Interview

FDP: „Wir würden am liebsten die Stromsteuer für alle senken“

Reinhard Houben lehnt den Industriestrompreis ab, weil davon fast nur die chemische Industrie profitieren würde. Warum der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP zu den Lobbyverbänden ein distanziertes Verhältnis hat

Von 
Walter Serif
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SPD und Grüne wollen einen Industriestrompreis einführen, die FDP winkt aber ab – die Ampel ist uneins. © istock

Herr Houben, die FDP feiert sich gerne selbst als Wirtschaftspartei, ist es da nicht seltsam, dass die Verbände starke Kritik an Ihrem Wachstumschancengesetz üben?

Reinhard Houben: Eine jährliche Entlastung von sieben Milliarden Euro ist meiner Meinung nach in diesen schwierigen Haushaltslagen schon ein großer Beitrag. Ob wir ein gutes oder schlechtes Gesetz auf den Weg gebracht haben, sollten die Unternehmen vor Ort beurteilen und nicht die Verbände, die häufig eine andere Melodie spielen.

Wenn mehr Geld da wäre, würde die Entlastung höher ausfallen?

Houben: Klar, es gibt deshalb immer harte Debatten. Wir haben die Diskussion über die Senkung der Stromsteuer für alle . . .

. . . die die FDP favorisiert, während SPD und Grüne einen Industriestrompreis wollen . . .

Houben: . . . und natürlich gibt es auch geteilte Meinungen über die Verlängerung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes in der Gastronomie. Auch die vermeintliche Kürzung der Ausgaben für die Digitalisierung der Verwaltung hat viel Kritik ausgelöst.

Da könnte man sogar von einem Kahlschlag reden, die Mittel sollen ja von 337 Millionen auf drei Millionen gestrichen werden.

Houben: Bei den 337 Millionen handelt es sich ausschließlich um Mittel für die Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes, die planmäßig ausgelaufen sind. Für die anstehenden Aufgaben stehen zudem Ausgabenreste von mehreren hundert Millionen Euro zur Verfügung. Bei all diesen Debatten müssen wir am Ende jedoch wieder zu einer Konsolidierung des Haushalts kommen. Das ist zumindest die Position der FDP. Außerdem nur mal zur Klarstellung: Wir werden keinen Sparhaushalt beschließen, sondern geben noch immer fast 100 Milliarden Euro mehr aus als beim Etat 2019, dem letzten Haushalt vor all den Krisen.

Reinhard Houbel

  • Der FDP-Politiker Reinhard Houben (geboren1960 in Bensberg) gehört zu den wenigen Bundestagsabgeordneten, die auch als Unternehmer tätig sind. Seit 1983 ist der Rheinländer geschäftsführender Gesellschafter der Reinhard Houben GmbH. Der Familienbetrieb ist ein Lichttechnik-Großhändler.
  • Der Betriebswirt ist erst seit 1983 FDP-Mitglied. Seit 2017 sitzt er im Bundestag. Seit 2018 ist er wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion.

Lassen Sie uns über die Gastronomie reden, die ja als einzige Branche zwei Lockdowns erleben musste. Ist es vor diesem Hintergrund nicht fahrlässig, dass die Koalition den übergangsweise auf sieben Prozent gesenkten Mehrwertsteuersatz wieder auf 19 Prozent anheben will?

Houben: Die FDP würde die Ausnahmeregelung gerne weiterlaufen lassen, allerdings müssten die Mittel an anderer Stelle eingespart werden. Aber die Grünen wollen unabhängig davon die Subventionierung der Gastronomie beenden.

Warum denn?

Houben: Weiß ich nicht, da müssen Sie die Grünen fragen.

Sie weichen aus. Klar ist doch, dass auch die FDP andere Prioritäten gesetzt hat. Haben Sie nicht Angst, dass es in der Gastronomie zu einer Pleitewelle kommt?

Houben: Die Gastronomie ist in einer schwierigen Gesamtsituation. Es gibt aber unterschiedliche Signale. Manche Bereiche profitieren davon, dass die Pandemie vorbei ist. Die Leute sitzen wieder im Biergarten und steuern mit dem Fahrrad die Ausflugslokale an. Wir haben also auch Betriebe, die die Mehrbelastung bei der Mehrwertsteuer verkraften könnten.

Und anderen steht das Wasser bis zum Hals.

Houben: Ich weiß auch, dass die Lage für manche Gastronomen düster ist. Aber nicht nur wegen der Mehrwertsteuer. Schauen Sie sich nur die reduzierten Öffnungszeiten an bei Betrieben, die keine Köche und Kellner finden. Und dann gibt es natürlich auch Menschen, die sparen müssen und deshalb seltener oder gar nicht mehr in die Gaststätte gehen. Einige Betriebe werden deshalb schwere Zeiten erleben.

Wirklich nur einige? Der Gastronomieverband schätzt die Lage ganz anders ein.

Houben: Ich kenne die Zahlen, die der Gastronomieverband gestreut hat. Das ist von 10 000 bis 15 000 drohenden Schließungen die Rede. Das halte ich für die übliche Verbandsdramatik.

Dennoch sitzt das Geld bei den Leuten nicht mehr so locker. Wenn dann alles teurer wird, wird sich das doch auch auf die Zahl der Gäste auswirken, oder?

Houben: Die Erhöhung der Mehrwertsteuer betrifft ja nur einen Teil des Angebots. Der Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Getränke ist zum Beispiel nicht gesenkt worden.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Reinhard Houben. © Christoph Blüthner

Das weiß ich, aber die Gäste trinken ja nicht nur, sondern wollen etwas essen. Und die Preise für die Speisen sind durch die Inflation ohnehin schon gestiegen.

