Ladenburg. Porky, mit Deichkind haben Sie zuletzt einen Song mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz produziert. Sehen Sie die schier unüberschaubaren Möglichkeiten von KI eher als Chance oder als Risiko?
Porky: Zu dem Generellen haben wir dazu unterschiedliche Meinungen in der Band. Mein Kumpel Henning Besser, also DJ Phono, der weiß alles, der liest alles darüber und hat auch dementsprechende Sorgen. Ich beschäftige mich gar nicht damit und habe das alles in meiner eigenen Fantasie. Und ich bin total positiv eingestellt, was KI angeht: Ich hab’ Bock auf Raumschiffe, ich hab’ Bock auf Beamen, ich hab’ Bock auf ’ne neue Leber aus dem 3D-Drucker, ich hab’ Bock, dass Krebs geheilt wird … ich sehe eigentlich nur die positiven Aspekte. Klar gibt es auch negative Dinge und möglichen Missbrauch. Aber das Thema wird nicht mehr weggehen. Wir müssen es positiv besetzen. Weil: Das Ding lernt.

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Und auf Musik bezogen? Es gibt ja erste rein KI-generierte Popstars, die Sie irgendwann ersetzen könnten.
Porky: Da bin ich auch eher interessiert daran, was man alles mit KI machen kann, sehe also eher die Chancen. Du kannst mittlerweile deine Stimme einsprechen – und dann sprichst Du plötzlich in einem Video perfekt Spanisch. Inklusive Mundbewegungen. Das macht vielleicht auch Angst, ist aber krass faszinierend. Für uns als Musiker mache ich mir keine Sorgen, weil Dynamik, Swing und solche Sachen, werden immer noch erstaunlich sein – wenn Menschen das spielen. Das Gefühl von Live-Musik, die kollektive Verbindung zwischen Menschen und Musikern – wenn KI das irgendwann hinkriegen sollte, sage ich auch: „Hey Leute, let’s go!“
Was ist Ihnen eigentlich lieber als Ansprache: Sebastian, Herr Dürre oder Ihr Künstler- und Spitzname Porky?
Porky: Jo, Mulle. So nennt man mich auf dem Dorf, in dem ich wohne. Jahrelang wurde ich Dürre genannt. In den 80ern war es normal, sich mit dem Nachnamen anzusprechen. Meine Freundin – wir sind seit drei Jahren zusammen – ist die Erste, die mich Sebastian nennt. Jetzt spüre ich zum ersten Mal eine Bindung zu meinem eigenen Vornamen. Wenn ich arbeite, habe ich mich an Porky gewöhnt. Aber ich mag den Namen überhaupt nicht. Der wurde mir irgendwann mal gegeben und klebt seitdem an mir.
Von Ihrer Mutter, wie man liest. Hat sie etwas gegen Sie? Porky kann ja nur von Schweinchen Dick alias Porky Pig kommen, einem der kleinen Strolche oder einer heute nicht mehr sehr witzigen Teenager-Komödie aus dem Jahr 1982.
Porky: Ich habe keine Ahnung. Aber hey, es ist mir nicht so wichtig.
Am 16. August spielen Sie auf der Festwiese in Ladenburg direkt am Neckar. Wie sieht man so eine pittoreske 12 500-Einwohner-Stadt als Hamburger eigentlich?
Porky: Das schauen wir uns immer an. Wir haben ja immer viel Zeit und freuen uns auf Ladenburg. Ich bin Hamburger, habe in Amsterdam studiert und sechs Jahre in Berlin gewohnt. Jetzt lebe ich seit zehn Jahren auf dem Dorf, weil mir das alles zu viel geworden ist. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, hier wegzugehen. Wenn man sich auf die Ruhe und die Frequenz auf dem Land und in kleinen Städten einlassen kann, dann ist es einfach Gold wert.
Wird es Gäste geben, etwa Roger Rekless?
