Mannheim. Zunächst etwas Vorgeschichte aus dem Musik-Lexikon: Seit 18 Jahren haben The Cardigans nicht mehr in Deutschland gespielt. Das letzte Konzert hierzulande gaben die schwedischen Indie-Pop-Rocker 2006 beim Hurricane Festival in der niedersächsischen Gemeinde Scheeßel.
Seitdem vergingen auch 18 Jahre ohne neuen Release der Band. Kurz: Die deutschen Cardigans-Fans saßen musikalisch auf dem Trockenen. Doch dann kam im vergangenen Oktober, wie aus dem Nichts, die Überraschung: Das Zeltfestival Rhein-Neckar kündigt die Cardigans für 2024 mit einem exklusiven Deutschlandkonzert an. Vor allem auf Social-Media fiebern viele Fans dem Wiedersehen entgegen.
Vorbands beim Zeltfestival: Herzschmerz, Melancholie, Rock
Und am Samstagabend ist es dann soweit - die Cardigans spielen beim Zeltfestival in Mannheim. Den Anfang machen zwei Support-Acts, die das Publikum langsam auf Betriebstemperatur bringen. Zunächst kommt Telquist, der eigentlich Sebastian Eggerbauer heißt, auf die Bühne. Mit seiner Band mischt er Wohlfühl-Singer-Songwriter-Pop mit getragenen Gitarrensoli und Texten, die zwischen Herzschmerz und Melancholie pendeln.
Während des Auftritts von Telquist füllte sich der leere Platz vor der Bühne schnell auf. Bei der zweiten Vor-Band, den Shout out Louds, ist dann kurz darauf der Name Programm: Denn am Ende ihres Sets, bei dem sie ihr rockiges Debut-Album „Howl Howl, Gaff Gaff“ aus dem Jahr 2005 einmal komplett durchspielten, rumort es im Publikum gewaltig. Erster ohrenbetäubender Jubel bricht aus, das Publikum klatscht mit. Viele sind textsicher.
Der erste Cardigans-Song in Mannheim „Losing a friend“ schließt nahtlos an
Nach einer halbstündigen Pause geht es dann pünktlich los. Das Zeltfestival um 20 Uhr: Die Lichter gehen aus, das Publikum jubelt. Das darauffolgende Intro-Tape ist kurz. Auf einem Videoscreen erscheinen nach und nach die Buchstaben „C-A-R-D-I-G-A-N-S“. Dazu die Stimme eines Kleinkinds, das die Buchstaben vorliest - das war’s. Nahtlos schließt der erste Song „Losing A Friend“ an.
Ein typischer Opener für ein Konzert ist das aber nicht. Die Begleitung ist minimalistisch - lockere Gitarrenakkorde schmiegen sich an die Kickdrum von Schlagzeuger Bengt Lagerberg, die einen Viervierteltakt stampft. Sängerin Nina Persson schwebt mit ihren hypnotisch-eleganten Gesangsparts über diesem einfachen Rhythmus. Trotzdem beginnen die Fans zu tanzen. Warum diese langsame und traurige Nummer als Eröffnung funktioniert? Keine Ahnung. Aber die Fans lieben es.
Nach den ersten Songs wird klar: Ein übergroßes Tamtam um ihr Deutschland-Comeback machen die Cardigans nicht. Die erste Ansage von Nina Persson ist knapp, erntet aber viel Applaus. „Hallo Mannheim“, sagt sie auf Deutsch - das kommt an.
So flächig wie zu Beginn geht es weiter. Langweilig ist das Konzert aber nicht - ganz im Gegenteil. Über dem Set liegt eine Art Grundspannung. Es ist wie Hypnose. Auch deshalb, weil die Songs oft kommentarlos ineinander übergehen - oder ineinander verschwimmen, wie am Ende von „Marvel Hill“. Denn hier passiert etwas Seltenes: Die Gitarre, die sich sonst eher im Hintergrund aufgehalten hatte, macht Sängerin Nina Persson den Platz streitig. Plötzlich steht Peter Svensson im Fokus, der sich mit seiner E-Gitarre leidenschaftlich ausbreitet. Sein Solo mündet nach schier unendlichen Phrasen in einem schrillen Tinnitus-Drone-Ton, der Mark und Bein durchdringt. Stroboskoplicht blinkt. Dann fällt der Ton ab, wird tiefer und versinkt in einem Bass-Sumpf. Und aus diesem Bass-Sumpf kommen dann wieder freundliche Töne und der Anfang von „Junk of the Hearts“.
Die Fans singen in Mannheim so laut, dass Nina Persson sich eine Pause gönnt
Die Fans jubeln und tanzen immer mehr. Wohl auch, weil die Cardigans genau an den richtigen Stellen aus allem Gewohnten ausbrechen - wie vor dem Song „For What It’s Worth“, als Nina Persson die Mundharmonika zückt und ein Solo spielt.
Zum Ende des Konzerts spielen die Cardigans dann bewegte Nummern, und die Fans wachen ein zweites Mal auf. Die Initialzündung ist dabei - natürlich - „Lovefool“ vom Durchbruch-Album „First Band On The Moon“. Das Lied kennen alle und singen lauthals mit. Sogar so laut, dass Sängerin Nina Persson an einer Stelle das Mikrofon in die Menge hält und sich damit eine kleine Gesangspause gönnt. Den Abschluss macht dann der Song „My Favourite Game“. Zum rockigen Gitarrenriff springen die Fans in den ersten Reihen wild umher.
„Ihr wart ein fantastisches Publikum“, sagt Nina Persson dann am Ende. Die Cardigans verbeugen sich - und sind ebenso schnell im Backstage. Das Konzert endet schließlich nach genau 90 Minuten, wie es begann: ohne großes Tamtam. Aber gespielt hat die Band, als wäre sie nie weg gewesen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/kultur_artikel,-kultur-mannheimer-zeltfestival-the-cardigans-als-waeren-sie-nie-weg-gewesen-_arid,2218573.html