gerade die Pandemie war eine eindrückliche Zeit, und in dieser Zeit entstanden diese Songs. Deshalb sehe ich das Album auch besonders verknüpft mit der Pandemie und der veränderten Lebenssituation, in der wir waren.
Viele Popstars singen in letzter Zeit über ihre psychischen Probleme. Ihr Album soll eher als Hilfestellung dienen. Kommt da die praktizierende Psychologin durch?
Straub: Ich kann natürlich nicht aus meiner Haut raus. Ich bin Psychologin und habe zu diesen Themen immer unterschiedliche Sichtweisen. Einerseits bin ich unter Umständen Betroffene, aber auch diejenige, die Menschen begleitet, und ich weiß viel über psychische Erkrankungen. Ich will daher auch einen Schritt weitergehen. Ich will in meinen Liedern nicht nur erzählen, so und so geht’s mir, sondern, dass die Leute etwas für sich mitnehmen. Und das Mut zusprechen ist für mich der erste Schritt raus aus der Depression. In einem Lied verarbeite ich sogar sexuellen Missbrauch. Natürlich können viele Frauen davon berichten, aber es geht auch darum, wie gehe ich damit um. Und da sehe ich mich auch als Sprachrohr, ich brauche ja auch in irgendeiner Form eine Berechtigung als Liedermacherin.
Sängerin, promovierte Psychologin, Autorin
- Sarah Straub wurde am 1. Juli 1986 im bayerischen Lauingen geboren. Mit sechs Jahren gegann sie, Klavier zu spielen. Es folgten Saxofon und Klarinette. Mit zwölf schrieb sie erste eigene Lieder.
- 2010 schloss sie ihr Psychologie-Studium mit dem Diplom ab. 2015 wurde sie n der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm mit einer Dissertation über Demenzerkrankungen zur Dr. biol. hum. promoviert.
- Straub verfasste u.a. Bücher wie „Wie meine Großmutter ihr ICH verlor. Demenz – Hilfreiches und Wissenswertes für Angehörige“ (Kösel, 256 Seiten, 18 Euro) oder (mit Wolfgang Link) „Wohlfühlküche bei Demenz – Ausgewogene und sinnesanregende Gerichte für Betroffene und Angehörige“ (Riva-Verlag, 176 Seiten, 20 Euro).
- 2011 erschien ein erstes Album („Say What You’re Missing „). Für den Nachfolger „Red“ gab es 2014 den Deutschen Rock & Pop Preis.
- Seit 2019 ist sie bei Konstantin Weckers Liedermacher-Label Sturm und Klang unter Vertrag. Zuletzt erschien dort im Sommer 2023 ihr siebtes Album „Keine Angst“.
- Am Samstag, 18. November, 20 Uhr, tritt Sarah Straub im Mannheimer Schatzkistl auf. Eintritt: 23,50 Euro. Mehr unter schatzkistl.de und sarah-straub.de
Gibt es Rückmeldungen zur CD?
Straub: Mehr als sonst. Menschen, die die Platte jetzt hören, können sich jeder auf seine Weise in die Lieder hineinversetzen. Und ich bekomme viele Nachrichten von Leuten, die sich bedanken, wofür ich wiederum sehr dankbar bin. Denn dann habe ich alles richtig gemacht. Ich möchte den Menschen helfen, ob als Psychologin oder als Liedermacherin. Und in der Kunst, in der Musik geht es natürlich auch immer um Entertainment.
Sie fassen viele schwierige Themen mit großer Leichtigkeit an und finden dafür schöne Titel wie „Schokoeis mit Sahne“ oder “Lego“, tanzen sogar „Pandemiewalzer“ – wie schaffen Sie das?
