Interview

Mannheimer ZEW fordert höhere Zinsen im Kampf gegen die Inflation

Von 
Walter Serif
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Ein Aktienhändler beobachtet auf dem Parkett der Frankfurter Wertpapierbörse seine Monitore. © dpa

Mannheim. ZEW-Experte Friedrich Heinemann fordert von der US-Zentralbank Fed mehr Härte im Kampf gegen die Inflation. Eine Gefahr für die Weltwirtschaft sieht er aber nicht.

Herr Heinemann, die US-Notenbank Fed hat endlich auf die hohe Inflation reagiert und den Leitzins auf 0,25 Prozent angehoben. Bekommt die Fed die Inflation mit dieser Zinswende in den Griff?

Friedrich Heinemann: Ich habe meine Zweifel, ob dieser Schritt schon mutig genug ist, denn die US-Inflationsrate ist ja dramatisch höher als bei uns. Sie liegt bei knapp acht Prozent. Tendenz steigend, denn die Zehn-Prozent-Marke ist schon in Sicht. Offensichtlich sieht das Notenbankchef Jerome Powell inzwischen ähnlich, er hat jetzt die Möglichkeit schnellerer Erhöhungen des Leitzinses ins Spiel gebracht. Außerdem sehe ich mit Blick auf die Inflation auch die Lage auf dem US-Arbeitsmarkt mit Sorge.

Warum?

Heinemann: Der US-Arbeitsmarkt boomt, noch nie haben dort so viele Menschen ihren Job gekündigt, weil sie woanders bessere Perspektiven sehen. Das heißt, die Löhne werden deshalb natürlich steigen. Das sieht alles nach einer Ökonomie aus, die inflationär überhitzt ist. Da muss die Fed schon kräftig gegensteuern. Die von Ihnen als „Zinswende“ bezeichnete Reaktion der Fed ist da nur ein erster schüchterner Schritt. Offensichtlich sind die US-Notenbanker aber auch untereinander nicht über die notwendige Dosis einig.

Wie kommen Sie darauf?

Heinemann: Die Fed veröffentlich immer, wie die Abstimmungen im Vorstand ausgefallen sind. Demnach gab es einige Mitglieder, die eine Anhebung des Leitzinses um 0,5 Prozent gefordert haben. So ein Tempo wäre besser. Die Fed muss den Leitzins nach meiner Einschätzung jetzt sehr schnell auf mindestens zwei bis drei Prozent anheben. Es müssten also Monat um Monat Zinsschritte erfolgen.

Der Rheinländer am ZEW

Friedrich Heinemann (geboren 1964 in Düsseldorf) gehört praktisch schon zum Inventar am Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Er arbeitet dort bereits seit 30 Jahren und kommentiert gerne die Leitzinsentscheidungen der Notenbanken.

Heinemann interessiert sich nicht nur für die Geldpolitik. Er leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“. Empirische Finanzwissenschaft und politische Ökonomie liegen ihm am Herzen – alles mit Blick auf Europa.

Er studierte Volkswirtschaftslehre und Geschichte in Münster, London und Mannheim. Er wurde an der Universität Heidelberg habilitiert. was

Die Fed hat also die Inflationsgefahr unterschätzt?

Heinemann: Ja, inzwischen gibt sie das selber zu. Vor einem Jahr hieß es noch, die hohe Inflation sei nur ein vorübergehendes Phänomen, aber diese These hat sich für die USA als komplett falsch erwiesen. Da glaubt keiner mehr daran.

Wenn eine Wirtschaft völlig überhitzt ist, kann das Drehen an der Zinsschraube auch dazu führen, dass sie abschmiert.

Heinemann: Natürlich, davor hat die Fed auch Angst. Außerdem kommt ja jetzt auch noch der Ukraine-Krieg hinzu. Dessen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft kann keiner richtig abschätzen. Dennoch halte ich die Gefahr einer Übersteuerung für nicht so groß. Der Arbeitsmarkt ist sehr stark, außerdem leiden die USA nicht so sehr unter den gestiegenen Energiepreisen. Die Vereinigten Staaten gehören selbst zu den größten Produzenten von Öl und Gas. Die US-Wirtschaft ist also doch sehr robust und kann höhere Zinsen leicht verkraften.

Welche Auswirkungen haben denn Zinserhöhungen in den USA auf die Weltwirtschaft und das Exportland Deutschland?

