Mannheim. Das Museum heißt noch immer Kunsthalle. Die neue Schau trägt den Titel „1,5 Grad“, und wie ihr Name weiter besagt, geht es darin näher um „Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“. Und die Kunst? In einer Ankündigung zu dem Ausstellungsprojekt steht der Begriff „Kunstwerke“ erstmals in der sechsten Zeile. Am Anfang liest man die bekannte Feststellung: „Die Klimakrise nimmt auf alle Lebensbereiche Einfluss!“ Also, so schließt man, betrifft das auch die Kunst. Erwähnt wird zudem das Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015, die Erderwärmung eben auf 1,5 Grad zu begrenzen, damit negative Folgen beherrschbar bleiben - und dass dieses Ziel kaum noch zu schaffen ist.
Dass sich die Kunst landläufigem Zweckdenken und bekannten Anschauungs- und Verständnisweisen widersetzt, gilt heute nur noch zum Teil. Auch das bestätigt die Schau. Konkrete zeitgeschichtliche Bezüge waren freilich nie ausgeschlossen. Hier nun werden die Exponate danach ausgewählt, ob sie (irgendwie) zum Klimakomplex passt. Mehr als 200 Werke werden aufgeboten, aus eigenem Bestand ebenso wie Leihgaben; einige Arbeiten wurden eigens für die Ausstellung angefertigt. Über den ästhetischen Mehrwert einzelner Exponate lässt sich, wie gewohnt, auch streiten. Die Fotoinstallation „Covering“ von Marianna Simnetti, die kopulierende Pferde zeigt, ist dafür ein Beispiel.
In „Fragmente“ aufgeteilt
Außer aktuellen Arbeiten wird in der Schau auch der ältere Sammlungsbestand aufgerufen, eine expressionistische Naturdarstellung von Ernst Ludwig Kirchner etwa oder die nüchtern-neusachliche Ansicht eines Stahlwerks von Eugen Bracht, das mit seinen dampfenden Schloten auf heutige Betrachter recht bedrohlich wirkt. Farbige Markierungen im Neu- und Altbau weisen bestimmte Werke dem 1,5-Grad-Komplex zu. Die Grafikausstellung „Das Insekt“, die erst im Mai im Jugendstiltrakt zu sehen ist, wird ebenfalls dem Klimaprojekt zugerechnet. Und das Ganze ist zudem eine Kooperation mit der Bundesgartenschau, auf deren Gelände auf Spinelle ab Ende kommender Woche zwei ebenfalls zur Ausstellung zählende große, ortsspezifische Installationen auf Besucher warten.
Der mit Abstand größte Teil der Schau findet sich indessen im Museumsneubau. Dort ist er in jeweils unterschiedlicher Größe auf allen Etagen vertreten, aufgeteilt in sogenannte Fragmente, was man als Anspielung darauf verstehen kann, dass auch kleinere Beiträge zum nachhaltigen Gesamtziel eine Würdigung verdienen.
Im Auditorium beginnt der Rundgang mit einer Videoinstallation des Spaniers Daniel Canogar: Was hier komplex und farbig vor dem Auge des Betrachters vorüberfließt, sind die von einem Algorithmus visualisierten Daten des gesamten deutschen Energieverbrauchs vom jeweiligen Vortag. An der Wand daneben hängt eine Installation von Fabian Knecht, bestehend aus Thermometern. Mit Ausnahme von einem geben sie in Form von blauen Säulen zu niedrige Temperaturen an; das eine aber zeigt die tatsächliche Raumtemperatur, nachdrücklich in der Signalfarbe Rot.
Lässt sich solch eine Arbeit als künstlerischer Aktivismus charakterisieren? Was sich im Erdgeschoss daran anschließt, haben die Ausstellungsmacher jedenfalls so genannt. Aber natürlich stößt man hier nicht auf eigentlichen, direkten Protest, sondern zunächst auf eine begehbare Installation des Brasilianers Ernesto Neto. Der Boden und die aus Seilen geflochtene Decke ist durch Stricke verbunden. Wer dabei Lianen assoziiert, denkt rasch auch an den Ur- und Regenwald, dessen Bedeutung fürs ökologische Gleichgewicht ja kaum zu überschätzen ist.
