Interview

Pet Shop Boys in Mannheim: „Wir sind vom Schlager fasziniert“

Auf die Pet Shop Boys ist auch bei der neuen Platte Verlass, die viel Wärme, Melodietrunkenheit und ein bisschen Nostalgie verströmt. Diesen Freitag ist das Popduo in der Mannheimer SAP Arena zu erleben

Von 
Steffen Rüth
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Eine Klasse für sich: Neil Tennant (li.) und Chris Lowe von den Pet Shop Boys. © Alasdair Mclellan/dpa

Mannheim. Neil Tennant (69) und Chris Lowe (64) waren schon lange nicht mehr so gefragt wie im Moment. Ihre Songs laufen in angesagten Filmen, sie sind sehr erfolgreich auf Tournee und mit dem Produzenten James Ford (Arctic Monkeys, Depeche Mode, Blur) hat das seit vier Jahrzehnten erfolgreiche englische Popduo das Album „Nonetheless“ aufgenommen.

Wir trafen die Pet Shop Boys im Londoner Büro ihrer Plattenfirma und unterhielten uns unter anderem über alte Autos, Schlager und die katholische Kirche.

Herr Tennant, Herr Lowe, Ihre Tour trägt den Titel „Dreamworld“. Würden Sie gern in einer Traumwelt leben?

Neil Tennant: Ja, total. Die aktuelle Weltlage ist ja wirklich abstoßend. Wir können uns an keine Zeit erinnern, in der es so übel um uns als Menschheit stand wie jetzt gerade. Was wir vor zehn Jahren doch für eine herrliche Zeit hatten. Trump, Brexit, Corona, Ukraine, habe ich was vergessen? Bestimmt. Nichts von dem war schon passiert, und wir ahnten nicht, dass große Umbrüche um die Ecke lauerten.

Dabei haben wir 2014 gewiss auch schon viel lamentiert.

Tennant: Ganz bestimmt. Aber wir wussten damals nicht, wie gut wir es hatten.

Chris Lowe: Vielleicht nehmen wir uns die Dinge auch mit zunehmendem Alter stärker zu Herzen. Als junger Mensch kommst du besser mit Tiefschlägen klar, weil du weißt, dass du noch viel Zeit haben wirst, um sie auszubügeln. Wenn du älter wirst, sehen dieselben Wolken dunkler aus.

Wann sind die neuen Lieder entstanden?

Tennant: Die meisten kamen während der ersten paar Corona-Monate zur Welt, in denen wir so richtig viel Zeit und Lust hatten, an neuen Songs zu arbeiten. Der Himmel war blau, ständig schien in diesem Frühling die Sonne, man hatte keine Sorgen, irgendetwas zu verpassen.

Lowe: Das Leben war wunderbar langsam. Es bestand daraus, viel spazieren zu gehen, im örtlichen Bauernladen frische Sachen einzukaufen, Mittagessen zu kochen. Druck und Stress waren völlig verschwunden. Genauso wie die Angst, etwas zu verpassen.

Haben Sie diese Angst sonst?

Lowe: Nein, eigentlich habe ich diese Angst nie (lacht).

Tennant: Ich verließ England fast zwei Jahre lang überhaupt nicht. Ich wüsste nicht, wann ich jemals in meinem Leben so lange am selben Ort war. Ich muss sagen, ich fand das richtig schön. Und für unseren Planeten wäre es gut gewesen, wenn wir ein bisschen was von diesem Lebensstil beibehalten hätten.

In „Loneliness“ geht es um Einsamkeit. Kennen Sie das Gefühl, Herr Tennant?

Tennant: Nicht sehr intensiv, aber es hat mich manchmal gestreift. Ich erinnere mich an mein erstes Jahr in London, nach meinem Umzug von Newcastle. Ich lebte mit mehreren in einer Wohnung, und an Ostern waren plötzlich alle weg. Nur ich hatte kein Geld, um nach Hause zu fahren, und blieb ganz alleine zurück. Aber meistens war ich mit meinem Freundeskreis zusammen.

„New London Boy“, das musikalisch stark an Ihre frühen Songs erinnert, spielt vermutlich auch in dieser Zeit.

Tennant: Der Song erzählt das, was zwischen Strophe zwei und Strophe drei in „Being Boring“ passiert. Den Titel hatte ich schon lange im Kopf, und jetzt passte er einfach optimal zu der Musik, die Chris geschrieben hat. Speziell fühlte ich mich inspiriert von David Bowies Song „The London Boys“ aus dem Jahr 1970. Ich hatte die Idee, das Stück, das vor der Glamrock-Welle entstand, in unsere Art von Glam-Pop umzuwandeln.

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Ich kam 1976 nach London, und ich wusste, ich wollte ein Popstar werden. Wir alle trugen Glamrock-Klamotten und färbten uns die Haare. Ich denke, das ist der persönlichste und am meisten nostalgische Song. Er handelt auch von der Nervosität und der Angst, die ich empfand, als ich mir meiner Homosexualität bewusst wurde und damit begann, mir einen Weg in dieses Leben zu bahnen.