Heinemann: Da wird sich auf die Schnelle wenig tun. Mit einer Ausnahme: Der Dollarkurs ist in letzter Zeit im Vergleich zum Euro gestiegen. Dadurch werden zwar die europäischen Exporte billiger . . .

… dagegen werden die Energieeinfuhren …

Heinemann: … natürlich wie alle anderen Importe teurer. Dadurch kommt durch den schwächeren Euro jetzt in Europa noch ein stärkerer Inflationsschub an.

Sie haben die Fehleinschätzung der Fed bei der Inflationsgefahr kritisiert. Hat die Europäische Zentralbank nicht auch dieselben Fehler gemacht?

Heinemann: Nicht in diesem Ausmaß. Natürlich lag auch die EZB mit ihrer These falsch, dass nur temporäre Effekte Treiber der Inflation seien. Stichwort gestiegene Preise wegen Materialmangel. Aber man muss da schon unterscheiden: US-Präsident Joe Biden hat die Staatsverschuldung mit seinen gigantischen Konjunkturprogrammen drastisch erhöht, das wirkt sich sehr stark auf die Inflation aus. Das hat es in Europa in dieser Form nicht gegeben. Außerdem haben in der EU noch immer viele Länder den Corona-Schock ökonomisch nicht verkraftet. Zwar boomt auch der deutsche Arbeitsmarkt, doch in Südeuropa oder in Frankreich ist das nicht der Fall. Deshalb hat die EZB schon ein paar Argumente dafür, wenn sie meint, sie könne es ein bisschen gemächlicher angehen lassen.

Was heißt gemächlicher?

Heinemann: Dass die erste Zinserhöhung um 0,25 Prozent wahrscheinlich erst im Oktober kommt. Die EZB muss da aber schon früher handeln. Die Gewerkschaftsführer werden bei den nächsten Tarifverhandlungen kräftige Lohnerhöhungen verlangen. Wer das nicht tut, wird doch von seinen Mitgliedern weggejagt. Es wird also eine Preis-Lohn-Spirale einsetzen, die die Inflation zusätzlich befeuert. Nach zwei Jahren Inflation ist jedenfalls klar, dass wir es hier mit dauerhaften Inflationsschüben zu tun haben.

Wie hoch würden Sie denn die Zinsen anheben?

Heinemann: Wir dürfen die Kapitalmärkte nicht schocken. Gegenwärtig liegt der Leitzins bei minus 0,5 Prozent, er müsste bis zum Jahresende schon auf mindestens plus 0,5 Prozent hochgehen. 2023 könnte ich mir dann ein Zinsniveau in Richtung zwei Prozent vorstellen. Dann wären wir in der Zinsentwicklung ungefähr ein Jahr hinter den USA. Länger dürfen wir uns nicht abhängen lassen.

Nicht nur die EZB ist nervös, auch die Aktienmärkte. Höhere Inflationsraten wirken sich nach dem Lehrbuch negativ auf die Kurse der Unternehmen aus, weil ihre Kosten steigen und damit die Gewinne sinken.

Heinemann: Das stimmt in der Regel. Aber gegenwärtig können die Unternehmen wegen der Lieferengpässe die höheren Kosten an die Konsumenten weitergeben.

Daimler hat im vergangenen Jahr wegen des Materialmangels weniger Autos verkaufen können. Die Gewinne sind aber gestiegen, weil das Unternehmen einfach die Preise erhöht hat.

Heinemann: Ja, das ist ein gutes Beispiel. Hinzu kommt, dass gerade in Zeiten, in denen die Menschen das Vertrauen in die Geldwertstabilität verlieren, reale Aktiva, und dazu gehören ja Aktien, sehr attraktiv sind. Wenn Sie heute einen Vermögensverwalter fragen: Wie kann ich den realen Wert meines Besitzes bewahren, wird dieser Ihnen natürlich raten: Du musst Aktien kaufen. Am Ende werden die Kurse mit den Erträgen und Gewinnen steigen.

Auch zögerlichen Menschen bleibt dann also nur noch eine Wahl, wenn Sie nicht ihr Geld verbrennen wollen?

Heinemann: Ja, das sehe ich so.

Einen Crash müssen sie dann aber auch einkalkulieren.

Heinemann: Mit langem Anlagehorizont lassen sich auch Crashs verkraften. Im Rückblick werden Börsenneulinge dann später vielleicht sagen: Es war damals doch ein guter Einstieg.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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