Straub: Das war ein langer Lernprozess - dass Leichtigkeit einem schweren Thema nicht die Bedeutung nimmt, aber den Umgang erleichtert. In „Schokoeis mit Sahne“ geht es um den Tod meines besten Freunds, den ich während der Pandemie begleitet habe. Das war natürlich eine schlimme Situation, einen jungen todkranken Menschen zu begleiten. Dieser alberne Titel ist für mich fast schon eine Versöhnung, ein Ja zum Leben. Und trotzdem trauere ich nach bald zwei Jahren immer noch um diesen Freund. Aber so ist es leichter, damit umzugehen. Wir können nicht bei jedem Schicksalsschlag den Lebenswillen verlieren. Wir müssen das, was uns Angst macht und schlimm ist, – schwülstig gesagt – liebevoll umarmen und damit umgehen. Und das versuche ich auch in meiner Musik.
In „D’zeit hoilt alle Wunda“ verarbeiten Sie auch ein eigenes Trauma – und zwar im Dialekt. Fiel es Ihnen so leichter?
Straub: Dass es Mundart wurde, war eigentlich keine bewusste Entscheidung. Ich habe zuerst die Geschichte aufgeschrieben. Und wenn Sie sich das anhören, merken Sie, es ist eigentlich gar kein Lied. Ich erzähle die Geschichte gesprochen. Ich habe zuerst den Text geschrieben und dann ein Lied daraus gemacht. Und ich wusste, das ist nur in meiner Muttersprache Oberschwäbisch möglich, auch wenn das vielleicht nicht der schönste Dialekt ist. Das Thema ist so intim, das ging nur so.
Es geht um Missbrauch. Hat es Sie aufgewühlt, als Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann wegen Machtmissbrauchs gegenüber weiblichen Fans monatelang diskutiert wurden?
Straub: Ja, das triggert mich. Vor dieser Lindemann-Geschichte habe ich nicht gewusst, was diese Trigger-Warnungen sollen, die man gerade in vielen Podcasts hört. Das waren für mich sehr schwere Wochen, weil ich mich sehr in die eine oder andere Frau hineinversetzen kann. Ich habe es selbst erlebt. Bei mir war es in gewisser Weise auch ein Machtgefälle und dadurch ausgelöste Angst, das anzuzeigen. Ich bin erst Jahre später zur Polizei. Das erste, das der Polizist gesagt hat, war: „Warum haben Sie denn nicht einfach Nein gesagt? Und wieso kommen Sie erst jetzt?“ Niemand, der das nicht erlebt hat, weiß, wie schwer es ist, darüber zu sprechen und den Mut zu haben, das aufzuarbeiten – auch juristisch. Das konnte ich erst, da war ich schon lang erwachsen. Und das war trotzdem traumatisierend ohne Ende.
Welche Konsequenzen wären nach diesem Fall wünschenswert?
Straub: Ich wünsche mir einfach, dass wir verstehen, dass sich keine Frau absichtlich dieser Öffentlichkeit aussetzt, wenn sie nicht etwas erlebt hat, was für sie nicht richtig war. Ob das immer strafrechtlich relevant ist, kann ich nicht beurteilen. Aber darum geht es nicht. Wenn eine Frau etwas erlebt hat, was gegen ihren Willen geht, ist das erst einmal ernst zu nehmen. Beweisen kann man das doch in den allerwenigsten Fällen. Die Menschen, die dann in den sozialen Medien über Unschuldsvermutung und so weiter schreiben – ja was will man denn da Jahre später noch beweisen? Niemand war dabei. Es gibt da keine harten Fakten, die man überprüfen kann. Man muss den Frauen erst einmal glauben. Ich bin froh, dass die Geschichte mit Lindemann jetzt erst einmal etwas abgeebbt ist, für mich war das unerträglich.
Sie sind eine Fachfrau für Demenz und singen darüber in „Bumerang“. Wie kann Betroffenen und ihrem Umfeld geholfen werden, diese Diagnose anzunehmen?
Straub: Das ist natürlich nicht leicht, weil man mit dem Wort „Demenz“ oftmals viele dramatische Dinge verbindet. Ich glaube, das Wichtigste ist zunächst, dass man sich so viele Informationen wie möglich holt. Auch um schnellstmöglich die Erfahrung zu machen, dass ein gutes Leben mit der Erkrankung möglich ist.
Wie?