Porky: Der ist sowieso immer dabei, seit drei Jahren als festes Bandmitglied. Wir haben ja immer viele Wechsel in der Band gehabt. Es war aber nie so, dass wir das wollten. Jeder Wechsel war auch schmerzhaft, es ist auch immer ein riesiger Stress. Mir wäre es am liebsten, alles würde bleiben, wie es ist. Und wenn Roger Lust hat, kann er gern für immer dabei bleiben.

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„Neues vom Dauerzustand“ ist das aktuelle Deichkind-Album, die erste Single war „In der Natur“. Die haben Sie bei „Inas Nacht“ sehr speziell und fast interaktiv inszeniert. Ist da in der Ladenburger Natur Ähnliches zu erwarten? Kann man bei einer genau durchgetakteten großen Live-Show überhaupt noch spontan etwas einbauen?
Porky: Man hat immer Spielraum. Natürlich laufen unsere Songs in einem speziellen Rahmen. Aber natürlich schrauben wir immer noch etwas herum, bei Playbacks oder Übergängen zum Beispiel. Ich möchte alle Leute einladen, bei unserer Show auf die Details zu gucken. Denn wir haben keine LEDs und Projektionen. Stattdessen machen wir viel mit Lasern, Licht, auch auf unseren Helmen, und Kostümen. Das gesamte Konzept hat sich über Jahre entwickelt und immer weiter ausgefeilt. Das Ding ist wie ein Mini-Organismus, der sich immer mehr perfektioniert. Da bleibt vieles gleich. Aber es gibt natürlich auch neue Songs. In diesem Ablauf haben wir als Künstler trotzdem Freiheiten: Wir können mit den Stimmen abgehen und improvisieren, auch was Bewegung angeht. Die Show ist wie ein Wimmelbild, zu dem immer wieder etwas hinzugefügt wird. Aber natürlich braucht es einen Rahmen, sonst ist es Chaos oder Free Jazz. Wir haben zwar keine Instrumente auf der Bühne oder im Proberaum, trotzdem gibt es eine Struktur, an die sich jeder hält.
Deichkind sind bekannt für spektakuläre Live-Shows voller Effekte, Energie, origineller Einfälle und Humor. Manche Feuilletons zogen schon Vergleiche zur Oper. Wird es mit den Jahren eigentlich einfacher oder schwerer, die hohen Erwartungen zu erfüllen – oder gar zu übertreffen? Zumal Deichkind Kostüme und Ausstattung immer noch selbst herstellen, oder?
Porky: Alles! Wir haben sogar einen großen 3D-Drucker. Das ist wichtig zu wissen für die Leute: Wir haben keine externe Produktionsfirma. Wir machen alles selbst: Kostüme, Kulissen – wir haben jetzt einen Roboter, der (auf der Bühne?) Autos zusammen schraubt. Das Ding haben wir selber gedruckt.
Zum Konzert
- Rapper Sebastian „Porky“ Dürre (47) zählt seit 2005 zum festen Kern der Hamburger Band Deichkind – mit Gründungsmitglied Philipp Grütering (Kryptik Joe) und Regisseur Henning Besser alias DJ Phono.
- Mit Porky startete die gefeierte Live-Attraktion ihre erfolgreichste Phase mit den Gold-Awards für „Arbeit nervt“ (2008) und „Befehl von ganz unten“ (2012) und dem Nummer-eins-Album „Niveau weshalb warum“ (2015).
- Zuletzt erschien 2023 ihr achtes Studioalbum „Neues vom Dauerzustand“, das auf Platz zwei der Albumcharts landete.
- Deichkind spielen auf der „Kids in meinem Alter“-Tournee am Freitag, 16. August, 20 Uhr, auf der Festwiese Ladenburg. Einlass: 17.30 Uhr. Die Parkplätze an der Festwiese öffnen bereits um 15.30 Uhr. Karten kosten im Vorverkauf 64,95 Euro (plus Gebühren) unter eventim.de. Abendkasse: 65 Euro.
Klingt wie die Montage-Halle der Ehrlich Brothers für ihre gigantischen Zaubertricks.