Houben: Noch einmal: Die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz wird natürlich einige Betriebe in Existenznöte bringen, wir würden deshalb davon abraten, doch in der Ampel gibt es da bisher keinen Konsens.

Sind die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze in der Gastronomie nicht ohnehin unsinnig? Warum muss der Gast für die Pizza am Tisch 19 Prozent zahlen, aber nur sieben, wenn er die Pizza abholt und zu Hause verspeist?

Houben: Systematisch ist das in der Tat Blödsinn, das ist einmal so festgelegt worden, aber so richtig will niemand rangehen. Es gibt ja auch Debatten, die noch weitergehen. Zum Beispiel, dass man den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für Grundnahrungsmittel senken oder gar abschaffen soll. Im Einzelfall stimmt die Logik nicht mehr, wonach nur für Güter des täglichen Bedarfs der reduzierte Satz von sieben Prozent gelten soll.

Katzenfutter sieben Prozent, Babynahrung 19 Prozent.

Houben: Auch das ist natürlich unsinnig, da bin ich voll bei Ihnen. Der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wollte das einmal ändern, aber da ist er gescheitert.

Sie nehmen das also so hin und sehen auch keine Signale in der Ampel-Koalition, dass dieser Unsinn geändert wird?

Houben: Es steht nicht im Koalitionsvertrag.

Beim Thema Mehrwertsteuer für die Gastronomie hat die FDP keine Lust, mit den Grünen zu streiten, beim Industriestrompreis dagegen schon. Warum? Nur weil das eine Subvention ist? Dann hätten Sie auch der Gaspreisbremse nicht zustimmen dürfen.

Houben: Wir haben der Gaspreisbremse zugestimmt, weil die Menschen eine kurzfristige von außen kommende Belastung hatten. Der Industriestrompreis ist damit nicht zu vergleichen. Er hat nämlich schon einen relativ langen Bart. Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hat die Industrie versucht, bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Industriestrompreis zu bekommen. Mit dem Argument, dass der Strom in Frankreich viel billiger wäre.

Seitdem ist der Strom in Deutschland aber viel teurer geworden.

Houben: Das stimmt so nicht. Wir liegen bei den Preisen wieder fast auf dem Niveau vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine und inzwischen unter dem EU-Durchschnitt. Außerdem wissen wir beide nicht, wie viel ein Großkunde . . .

. . . wie zum Beispiel die Ludwigshafener BASF . . .

Houben: . . . für seinen Strom zahlt. Wissen Sie, es ist bemerkenswert: Nur der VCI, also der Verband der Chemischen Industrie, tritt konsequent für den Industriestrompreis ein. Der Grund liegt auf der Hand: Seine Mitglieder würden zu 100 Prozent profitieren. Die meisten der nach dem Modell des Wirtschaftsministeriums ungefähr 2200 Betriebe, die subventioniert würden, stammen aus der Chemiebranche.

Sie wollen also nicht der Lobby aus der Chemieindustrie nachgeben?

Houben: Das kann und will ich nicht, denn irgendjemand muss dann die Kosten tragen. Entweder die anderen Stromkunden oder der Steuerzahler. Sie müssen wissen: Der Industriestrompreis ist immer von der SPD gepusht worden. Das liegt auch daran, dass es enge Kontakte zu den entsprechenden Gewerkschaften gibt. Die IGBCE macht da nichts anderes als der VCI. Die Grünen waren anfangs gegen den Industriestrompreis und haben dann die Argumentation der SPD übernommen.

Und die FDP lehnt den Industriestrompreis ab, weil sie immer gegen Subventionen ist?

Houben: Nein. Wir lehnen das ab, weil insgesamt nur ein kleiner Kreis in den Genuss kommt. Viele Unternehmen hätten gar nichts davon.

Man könnte den Kreis ausweiten.

Houben: Das geht so ohne Weiteres nicht. Die EU ist bei Beihilfen immer sehr streng. Deshalb haben wir einen anderen Vorschlag. Aber auch da gibt es natürlich wieder den Vorbehalt der Finanzierung.

Natürlich.

Houben: Wir würden gerne die Stromsteuer senken – für alle. Dann profitieren die Studentin, der Rentner, der Mittelständler um die Ecke und die meisten Großunternehmen.

Sie wollen also das Geld nach dem Gießkannenprinzip verteilen?

Houben: Das stimmt, wir wollen niedrigere Steuern für alle, statt Subventionen für wenige. Der Vorschlag wäre europarechtlich unbedenklich, das könnten wir sofort so beschließen. Der Industriestrompreis ist eine Subvention für eine bestimmte Branche. Ich glaube nicht, dass Kommissionschefin Ursula von der Leyen das durchwinken würde.

Haben Sie nicht Angst, dass es ohne den Industriestrompreis zur Abwanderung von Produktionsstätten kommen kann. Die BASF will eine der beiden Ammoniakanlagen in Ludwigshafen stilllegen . . .

Houben: . . . Bayer will sie in die USA verlegen. Natürlich kann es bestimmte Produktionen geben, die in Deutschland zu teuer sind. Wenn wir jetzt die Ammoniakherstellung subventionieren, wo hören wir denn da auf? Wir sind doch als Industriestandort darauf angewiesen, immer wieder mit neuen Ideen, Produkten, und Dienstleistungen neue Kunden zu gewinnen. Es gehört zum Lauf der Geschichte, dass bestimmte Produktionsstätten ins Ausland abwandern, wenn sie sich nicht mehr rentieren. Zum Beispiel die Textilindustrie. Das ist auch Marktwirtschaft.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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