Berlin. An einem Montag im Juni hält Karlotta Gründobler es nicht mehr aus. In einem emotionalen Post auf LinkedIn macht die Unternehmerin ihrem Ärger Luft. Deutschland schaffe es nicht, am produzierenden Gewerbe festzuhalten, sagt die 37-Jährige, mit Tränen in den Augen und spürbarem Frust in der Stimme. „Und wenn dann ein Traditionsunternehmen mit 101 Jahren kommt und sagt ‚Wir würden gerne bauen, weil wir wollen gern wachsen‘“, sagt sie, „dann kommt dir irgend so ein Scheißprozess dazwischen!“
Unternehmerin berichtet von Problemen durch Bürokratie
Gründobler ist geschäftsführende Gesellschafterin bei Eliog, einem Unternehmen aus Thüringen mit 90 Mitarbeitern, das Industrieöfen baut. Die Firma will expandieren und dafür eine Werkshalle an einem neuen Standort bauen. Doch eine Bauvoranfrage für die nötige neue Zufahrt zum Gelände, eingereicht vor fast zwei Jahren, bremst das Projekt.
Da habe ich wirklich kurz gedacht: Macht doch euren Mist einfach ohne mich.
„Ich kam an dem Morgen aus einem Meeting beim Landesamt für Bau und Verkehr“, erzählt Gründobler heute. „Und ich verstehe, dass die Beamten im Amt ihren Job machen, dass es dort um die Verwaltung des Bestands geht und sie Risiken minimieren müssen.“ Doch an diesem Tag, sagt Gründobler, sei ein „Schmerzpunkt“ erreicht gewesen. Weil sie das Gefühl gehabt habe, da seien „Menschen, die keine Lösung finden wollen, selbst wenn sie könnten. Da habe ich wirklich kurz gedacht: Macht doch euren Mist einfach ohne mich.“
Das vierminütige Video geht viral, unter dem Beitrag sammeln sich Hunderte Kommentare. Viele Nutzer danken Gründobler für die deutlichen Äußerungen. Die Unternehmerin hat einen Nerv getroffen. Aufwendige Prozesse, langwierige Genehmigungsverfahren, ausufernde Dokumentationspflichten: Gründobler ist nicht die Einzige, die mit der Bürokratie in Deutschland zähe Kämpfe auszutragen hat.
Konsequente Digitalisierung würde 96 Milliarden Euro Ertrag bringen
In Umfragen unter Wirtschaftsvertretern zu den größten Problemen am Standort Deutschland landet das Thema immer wieder auf Platz eins, noch vor Themen wie Steuerbelastung, Energiekosten oder Fachkräftemangel. Eine Studie des Ifo-Instituts, die im November 2024 veröffentlicht wurde, bezifferte die Wirtschaftsleistung, die Deutschland durch Bürokratie jährlich verloren geht, auf bis zu 146 Milliarden Euro pro Jahr. Allein eine konsequente Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, bis sie etwa das Niveau in Dänemark hat, würde demnach 96 Milliarden Euro Ertrag bringen.
Die Belastung trifft dabei nicht nur mittelständische Betriebe wie Eliog. Auch kleinere Unternehmen leiden unter der Vielzahl von Regulierungen. Andreas Schulte führt gemeinsam mit einem Partner den Darmstädter Feinkostbetrieb Heiping. Gemeinsam mit zwei Vollzeitangestellten und vier Minijobbern bieten die beiden selbst gerösteten Kaffee, Weine und Spezialitäten an.
20 Stunden im Monat für Bürokratie
Doch einen erheblichen Teil der Zeit, die er für seinen Betrieb aufwendet, braucht er für Dokumentations- und Erfassungspflichten, sagt Schulte. Zum Beispiel zum Thema Verpackungen: „Wenn man als Geschäft eine Frischetheke hat und darin Sachen mit Frischhaltefolie abdeckt, muss man die beim Einwegkunststofffonds registrieren“, sagt Schulte. „Wenn ich die Folie nur verwende, um das Essen im Kühlschrank abzudecken, muss ich das nicht.“
Ich verbringe allein drei Stunden im Monat nur mit Dokumentation rund um Verpackungen, für die gesamte Bürokratie sind es 20 Stunden.