Porky: Ja, oder Circus Roncalli. Wir haben eine feste Crew, die seit Jahren zusammen ist. Der Regisseur unserer Videos fährt auch mit auf Tournee. Deichkind gehört zwar Philipp Grütering, Henning Besser und mir. Wir drei sind die Chefs. Aber ohne unsere Crew, mit so vielen Leuten, die seit Jahren dabei sind – das ist ein krasses Phänomen. Deshalb funktioniert das. Das ist auch größer als wir. Wenn ich zum Beispiel keinen Bock mehr hab’, würde es weitergehen.
Also könnte es wie bei Kraftwerk sein – wer hinter der Maske steckt, ist beinahe egal?
Porky: Vielleicht, ja.
Also die Frage, die sich etwa Rammstein früher gestellt haben, wie können wir uns noch toppen? Und die Erwartungen erfüllen, von Feuilleton bis Fans, die immer einen Abriss erleben wollen?
Porky: Das verschiebt sich. Das, was einfach war, wird schwieriger. Und das, was schwierig war, wird einfacher. Man will das Level halten (lacht). Übertreffen will ich mich nicht mehr. Denn Melancholie entsteht immer durch den Zwang, abliefern zu müssen. Stichwort: mental Health. Irgendwann kam der Punkt, da würde es ein büschen … melancholisch zäh. Bis man irgendwann realisiert hat: Ey, die Leute kommen zu unseren Shows, wir müssen uns nicht überbieten im Abliefern. Dann war es weg. Man macht jetzt einfach, was man will. Die alten Gurken laufen eh. Aber wir stecken immer noch super viel Arbeit in neue Sachen, zum Beispiel in das neue Video „Könnt ihr noch“.
Das bedeutet konkret?
Porky: Es ist eine Ode an Herbie Hancock. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie viel Arbeit wir uns mit so einem Song und dem Video dazu machen. Die sind ja auch alle selber gebaut. Das hat dann vielleicht 400 000 Streams, während „Leider geil“ bei 32 Millionen steht. Also wir machen unsere Kunst und die Fans glücklich. Aber es sind natürlich unsere „Satisfaction“ und „Highway To Hell“, die den Deichkind-Laden tragen. Einen neueren AC/DC-Song wie „Black Ice“ will ja auf dem Hockenheimring auch keiner hören. Dass wir das realisiert haben, macht es irgendwie entspannter. Du hast nicht mehr so den Druck. Ich muss mich nicht mehr beweisen, weil es sonst vorbei wäre. Ich habe keine Existenzprobleme. Das macht es einfacher. Schwieriger wird es, fit zu bleiben.
Apropos. Da fällt mir die Vokabel „Dauerzustand“, die Sie im Song „Kids in meinem Alter“ besingen und im Tour-Motto verewigen: Kryptik Joe ist 2024 50 geworden. Sie sind 47 … schaut man als Berufsjugendlicher eigentlich auf Mick Jagger, wenn es um die eigene Zukunft geht? Oder bereiten Sie gedanklich einen geordneten Rückzug vor?
Porky: Mein Gefühl ist: Zehn Jahre schaffe ich noch. Dann will ich mich vielleicht auch nicht mehr quälen. Jetzt ist es so, dass ich mit Training und einem Monat Proben gut klar komme. Ich bin zwar im Arsch nach ein paar Auftritten. Aber es ist auch Sport und hält mich fit. Mick Jagger ist doch stabil, dass er das immer noch so macht. Ich schaue weniger auf ihn, sondern auf Gwyneth Paltrow oder Cameron Diaz. So sehe ich mich eher.
Warum?
Porky: Die sind beide quasi in Rente gegangen und machen keine Filme mehr. Ich habe auch gar kein Problem damit, aufzuhören. Ich bin ja auch seit 30 Jahren Bassist und spiele in einer Rage-Against-The-Machine-Coverband. Ich kann auch in Eutin oder Ladenburg auftreten, oder auf irgendeinem Blues-Festival. Bass spielen. Die große Show muss nicht immer sein. Da habe ich alles erlebt. Aber ich liebe Deichkind immer noch. Trotzdem habe ich überhaupt keine Angst davor, in Rente zu gehen. Ich habe auch so viel zu tun. Ich habe einen Hof, da stellt sich mir im Beruf des Hausmeisters jeden Tag eine andere Herausforderung.