Ein knappes halbes Jahrhundert später ist es kein großes Thema mehr, was für eine Sexualität jemand hat.

Tennant: Für den einzelnen schon, aber als Gesellschaft haben wir in dieser Hinsicht sehr viel erreicht.

Lowe: Wobei es stark davon abhängt, wo auf der Welt du lebst. In Russland, dem Iran oder Uganda ist es die Hölle.

Die Pet Shop Boys in Mannheim

  • Mit ihrer Tour „Dreamworld - The Greatest Hits Live“ spielen die Pet Shop Boys am Freitag, 28. Juni, 20 Uhr, in der Mannheimer SAP Arena.
  • Tickets kosten zwischen 71 und 111 Euro.
  • Jüngst erschien mit „Nonetheless“ das 15. Album des britischen Popduos.

Tennant: Generell ist Religion immer ein Problem. Kirchen sind schwache Organisationen, gucken wir uns doch nur an, wie die Russisch-Orthodoxe Kirche vor Putin kuscht. Kirchen posieren gern als die Guten, respektieren aber nicht alle Lebensformen, und speziell die Katholische Kirche hält Gesellschaften regelrecht auf. Es ist doch zum Beispiel sehr beachtlich, wie gut sich Irland entwickelt hat, nachdem es dem Würgegriff des Katholizismus entronnen war.

Sie haben eine Wohnung in Berlin. Ist „The Schlager Hit Parade“ vom Leben an Ihrem Zweitwohnsitz geprägt? Herr Tennant, Sie singen unter anderem die schönen deutschen Worte „Glühwein, Wurst und Sauerkraut“.

Lowe: Wir sind von Schlagermusik sehr fasziniert. Einfach, weil das etwas ist, das ihr Deutschen habt, und wir nicht.

Tennant: In der Nähe unseres Berliner Apartments gibt es eine Bar, wo sie gerne Schlager spielen. Wir gehen manchmal dorthin, hören dieser irgendwie lächerlichen Musik zu und genießen sie.

Haben Sie Lieblingsschlagerinterpreten?

Lowe: Die Flippers. Ich habe mal ein ganzes TV-Konzert mit denen gesehen. Die Musik ist sehr gut produziert. Viele Schlagersongs entstehen ja in den „Hansa Studios“, wo wir vor fünf Jahren unser Album „Hotspot“ aufgenommen haben. Der Ort ist berühmt für Bowie und Depeche Mode, aber ich wäre nicht überrascht, wenn die Flippers auch schon dort waren.

Tennant: Auf einer tieferen Ebene erkunden wir in dem Song, warum dieses Phänomen namens Schlager überhaupt entstehen konnte. Meine These ist, dass die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch nach vorne und nicht zurückschauen wollten. Diese Musik ist quasi der Soundtrack zum Wirtschaftswunder und dem damaligen deutschen Aufbruch.

Erlauben Sie sich auf „Nonetheless“ mehr Rückschau und Wehmut als sonst?

Tennant: Vielleicht ein wenig. Diese Songs kommen von zwei älteren Herren und reflektieren deren Sicht aufs Leben. Gedanken wie „War dein Leben gut?“ oder „Hat dir was gefehlt?“ schleichen sich heute sicherlich öfter ein als vor zwanzig oder dreißig Jahren.

Interessieren Sie sich noch für neue Musik?

Tennant: Doch. Mein Auto ist Baujahr 2000, also alt genug, um einen CD-Player zu haben. Ich kaufe mir gern CDs und höre sie dann dort. Ich will zum Beispiel Bescheid wissen, wie die neuen Alben von Taylor Swift oder Dua Lipa klingen, ich mag auch Bands wie The National oder The 1975, gerade erst habe ich das Box-Set von Joni Mitchell komplett im Auto durchgehört, großartig. Ich höre aber auch sehr gern Klassik, am liebsten Stravinsky oder Mahler.

Lowe: In meinem Auto habe ich sogar noch einen Kassettenspieler. Das ist aus den frühen oder mittleren Neunzigern. Ich will es so lange fahren, wie ich lebe.

In der Rockmusik kommen viele erfolgreiche Musiker aus Ihrer Generation. Pop war lange was für junge Leute, aber auch das ändert sich. Spielt das Alter in der Popmusik noch eine Rolle?

Tennant: Ich denke nein. Pop ist sehr gut darin zu akzeptieren, wer du bist. Ich finde es wichtig und richtig, dass die Altersdiskriminierung in der Musik insgesamt stark nachgelassen hat. Die Rolling Stones und Paul McCartney sind 80 und erfolgreich wie eh und je. Wir bewegen uns auf der Bühne glücklicherweise sehr viel weniger als Mick Jagger, aber auch uns hält dieses Leben jung und munter.

Freier Autor

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