Heidelberg. Und er hat es wieder geschafft: Die spanisch- und portugiesischsprachige Welt ist im Februar erneut zu Gast in Heidelberg - bei einer deutschlandweit einzigartigen Veranstaltung: Von 3. bis 10. Februar lädt das Theater und Orchester der Stadt nun zum dritten iberoamerikanischen Theaterfestival Adelante ein. Wird er das noch mal schaffen?
Als Intendant Holger Schultze und Dramaturgin Lene Grösch das Theater-Alleinstellungsmerkmal 2017 erstmals auf Heidelbergs Theaterbühnen hob, war dies unter Theaterfreunden und Kulturjournalisten die häufigste Frage. Nicht nur aus Kapazitätsgründen, stemmt sein Haus doch mit Stückemarkt, Remmidemmi, Schlossfestspielen, Tanzbiennale und Winter in Schwetzingen nicht eben wenige Festivals.
Adelante – das Festival und seine Macher
- Das iberoamerikanische Theaterfestival „Adelante!“ wird von 3. bis 10. Februar 2024 am Theater Heidelberg ausgerichtet. Zwölf Gastspiele aus Lateinamerika und Portugal sind zu sehen.
- Die Künstlerische Leitung liegt bei Theaterintendant Holger Schultze und Dramaturgin Lene Grösch sowie bei Sandra Kornmeier, der stellvertretenden Intendantin im künstlerischen Bereich.
- Als Kuratoren waren mit Unterstützung des Goethe Instituts und des Internationalen Theaterinstituts Kulturmanagerin Ilona Goyeneche (Mexiko) und Kulturjournalist Jürgen Berger tätig, die Produktionsleitung hat Moritz Tullney.
- Zu sehen sein werden zwölf Uraufführungsproduktionen aus Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Peru, Portugal und Uruguay.
- Das Festival wird ermöglicht durch Zuwendungen der Volksbank Kurpfalz e.G., der Sparkasse Heidelberg und des Freundeskreises des Heidelberger Theaters.
- Der Kartenverkauf beginnt am Mittwoch, 15. November. Es gibt Einzeltickets ab 17 Euro (ermäßigt 8, 50 Euro, Schüler in Gruppen ab zehn 5 Euro), aber auch einen Festivalpass zu 150 Euro. Mehr zum Festival: adelante-festival.de
Auch die Finanzierung der Gastspiele vom anderen Ende der Welt ist eine Herkulesaufgabe. Das Land Baden-Württemberg hatte 2017 nur einmalig Unterstützung zugesagt, bei der zweiten Auflage 2020 aber dann doch nochmals fördernd unter die Arme gegriffen. 2024 muss das ungewöhnliche Festival trotz hoher internationaler Strahlkraft nun ohne staatliche Hilfe auskommen und die etwa 750 000 Euro alleine aufbringen. Kuriosum am Rande: Das finanziell wie kulturpolitisch wesentlich ärmere Rheinland-Pfalz gibt 2024 die gleiche Summe für die Wormser Nibelungenfestspiele aus - für eine einzige Inszenierung, die 16 Mal vor dem Dom gezeigt wird.
Gesellschaften in Bewegung
Finanziert wird in Heidelberg nun mit Sponsoren, Förderern sowie aus dem laufenden Theateretat und Rücklagen. Warum nun gerade das Theater Südamerikas? „Es ist die Begegnung mit einer anderen Kultur, einem anderen Kontinent. Einem Kontinent, der gerade politisch und gesellschaftlich sehr in Bewegung ist“, fasst Holger Schultze die künstlerische Motivation zusammen und ergänzt: „Es ist die Chance, sich damit auseinanderzusetzen, auch mit ungewöhnlichen Theaterformen.“
Zwölf Gastspiele in 16 Aufführungen aus zehn Ländern aus Lateinamerika sowie Portugal sind also zu erleben - dazu kommt ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Nachgesprächen, zwei Publikumsdiskussionen, DJs, Musikern, Milonga-Kurs und Partys.
Gibt es im Programm eine thematische Leitlinie? „Wir nehmen uns kein Thema vor, sondern schauen, welche Probleme die Theater selbst aufgreifen“, sagt Schauspieldramaturgin Lene Grösch, die mit Schultze das künstlerische Leitungsteam von Adelante bildet. Aus diesen Themen, die sozusagen vom jeweiligen Land selbst auf die Theaterbühne kommen, lassen sich dennoch rote Fäden knüpfen. Beginnen wir mit der „Schwarzen Morgenröte“ (Aurora negra) aus Portugal. Wie werden schwarze Menschen in einer noch immer weißen Theaterlandschaft repräsentiert?
Aurora negra haben dazu ein szenisches Manifest in drei Sprachen geschaffen, das die Sichtbarkeit und Partizipation schwarzer Menschen auf der Bühne und außerhalb thematisiert. Das Stück wurde beim Festival „Santiago a Mil“ in Chile entdeckt und wird zum Auftakt am Samstag, 3. Februar, nach der feierlichen Festivaleröffnung (17.30 Uhr) im Marguerre-Saal seine deutsche Erstaufführung haben.
Adelante! - Vorwärts! in Heidelberg: Produktionen spiegeln Umbrüche
In alle Produktionen spiegeln sich die Umbrüche, die politischen Widerstände und gesellschaftlichen Aufbrüche, die an vielen Stellen des Kontinents aufflammen. In „Dejà vu“ aus Bolivien (5. 2., 20.30 Uhr) haben Las Kory Warmis (Frauen aus Gold) die Verwandlungsmöglichkeiten der Bühne für sich entdeckt. Die Frauen vom Dorf sind Handwerkerinnen, Verkäuferinnen und Bäuerinnen, die seit acht Jahren Theater zu einem wichtigen Teil ihres Lebens gemacht haben - und es feministisch zu nutzen wissen.
Bei Shakespeare ist Hamlet derjenige, der nicht in die Reihe passt, der nicht so ist, wie ihn Familie und Gesellschaft haben wollen. Das peruanische Teatro La Plaza erzählt seine Geschichte am 6. Februar mit Darstellern, die Down-Syndrom haben - und somit auch deren eigene.
Die Brüder Lázaro und César Saavedra Nande leben auf Kuba. Die Situation ihres Landes bringen der Tänzer und der bildende Künstler mit ihrer Performance „Normalisierung“ auf die Bühne. Zwischen Tanz und Textarbeit zappen sie sich durch die Kanäle des nationalen Fernsehens und gehen auf eine Reise, die zur Migrationsbewegung ins Exil wird. Diese sowie Heimat- und Identitätssuchen, die Sehnsucht nach Anerkennung und Gleichberechtigung sind die bestimmenden Themen des sich selbst zum roten Faden flechtenden Programms.
Auf der Suche nach einer neuen Heimat befindet sich auch das chilenische Stück „Minga“, inspiriert von einer lokalen Tradition auf der Insel Chiloé: Bei einem Umzug packen alle mit an und transportieren das komplette Haus an einen neuen Ort, über Land oder übers Meer. Die Inszenierung versetzt die Bruchstücke eines zerfallenen Hauses von einem Schauplatz an einen anderen und fragt: Wie viele Häuser, wie viel Zuhause müssen wir zerstören, bevor wir wissen, wer wir sind?
Eine von vielen guten Fragen, die das Festival stellen wird. In Sachen Ticketkauf bleibt also nur zu sagen: Adelante! Zu Deutsch: Vorwärts!
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