Interview

Das sagt Martin Kordić über seinen Erfolgsroman "Jahre mit Martha"

Der neue Roman von Martin Kordić handelt von Željko, dem Sohn kroatischer Einwanderer, und seinem Ringen um einen Platz in der deutschen Gesellschaft. Im Interview spricht der in Mannheim aufgewachsene Autor über Herkunft, die Aufgabe der Literatur und die Region - wo ein Großteil der Handlung seines Buches spielt

Von 
Madeleine Bierlein
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Martin Kordić ist in Mannheim aufgewachsen – sein zweiter Roman spielt zu großen Teilen in Ludwigshafen und Heidelberg. © Peter Hassiepen

Mannheim. Herr Kordić in Ihrem Roman „Jahre mit Martha“, erzählt Željko, Sohn kroatischer Einwanderer, von seiner Jugend in Ludwigshafen und der ambivalenten Beziehung zu einer Heidelberger Professorin. Hat Sie der große Erfolg Ihres Buches überrascht?

Martin Kordić: Ich glaube, ich hatte keine klare Erwartung. Ich habe einfach versucht, meine Arbeit gut zu machen (lacht). Vielleicht liegt es auch daran, dass ich als Lektor arbeite und dadurch weiß, dass der Erfolg eines Buches nicht planbar ist. Da müssen so viele Dinge zusammentreffen, dass man Menschen genau zu diesem Zeitpunkt mit diesem Thema erreicht. Aber ich freue mich sehr über den Erfolg.

Sitzt der Lektor mit an der Tastatur, wenn Sie schreiben?

Kordić: Nein, gar nicht. Ich glaube, beim Lektorieren und beim Schreiben werden zwei ganz unterschiedliche Bereiche im Gehirn tätig. Die Voraussetzung, um Lektor zu sein, ist maximale Distanz - um den Text zu lesen und ihm Fragen zu stellen. Aber diese Distanz kann kein Mensch aufbringen, der selbst einen Roman verfasst.

Die Eltern von Željko alias Jimmy sind Kroaten aus Bosnien-Herzegowina - wie Ihr Vater. Željko ist in Ludwigshafen aufgewachsen, Sie in Mannheim. Wie viel von Ihnen steckt in der Figur?

Kordić: Ich würde das eigentlich von Željko loslösen wollen. Natürlich stecke ich sehr in dem Buch, alles, woraus ich geschöpft habe, waren ja Dinge in mir. Sei es, dass ich sie selbst erlebt habe, dass sie mir erzählt wurden oder dass ich sie weitergesponnen und erfunden habe. Aber ich wollte nicht einfach ein Leben dokumentierten, sondern mit Željko eine literarische Figur entwickeln. Mit Blick auf den Roman würde ich sagen, dass ich sowohl in Željko als auch in Martha stecke. Bei mir ist ja ein Elternteil Kroate aus Bosnien-Herzegowina, der andere ist deutsch. Die Herkunft meiner Eltern hat sich dann also am ehesten in beide Figuren aufgespalten.

Warum lebt Željko eigentlich nicht in Mannheim?

Kordić: Aus zwei Gründen. Zum einen, weil ich ihn in Distanz zu mir selbst halten wollte. Und zum anderen, und das ist noch wichtiger, weil ich für den Text Ludwigshafen die bessere Wahl fand. Es gibt einen größeren Kontrast zu Heidelberg, wo Martha lebt. Und Ludwigshafen bringt mit der BASF noch eine andere Facette von Geschichte, Gesellschaft und Deutschland hinein. Die fand ich als Hintergrundatmosphäre passend.

So vieles, was ich weiß, weiß ich aus der Literatur. Literatur ist meiner Meinung nach die beste Empathie-Schule.

Für Menschen in der Region mag der Gegensatz Ludwigshafen-Heidelberg - Željko aus einer armen Einwandererfamilie verliebt sich in eine gut situierte Professorin - etwas klischeehaft daherkommen. Hatten Sie keine Angst, es zu übertreiben mit den Gegensätzen?

Kordić: Eigentlich nicht (lacht). Ich habe fünf Jahre an dem Text geschrieben. Natürlich gab es da Momente, in denen ich mich fragte: Ist das jetzt zu viel? Und dann ist es letztlich Intuition, ob ich das stehenlasse oder noch mal ändere. In Bezug auf die Herkunft der beiden Figuren habe ich aber gar nicht darüber nachgedacht. Da wollte ich, dass es zugespitzt ist. Aber eben auch nur so weit, dass ich das Ganze für realistisch halte. Insofern bin ich im Reinen damit.

Welchen Platz nimmt die Arbeit an der Sprache des Textes bei Ihnen ein?

Kordić: Einen sehr großen. Ich überarbeite viel. Aber das ist der zweite Schritt. Ich glaube sehr daran, beim Schreiben einem Fluss zu folgen. Wenn ich währenddessen zu viel überarbeite, bremse ich meinen Erzählfluss. Daher versuche ich, den Flow und den Erzählstrom aufrechtzuerhalten. Und das Überarbeiten mache ich während des Schreibens eigentlich nur, wenn es sowieso stockt. Oder nach einer längeren Pause, um wieder in den Flow zu kommen.

