Waghäusel/mannheim. Dass seine Schlossanlage eines Tages Teil einer Zuckerfabrik werden würde, hatte der Speyerer Fürstbischof Damian Hugo Philipp von Schönborn (1676-1743) bestimmt nicht gedacht. Im September 1724 legte er den Grundstein zur Eremitage in Waghäusel, zur „Einsiedelei“, wie sich der aus dem Französischen stammende Begriff übersetzen lässt. Ein Schloss dieses Typs sollte als Rückzugsort ins Private dienen. Die Speyerer Fürstbischöfe suchten in der Eremitage unweit der Wallfahrtskirche und des Klosters Waghäusel Entspannung: beim Beten oder beim Jagen.
1803 fiel der rechtsrheinische Teil des Hochstifts Speyer an die Markgraftschaft Baden, später Großherzogtum Baden. Barock galt als altmodisch, die Eremitage sollte sogar auf „Abbruch“ versteigert werden. Im Jahr 1837 kaufte die „Badische Gesellschaft für Zuckerfabrikation“ – ein Vorgänger-Unternehmen der heutigen Mannheimer Südzucker AG – die rund 13 Hektar große Schlossanlage vom badischen Staat und errichtete die Zuckerfabrik Waghäusel. Zwischen den Fabrikanlagen blieben einzig der Eremitage-Hauptbau – hier saßen unter anderem die Fabrikdirektoren –, und die Kavalierhäuser. Sie dienten als Werkswohnungen. Die Fabrik wurde 1995 geschlossen.
Zwei Jahre später verkaufte Südzucker das Fabrikgelände samt Eremitage an die Stadt Waghäusel für den symbolischen Preis von einer Mark. Mit Zuschüssen des Landes Baden-Württemberg erledigte sie aufwendige Sanierungsarbeiten am denkmalgeschützten Gebäude. Alleine zwischen 1999 und 2016 sind dafür mehr als 21 Millionen Euro geflossen.
Seit 2014 wird die Eremitage-Anlage nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Musikschule Waghäusel-Hambrücken wirkt etwa bei Barockkonzerten im historischen Küchenbau mit. Es gibt ein Trauzimmer für standesamtliche Hochzeiten sowie Räume für Seminare und Tagungen. Die Astronomiefreunde Waghäusel organisieren Sternführungen im Garten.
Museum öffnet Ende des Jahres
„Gerade richten wir im Obergeschoss ein Museum ein, das die Geschichte der Eremitage, der Zuckerfabrik, der Badischen Revolution und des Naturschutzgebietes Wagbachniederung erzählt“, sagt Antje Gillich, Kulturbeauftragte der Stadt Waghäusel. Ende des Jahres soll es eröffnen. Zu sehen sein wird etwa der riesige Geldtresor der Karlsruher Firma Schindler, aus dem die Mitarbeiter der Zuckerfabrik früher ihre Lohntüten bekamen. Auf der Industrie-Ausstellung in Mannheim 1880 erhielt Schindler sogar eine Auszeichnung.
Auch Josef Mörder, 70, hat aus dem Geldschrank seine Lohntüten erhalten. Er arbeitete von 1968 bis in die 1990er Jahre in der Verwaltung der Zuckerfabrik. Mörder kennt jeden Raum der Eremitage und jedes Plätzchen auf dem Gelände wie seine Westentasche. Anhand eines Schwarz-Weiß-Fotos von 1970 erklärt er das Fabrikgelände samt der Gleise, auf denen die Rüben transportiert wurden. Mörder arbeitete nach seiner Zeit bei Südzucker bei der Stadt Waghäusel; heute unterstützt er die Kulturbeauftragte im Team bei ehrenamtlichen Führungen und bei ihrer Arbeit zur Museumseinrichtung.
Wer zwischen Mannheim und Karlsruhe mit der Bahn fährt oder mit dem Auto auf der B 36 unterwegs ist, sieht noch zwei riesige graue Türme – das sind die Silos, in denen früher Zucker gelagert worden ist. Der Abriss ist beschlossene Sache. Anfang 2020 will die Stadt entsprechende Ausschreibungen auf den Weg bringen. Geplante Kosten für das Projekt: fast zwei Millionen Euro. Wie die frei werdende Fläche künftig genutzt werden soll, ist noch unklar.
Schon 1986 war der Südzucker-Standort Waghäusel in Schieflage gerutscht. Nur Einsparungen beim Energieverbrauch und eine gedrosselte Produktion verhinderten zunächst die Schließung. Doch wenige Jahre später war das Schicksal besiegelt: 1995 schloss Südzucker das Werk mit damals 100 Beschäftigten. Damit endete die Geschichte einer traditionsreichen Fabrik, die im 19. Jahrhundert mit mehr als 1000 Mitarbeitern zu den größten Unternehmen Nordbadens zählte.
Das Aus hat aktuellen Bezug. Weil die Zuckerpreise historisch niedrig sind, schreibt Südzucker im Kerngeschäft heftige Verluste und hat sich ein Sparprogramm auferlegt: Zwei weitere deutsche Werke (Brottewitz und Warburg) machen dicht.
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