Klima-Schau in der Mannheimer Kunsthalle
- Die Ausstellung „1,5 Grad“ wird am Donnerstag, 6. April, 19 Uhr, offiziell eröffnet. Sie ist dann bis 8. Oktober in der Mannheimer Kunsthalle zu sehen.
- Öffnungszeiten: Di, Do-So und feiertags 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung kostet im Museum 32 Euro.
- Die über 200 Werke umfassende Schau wurde kuratiert von Johan Holten, Anja Heitzer, Sebastian Schneider sowie Pia Goebel (kuratorische Assistenz). Die Grafikausstellung „Das Insekt“, die im Mai eröffnet wird und der Gesamtschau ebenfalls zugerechnet wird, kuratiert Thomas Köllhofer.
- Zwei begehbare Installationen der Künstler Olaf Holzapfel und Fabian Knecht, die zur Schau zählen, stehen während der Bundesgartenschau auf Spinelli.
- Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm: Interessierte sind dazu eingeladen, über die Klimakrise nachzudenken, in Kreativ-Workshops oder Mitmachaktionen.
- Infos: www.kuma.art
Porträts indigener Gruppen
Was auf diese Arbeit folgt, beeindruckt ebenfalls mit sinnlicher Qualität: Die Argentinierin Guadalupe Miles porträtiert in einer Fotoserie die indigenen Gruppen der Wichi und Chorote, die unter der Umweltverschmutzung besonders leiden. Farbenprächtig wirken daneben die mit zahlreichen Helferinnen aus Wolle und Kunstfasern gestrickten Abbilder von Korallenriffs von Margaret und Christine Wertheim. Dass ein politischer Akzent auch Ironie nicht ausschließt, zeigt der „Rat Singer“ von Romuald Hazoumé. Aus einem Meer aus Benzinkanistern ragt die Spitze eines sinkenden Bootes empor; eine noch dort ausharrende Ratte mit Sonnenbrille steht auf Geldkoffern und setzt an zum Sprung; eine zusätzliche Note verleiht der Arbeit die formale Nähe des Arrangements zur Land-Art, die in der Schau an anderer Stelle durch Richard Long repräsentiert ist.
Am meisten beeindruckt im Erdgeschoss „Controlled Burn“, eine Videoinstallation von Julian Charrière, die kosmische wie auch apokalyptische Assoziationen weckt und auf einem Feuerwerk basiert, das mit mehreren Kameras aufgenommen wurde und vor dem Auge rückwärts abläuft. Unter dem Titel „Labor“ werden in diesem Ausstellungsteil neue Technologien künstlerisch aufgegriffen - und damit die Hoffnung, mit ihrer Hilfe der Welt beizustehen, statt sie auszubeuten. In diesem Kontext verdient auch ein fast 40 Jahre altes Werk aus der Sammlung Erwähnung: Jannis Kounellis’ unbetiteltes Arte-povera-Objekt aus staubigen Kohlesäcken erinnert daran, dass fossile Energieträger an sich ein neutraler Teil der Natur sind.
Ein Kontrast zu Kiefer
Für übergeordnete Perspektiven steht dann besonders ein Raum im Obergeschoss. Anselm Kiefers Zyklus mit Sternenbildern sowie sein Bildrelief „Jaipur“ erhält ein ebenfalls großformatiges und gleichsam erdendes Gegenstück in Form einer Tapisserie der nigerianischen Künstlerin Otobong Nkanga; um Land und Meer geht es dabei, um den Raubbau an beidem und um menschliche Opfer. Ja, der Mensch: Irgendwie steckt er hinter allem, bleibt aber oft unsichtbar, wofür stellvertretend der gut sichtbar platzierte „Filzanzug“ von Joseph Beuys steht. Dessen Träger ist gleichsam hinzuzudenken, doch kommt es auf ihn gerade auch in puncto Klimakrise an. Daran erinnert nun noch einmal die Ausstellung „1,5 Grad“. Anregungen und Kunsterlebnisse bietet sie reichlich. Und sie lässt keinen Zweifel daran, dass es nicht genügt, mehr oder weniger bekannte Fragen aufzuwerfen. Wir brauchen auch Antworten und Handlungskonsequenzen, und zwar rasch.
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