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Željko will unbedingt den engen Verhältnissen seines Elternhauses entkommen - und tut sich dennoch so schwer. Solche und andere Migrationsschicksale - wenn man sie so nennen will - haben inzwischen einen großen Platz in Literatur und Kunst. Und sie sind auch zunehmend erfolgreich. Interessiert sich die Gesellschaft heute mehr für diese Themen?

Kordić: Ihre Frage impliziert ja, dass das Publikum noch das gleiche ist wie früher und sich dann entwickelt hat. Ich glaube aber, dass sich die Zusammensetzung der Gesellschaft verändert hat. Sie ist viel diverser geworden. Ich habe das auch bei meinen Lesungen gemerkt. Da waren immer auch Menschen im Publikum, die sich mit Željko Geschichte identifizieren und sich freuen, dass so eine Geschichte heute Teil von deutschsprachiger Literatur ist.

Ist es Aufgabe von Literatur und Kunst, Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen zu fördern?

Kordić: Ich sehe da keine Aufgabe, das heißt, ich gebe meinen Figuren keine Agenda mit. Aber ich glaube, dass das automatisch passiert. Das ist auch das, was ich selbst als Leser so mag. So vieles, was ich weiß, weiß ich aus der Literatur. Literatur ist meiner Meinung nach die beste Empathie-Schule. Es ist Kunst und Literatur eingeschrieben, Verständnis für andere zu fördern.

Der erste Trubel um Ihr Buch hat sich gelegt. Hat sich Ihr Leben sehr verändert?

Kordić: Die Phase, in der ich jetzt gerade bin, macht mit am meisten Spaß. Die große Lesereise ist vorbei, ich habe gerade kein neues Projekt. Ich arbeite zwar weiterhin als Lektor, aber ich habe wieder viel mehr Zeit. Und jetzt bin ich - in ganz ursprünglichem Sinn - einfach begeisterter Leser. Ich lese eigentlich alles. Wenn mir jemand sagt, das ist gut, dann lese ich es.

Was lesen Sie denn gerade?

Kordić: „Nordstadt“ von Annika Büsing, das wurde mir empfohlen. Und ich höre auch Hörbücher. Es gibt so tolle Aufnahmen von Michael Köhlmeier. Er hat vor vielen Jahren griechische Mythologie, aber auch Shakespeare und biblische Geschichten nacherzählt. Es gab ein Buch und eine Fernsehsendung. Und die Hörbücher. Sie sind aber nicht einfach abgelesen, sondern im Gestus der freien Rede erzählt. Das macht mir gerade sehr viel Spaß.

Autor und Lektor

  • Martin Kordić (40) ist in Mannheim aufgewachsen. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien.
  • Nach dem Abitur studierte er Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus und ist seit mehr als zehn Jahren als literarischer Lektor tätig – zuerst in Köln, inzwischen in München.
  • Für seinen Debütroman „Wie ich mir das Glück vorstelle“ (2015) erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis sowie die Alfred-Döblin-Medaille. 2022 erschien sein zweiter Roman „Jahre mit Martha“, Fischer-Verlag, 24 Euro. mad

 

Sind Sie denn schon auf der Suche nach einer neuen Geschichte?

Kordić: Gerade genieße ich es sehr, Nichts mit Nichts zu verbinden, keinem Ziel und keiner Idee zu folgen. Das ist sehr schön. Aber ich schreibe natürlich.

In welcher Form?

Kordić: Ich schreibe jeden Tag drei, vier Sachen auf. Das kann nur ein Wort sein oder ein Satz. Das hat mit gar nichts irgendetwas zu tun. Zum Beispiel habe ich im Handy eine Notiz-Datei. Wenn ich die in ein Word-Dokument kopieren würde, dann wären das wahrscheinlich Hunderte Seiten. Ich schreibe da einfach immer oben etwas Neues rein. Außerdem schreibe ich viel von Hand - auf Zettel und Karten. Das ist aber leider alles nicht systematisch sortiert.

Dient dieses Schreiben einem Zweck?

Kordić: Ja. Das Schreiben ist für mich eine Form von Durch-den-Alltag-Gehen, von Welt-Wahrnehmen und Sich-selbst-bewusst-Werden. Wenn mir dieses alltägliche Notieren nicht möglich ist, dann macht mich das sehr nervös und unruhig. Die Romane sind eigentlich nur die absoluten Extrakte aus dem, was Schreiben für mich im Alltag bedeutet.

Und aus den Notizen extrahieren Sie dann irgendwann Ihr nächstes Buch?

Kordić: Aus dem alltäglichen Notieren hat sich jetzt zwei Mal irgendwann eine Geschichte aufgedrängt, die in einen Roman mündete. Und ja, ich gehe davon aus, dass das wohl auch ein drittes Mal passieren wird. Aber noch ist es nicht so weit.

Redaktion Nachrichtenchefin mit Schwerpunkt Wissenschaftsjournalismus

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