Es gebe Verpackungen, die im Verpackungsregister und im Einwegkunststofffonds registriert sein müssten, das müsse er dann dokumentieren, um am Ende des Jahres beides abzugleichen und nicht doppelt zu zahlen. „Ich verbringe allein drei Stunden im Monat nur mit Dokumentation rund um Verpackungen, für die gesamte Bürokratie sind es 20 Stunden“, sagt der Unternehmer. Im Schnitt gingen der Firma auf diese Art 300.000 Euro im Jahr verloren, schätzt er.
85 Prozent der Zeit für die Genehmigungsphase, 15 Prozent für den Bau
Ähnliche Geschichten wie Gründobler und Schulte können zahlreiche Unternehmer erzählen. Von ausländischen Mitarbeitern etwa, die als Tourist mit ihrem Führerschein in Deutschland fahren dürfen, aber Fahrstunden nehmen müssen, sobald sie das beruflich tun wollen. Von aufwendigen öffentlichen Ausschreibungen für den Einkauf von Schulbüchern, die wegen der Buchpreisbindung überall gleich viel kosten. Oder von Arbeitsschutzbeurteilungen im Hinblick auf die Gefahren für Schwangere – auch wenn die Stelle nicht mit einer Frau besetzt ist.
Verbände und Unternehmen kennen viele absurde Auswüchse von Regulierung. Jörg Rösler, Vorstandsmitglied beim Bauunternehmen Strabag, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland kürzlich, bei Infrastrukturprojekten benötige man 85 Prozent der Zeit für die Genehmigungsphase und nur 15 Prozent für den Bau.
Bei der Kabinettsklausur der Bundesregierung in dieser Woche soll das Thema deshalb ganz oben auf der Agenda stehen: Karsten Wildberger, seit wenigen Monaten der erste Minister der Bundesrepublik, der für Staatsmodernisierung und Digitalisierung zuständig ist, soll bei dem Treffen in der Villa Borsig am Tegeler See in Berlin seine Agenda vorstellen.
Unternehmungsgründung innerhalb von 24 Stunden
Das Ziel: Um ganze 25 Prozent sollen die Bürokratiekosten gesenkt werden, Maßnahmen sollen künftig auf ihre Praxistauglichkeit hin überprüft werden. Vieles, so ist vor der Klausur zu hören, soll einfacher und schneller werden: So strebt die Bundesregierung an, dass eine Unternehmensgründung künftig in 24 Stunden möglich sein soll, und eine digitale Work-and-Stay-Agentur mit einer zentralen IT-Plattform soll die Anlaufstelle für ausländische Fachkräfte werden. Das Behördenpersonal soll um acht Prozent reduziert werden.
Wirtschaftsverbände üben auf die Bundesregierung jetzt Druck aus, ihre Ankündigungen auch tatsächlich umzusetzen. „Nur wenn Bürokratie endlich spürbar abgebaut wird, kann der Wirtschaftsstandort Deutschland seine Innovationskraft voll entfalten und im internationalen Wettbewerb bestehen“, sagt Peter Adrian, Präsident der Industrie- und Handelskammer (DIHK), dieser Redaktion. Konkret bedeutet das laut DIHK unter anderem die angekündigte Abschaffung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes und die Einführung von verbindlichen Praxis-Checks. Und statt „One in, one out“ – also die Einführung einer neuen Regulierung nur, wenn dafür eine alte abgeschafft wird – muss nach Ansicht des DIHK-Präsidenten künftig sogar „One in, two out“ gelten.
Andreas Schulte ist wenig optimistisch, was die Initiative der Bundesregierung angeht. „Entbürokratisierung versprochen haben in den letzten zwölf Jahren viele“, sagt er. „Am Ende kam immer nur mehr obendrauf.“
Für Karlotta Gründobler in Thüringen sieht es so aus, als würde es mit der neuen Zufahrt und somit auch mit dem neuen Werksgelände bald vorangehen. Die Bauvoranfrage sei inzwischen genehmigt, sagt sie. Gelöst wurde das Problem am Ende recht pragmatisch: „Das Ortsschild wird um ein paar Meter versetzt, damit liegt die Zufahrt innerorts – und es gelten andere Regeln“, so Gründobler. Dafür müsse die Firma einen Teil der Kosten für den Winterdienst tragen, den die Kommune jetzt dort übernimmt. Wenn alles klappt, kann Eliog 2028 umziehen. (mit ba)
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/wirtschaft_artikel,-wirtschaft-wie-buerokratie-die-wirtschaft-stranguliert-_arid,2331304.html