Straub: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, so dass zum Beispiel ein Netzwerk zur Unterstützung da ist. Die Menschen müssen lernen, dass man anfangen muss, darüber zu sprechen. Dass man aufhören muss, sich zu schämen, wenn man kognitive Einschränkungen hat. Dass man seiner Umgebung auch die Chance gibt, die Erfahrung zu machen, dass man trotzdem noch ein ganz normaler Mensch ist – auch wenn man eine Demenzdiagnose hat. Viele ziehen sich zurück, schämen sich und bleiben in den Familien unter sich und das ist sehr schade. Dass die Erkrankung trotzdem schwer ist, ist klar. Auch, dass sie fortschreitet und immer mehr von dem Menschen, den man kannte, nimmt. Aber wenn man den Weg gemeinsam geht, ist es sehr wohl möglich, weiter Lebensqualität zu haben. Aber da müssen dann wirklich alle helfen – und gute Ärzte und Therapeuten dabei sein.
Weil ich viele Menschen kenne, die ihre Eltern nicht überreden können, zum Neurologen zu gehen: Gibt es eine Art Patentrezept gegen diese Schwellenangst?
Straub: Wenn jemand nicht zum Arzt gehen will, kann ich das erstmal gut verstehen. Denn viele merken ja selbst, dass etwas nicht stimmt. Ich arbeite am Uni-Klinikum Ulm und telefoniere ganz oft mit betroffenen Familien und auch mit den Betroffenen selbst und versuche sie zu überzeugen, zu mir zu kommen. Eine Möglichkeit ist, zunächst Ängste abzubauen, indem ich ihnen erkläre, was da bei einer solchen Abklärung passiert und dass es wichtig und gut ist, frühstmöglich die Diagnose zu haben. Weil man sehr wohl gegensteuern kann. Man ist dieser Erkrankung nicht hilflos ausgeliefert, auch wenn man das landläufig meint. Man kann sie nicht heilen, den Abbauprozess aber sehr wohl verlangsamen. Dafür muss ich aber erst einmal wissen, was ich habe. Und deshalb ist es wichtig zum Arzt zu gehen und das abklären zu lassen. Wenn jemand so gar nicht will, argumentiere ich manchmal gegenüber den Angehörigen, dass es sinnvoll ist, mal einen allgemeinen Checkup machen zu lassen. Es also nicht Demenzabklärung zu nennen, denn da machen viele dann zu. Wir gehen ab einem gewissen Alter ja auch zur Brust- oder Darmkrebsvorsorge.
Musik kann ja sehr hilfreich sein, bei demenzartigen Erkrankungen. Wie funktioniert das?
Straub: Ja, bei Musik werden viele verschiedene Hirnregionen aktiviert. Eine Region ist für die Töne, andere sind für den Rhythmus und den Text etc. zuständig. Es ist auf jeden Fall etwas, das viele Hirnregionen beansprucht. Und wenn wir die Musik, die wir gerade hören, lieben, werden auch unsere emotionalen Zentren im Gehirn angesprochen. Diese komplexe Verarbeitung führt dazu, dass die Demenz nie so richtig an diese Erinnerungen herankommt. Das heißt, sogar Menschen mit fortgeschrittener Erkrankung haben die Möglichkeit, über die Musik, die sie früher gern gehört haben, den Zugang zu ihrer persönlichen Biografie zu bekommen – und sei es nur für einen Moment. Ich habe bei vielen Patienten erlebt, die nicht mehr bewusst sagen konnten, wie ihre eigenen Kinder heißen oder was sie früher beruflich gemacht haben – wenn man ihnen Musik vorspielt, die ihnen wichtig war, sind sie für einen Moment wieder richtig klar gewesen und haben sich wohl gefühlt. Sie haben sich an sich selbst erinnert. Musik ist ein ganz wichtiger Herzensöffner, um den Menschen Wohlbefinden zu ermöglichen.
Seit 2019 sind Sie bei Konstantin Weckers Plattenfirma Sturm & Klang unter Vertrag. Wie kam das zustande?
