Lieferketten

Lebensmittelhändler werden ihre eigenen Produzenten

Um den Warennachschub zu sichern, setzt die Branche auf heimatnahe Erzeugung unter dem eigenen Dach

Von 
Sabine Rößing
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Der Lidl-Mutterkonzern Schwarz Gruppe erwarb vor wenigen Tagen die Erfurter Teigwaren, einen der größten deutschen Nudelhersteller. © Bernd Wüstneck/dpa

Neckarsulm. Die Neckarsulmer Schwarz Gruppe entwickelt sich zunehmend von einem der größten Einzelhandelskonzerne Europas auch zu einem Produzenten von Nahrungsmitteln. Jüngstes Beispiel ist die Übernahme der Erfurter Teigwaren. Das Thüringer Traditionsunternehmen zählt zu den größten Nudelherstellern im Land. Mehr als 170 Mitarbeiter fertigen hier jedes Jahr rund 100 000 Tonnen Teigwaren.

Der Zukauf solle Lidl helfen, den Nachschub zu sichern, betont der Konzern. Dank der hohen Produktionskapazität könne die Schwarz Gruppe künftig nicht nur die eigenen Filialen selbst versorgen, sondern zusätzlich etwa ein Achtel des gesamten deutschen Marktes abdecken, rechnet das Branchen-Fachblatt „Lebensmittelzeitung“ (LZ) vor. Der Erfurter Nudelhersteller gehört nach Informationen der LZ auch zu den größten Produzenten von Eigenmarkennudeln in Deutschland.

Mit der Übernahme von Nahrungsmittelherstellern in das eigene Portfolio hat die Schwarz Gruppe durchaus Erfahrung. Am Standort Rheine etwa baut sie neben einer bestehenden Kaffeerösterei mit einer Kapazität von 50 000 Tonnen gerade ein Werk für Nüsse und Trockenfrüchte auf. Weitere Investitionen gibt es bei Mineralwasser, Schokolade, Backwaren, und Eiscreme. Die in der Tochtergesellschaft Schwarz Produktion gebündelten Betriebe beschäftigen mehrere tausend Mitarbeiter.

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Lidl betrachte seine Produktionsstandbeine als Baustein zur Sicherung der Lieferketten und der Warenverfügbarkeit in den Filialen, heißt es. Dass die nicht selbstverständlich ist, musste der gesamte deutsche Einzelhandel in den vergangenen Monaten schmerzlich erfahren. Rohstoffengpässe haben die Logistik unzuverlässiger und die Versorgung teurer gemacht.

Containerschiffe und Papierfabrik

„Wie es ist, wenn plötzlich Lieferketten zusammenbrechen und Grundstoffe fehlen, hat der Lebensmittelhandel spätestens seit Beginn des Jahres erfahren“, analysiert das Marktforschungsinstitut GfK. „Die Pandemie, der Ukraine Krieg, aber auch die Klimakrise rückten das Thema Versorgungssicherheit immer stärker in den Mittelpunkt“, unterstreicht ein Sprecher des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH).

Deshalb lässt es Lidl auch nicht nur bei der Lebensmittelherstellung bewenden. Der Konzern betreibt den Aufbau einer eigenen Containerschiffflotte. Erst wenige Wochen alt ist die Ankündigung, eine Papierfabrik bei Karlsruhe mit mehr als 400 Mitarbeitern zu kaufen. Das neue Werk macht die Schwarz Gruppe unabhängiger beim Druck von Prospekten. Altpapier kommt aus der konzerneigenen Recyclingsparte.

Das Geschäft mit Eigenmarken wird dabei nicht nur für Lidl immer wichtiger. Die meisten großen Lebensmittelhändler haben eigene Betriebe für Fleisch- und Wurstwaren, Backwaren, Snacks oder Erfrischungsgetränke aufgebaut. So zählt Rewe mit Wilhelm Brandenburg zu den größten Produzenten von Fleisch, Wurst und Schinken in Deutschland.

Vor allem die zuletzt teilweise chaotische Liefersituation an den großen Überseehäfen veranlasse die Händler, ihre Lieferketten zu überdenken und die Produktion wichtiger Güter wieder näher an das europäische Filialnetz heranzuholen, sagt Kai Hudetz vom Kölner Marktforschungsunternehmen IFH Köln. Der direkte Zugriff auf eigene Firmen erleichtert außerdem die Kontrolle von Produktions- und Sicherheitsauflagen.

Mit dem neuen Lieferkettengesetz erhöht die Bundesregierung den Druck auf Produzenten und Händler. Sie sollen gegen Menschrechtsverletzungen und Sicherheitsverstöße in der Fertigung vorgehen. Anbieter haften demnach künftig für ihre gesamte Produktionskette, auch wenn Verstöße von Lieferanten im Ausland begangen werden. Auch in der EU sollen hierzu bald strengere Vorschriften gelten.

Dienstleistungen immer wichtiger

Hudetz spricht von einer Verschmelzung von Wertschöpfungsstufen: „Ist Ikea heute ein Möbelhändler, der selbst produziert oder doch eher ein Hersteller, der seine Produkte selbst vertreibt?“, fragt er. Eine immer wichtigere Rolle spielten dabei Dienstleistungen, wie Liefer- und Lagerlogistik, Qualitätsprüfung, Recycling, oder IT. Der Onlinehändler Amazon setzte Zusteller wie DHL erfolgreich durch den Aufbau einer eigenen Spedition unter Druck. Rewe und Edeka sicherten sich über Beteiligungen Zugriff auf eine eigene Lieferflotte. Vor einem Jahr engagierte sich die Rewe beim Gorillas-Konkurrenten Flink, Edeka setzt auf das niederländische Start-up Picnic.

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