Heute werden Safe Spaces bei Konzerten gefordert, während es bei Deichkind immer noch recht wild zugeht, zumindest vorne. Sie kommen aus einer weniger besorgten Generation, machen Sie sich trotzdem darüber Gedanken?
Porky: Klar, auf jeden Fall. Wir machen auch vor jedem Konzert eine Awareness-Ansage. Was gar nicht geht ist Gekrabbel. Bei homophober Kacke fliegt man sofort raus, wenn wir das mitbekommen. Wir versuchen schon, einen Schritt weiterzugehen und nicht in den alten patriarchalen Mustern stecken zu bleiben.
Als Missbrauchsvorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann aufkamen, gerieten Konzerte plötzlich in Generalverdacht – bis hin zur Ministerialebene. Nach dem Motto: Kann ich meine Tochter noch zu Johannes Oerding schicken? Ärgert einen so etwas als unbescholtener Musiker?
Porky: Nein. Es ist gut, dass da Aufmerksamkeit hingeht. Denn es gibt ja scheinbar ein Problem damit in der Musikbranche. Da müssen Sie nur an das Frauenbild in manchen Bereichen des Hip-Hop denken. Da ist es mir lieber, dass die Leute da genau hingucken und dass dafür ein Bewusstsein geschaffen wird. Wir haben 2024, und die Welt hat genug andere Baustellen. Wenn etwas besser werden kann, sollten wir es besser machen.
Der Refrain ihres älteren Hits „Leider geil (leider geil)“ ist zum geflügelten Wort geworden. Auf so etwas legen es Deichkind auf jedem Album an, siehe „Merkste selber“ oder „gefährliches Halbgoogeln“. Oder wirkt das nur so, als wären Deichkind ein laufendes Jugendwort des Jahres?
Porky: So funktioniert einfach mein Gehirn. Wenn ich mit Philipp und Co. zusammen bin – da tippt einer an, und die anderen labern sich heiß. Der Text zum Song „Kids in meinem Alter“ ist so zum Beispiel in einer halben Stunde entstanden. Unsere Autorenwelt, der Deichkind-Kosmos, das ist einfach so. So schreiben Philipp und ich mit unseren Gästen. Das ist unser Ton. Jeder Autor hat das – von Herrmann Hesse bis zur „Heute-Show“?
So ein Stück wie „Wutboy“ richtet sich gegen die besorgten Bürger, Querdenker und Co.. Da kommt wenig Beifall aus der „falschen Ecke“, oder?
Porky: Ja, aber das ist egal. Die Leute erreicht man eh nicht in ihrer Filterblase. Das kann man auch von mir sagen: Ich bin nun mal in meiner linksversifften Schlafschaf-Bubble. Und da bleibe ich auch. Ich glaube an die Liebe und daran, dass alles gut wird.
Wäre es nicht reizvoller, ein Stück zu schreiben, das versucht, ein paar Brücken zu bauen. Ein paar aus der versprengten Bubble könnten sie ja vielleicht erreichen.
Porky: Ich weiß, was Sie meinen. Und die Tür steht bei uns immer offen. Man muss ja nur daran denken, wie viele Leute während der Pandemie weggeschwurbelt sind. Weil sie einfach Angst hatten. Es ist völlig in Ordnung, wenn man danach sagt: „Es geht mir wieder besser. Es waren schwierige Zeiten.“ Das ist doch völlig menschlich. Was halt nicht geht, sind Leute, die stramm rechts stehen. Da muss man dagegen halten. Es bringt auch nichts, zurück zu schauen und als Künstler immer noch über die Lockdowns zu meckern. Bei den ganzen Problemen, die wir haben, sollten wir versuchen, Energie aus dem Hier und Jetzt zu ziehen. Aus positiven Sachen. Denn: Es ist nicht alles Scheiße. Lasst uns beweisen, dass es auch geile Sachen gibt, dass die Kunst lebt. Let’s go, Alter! Ich habe genug von dem negativen Kram, davon gibt es genug.
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