Straub: Ich habe Konstantin Wecker auf einem Festival kennengelernt. Damals habe ich noch englischsprachige Musik gemacht. Er hat sich dann Sachen von mir angehört und irgendetwas in mir gesehen und mich ermutigt, auf Deutsch zu singen. Seitdem arbeiten wir auch sehr eng zusammen. Konstantin ist derjenige, der meine Lieder als Allererster hört, weil er auch mein wichtigster Kritiker ist und mich eng begleitet hat in den letzten Jahren. Er hat mich dazu gebracht, mich als Liedermacherin zu sehen und wegzugehen vom englischsprachigen Singersongwriter-Zeug. Dafür bin ich ihm total dankbar, und wir singen ja auch gemeinsame Konzerte. Deswegen war es für mich auch klar, dass ich zu seinem Label gehe.
Sie haben dort als Erstes ein Album mit seinen Liedern aufgenommen. Das stelle ich mir schwierig vor, es hat kaum jemand vorher versucht – schließlich hat Wecker eine ganz eigene, charakteristische Art zu singen und Klavier zu spielen?
Straub: Ich habe ihn ja auch nicht gecovert. Ich habe die Lieder genommen, sie neu interpretiert und quasi so getan, als hätte ich sie selbst geschrieben. Heraus kam natürlich etwas ganz anderes. Es war tatsächlich Konstantins Idee, und er lag völlig richtig, weil ich seine Lieder unfassbar liebe und es sich auch so anfühlt, als wäre ich den Liedern sehr verbunden. Am Anfang habe ich es gemacht, um zu lernen, wie er schreibt, weil ich keine Erfahrung hatte mit deutschen Texten. Und dann habe ich mir seine Lieder ganz zu eigen gemacht. Entstanden ist so das Album „Alles das und mehr“.
Ihr Klavierstil erinnert aber eher an Marc Cohn als an Konstantin Wecker.
Straub: Konstantin ist natürlich eine Wucht am Klavier und hat einen Stil, den ich gar nicht nachmachen möchte und kann. Für mich ist das Klavier auch viel weniger wichtig als für ihn. Ich begleite mich, und für mich ist die Stimme mein erstes Instrument, während er seine Geschichten und Texte ja eigentlich erzählt. Und die Virtuosität am Klavier ist bei ihm ganz toll.
Inhaltlich ist Ihre Musik ein Liedermacherinnen-Ansatz, gesanglich finde ich es nah an Helene Fischer – eigentlich eine unfehlbare Mischung. Oder?
Straub: Ich habe natürlich nicht versucht, wie Helene Fischer zu klingen, aber grundsätzlich haben wir vielleicht eine ähnliche Art zu singen. Man sucht sich das ja auch nicht aus. Ihr Musikstil ist nicht meiner, aber sie ist eine gute Sängerin und ich nehme es jetzt mal als Kompliment. Ich habe auch eine sehr klare Stimme, und mir ist durchaus bewusst, dass wenn ich Schlager singen würde, man mir das total abnehmen würde, weil die Stimme dazu passt. Aber ich hoffe, dass man mich trotzdem als Liedermacherin begreift. Ich finde den Begriff auch großartig. Ich wünsche mir, dass ich so wahrgenommen werde, auch wenn der Begriff aus der Zeit gefallen ist.
Wo sehen Sie sich selbst denn eher: auf Burg Waldeck, auf der Bühne mit Dota Kehr oder im Vorprogramm der „fliegenden Helene“?
Straub: Ersteres bitte.
Zum Abschluss eine klassische Frage an Musikerinnen, die bei Ihnen besonders interessant ist: Wirkt Musik wirklich wie Therapie?
Straub: Ja, natürlich. Das geht gewiss vielen Künstlern so, dass man Dinge verarbeitet, weil man durch das Schreiben auch eine gewisse Distanz zu den Dingen bekommt. Denn man kann dann von außen draufschauen. Für mich ist es sehr wichtig, Dinge aufzuschreiben, die mich bewegen, selbst wenn es schon viele Jahre her ist. Erst, wenn ich es zu Papier gebracht habe, kann ich mich damit versöhnen.
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