Berlin. Zukunft durch Wandel: Unter diesem Motto wird in diesem Jahr in Saarbrücken offiziell der Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Es ist Tradition, dass das Bundesland, das die Bundesratspräsidentschaft innehat, in die eigene Landeshauptstadt lädt. Und so wird in diesem Jahr die saarländische Ministerpräsidentin und Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) unter anderem den französischen Präsidenten Emmanuel Macron als Gastredner in der deutsch-französischen Grenzstadt empfangen. Viel hat sich in den vergangenen 35 Jahren bereits gewandelt, an vielen Stellen ist das Land zusammengewachsen. Doch insbesondere mit dem Blick auf die Wirtschaft zeigt sich auch, dass vieles immer noch trennt. Ein Überblick in sechs Punkten.
Die Wirtschafts- und Finanzkraft in den ostdeutschen Ländern ist weiter unterdurchschnittlich
„Auch 35 Jahre nach der Deutschen Einheit bleiben die Wirtschafts- und Finanzkraft in den ostdeutschen Ländern unterdurchschnittlich“, heißt es in einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die dieser Redaktion vorab vorliegt. Zwar hätten die ostdeutschen Bundesländer zu den finanzschwachen westdeutschen Bundesländern aufgeschlossen – bereits heute hätte Brandenburg etwa das Saarland überholt und nähere sich Niedersachsen an. Auch Sachsens Finanzkraft wachse deutlich. Der Abstand der ostdeutschen Bundesländer zu den finanzstarken Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Hamburg vergrößere sich aber immer weiter.
Alle vier Bundesländer sind sogenannte Geberländer im Länderfinanzausgleich. Sie zahlen also Geld, das andere Bundesländer erhalten. An der Spitze steht Bayern: 6,7 Milliarden Euro hat der Freistaat allein im ersten Halbjahr des laufenden Jahres überwiesen. Die „größte Sauerei und ein Riesenscheiß“ sei das, echauffierte sich der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder unlängst beim ZDF-Talk von Markus Lanz.
Auf der anderen Seite stehen die finanzschwachen Bundesländer, darunter alle ostdeutschen. Berlin erhielt im ersten Halbjahr zwei Milliarden Euro, Sachsen 1,9 Milliarden Euro, Thüringen 1,2 Milliarden Euro, Sachsen-Anhalt eine Milliarde Euro, Mecklenburg-Vorpommern 827 Millionen Euro und Brandenburg 795 Millionen Euro. Aber auch Nordrhein-Westfalen als Wirtschaftsmotor, wo ein Fünftel des gesamten deutschen Bruttoinlandsprodukts erarbeitet wird, war auf Zahlungen von 935 Millionen Euro angewiesen.
Diese Entwicklung könnte sich verstetigen, warnt DIW-Ökonomin Kristina van Deuverden in ihrer Studie, in der sie verschiedene Szenarien der Steuerentwicklung weitergerechnet hat. „Vieles deutet darauf hin, dass die Heterogenität der Länder weiter zunimmt und das Volumen der Finanztransfers zwischen ihnen steigen wird.“
Bei der Arbeitsproduktivität hat Ostdeutschland stark aufgeholt
Bei der Arbeitsproduktivität, gemessen daran, wie viele Güter oder Dienstleistungen pro Arbeitsstunde erbracht werden, hat Ostdeutschland stark aufgeholt, wie aus einer weiteren DIW-Studie hervorgeht, die dieser Redaktion vorliegt. Demnach lag 1991 die durchschnittliche Arbeitsproduktivität der ostdeutschen Bundesländer bei rund der Hälfte des gesamtdeutschen Niveaus. Mittlerweile sei sie bei knapp 90 Prozent angekommen.
In den zurückliegenden zehn Jahren holten demnach vor allem die Bereiche Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Information, Kommunikation sowie das produzierende Gewerbe in Ostdeutschland stark auf. Über dem westdeutschen Schnitt liegt die Arbeitsproduktivität bereits in der Bildung, der Erziehung, im Gesundheitssektor oder in der öffentlichen Verwaltung, heißt es in der Studie. Auch in der Landwirtschaft wird in den ostdeutschen Bundesländern demnach eine überdurchschnittliche Produktivität erzielt.
Deutliche Unterschiede zwischen Ost und West bei Vermögen und Armut
Deutliche Unterschiede gibt es nach wie vor bei der Vermögensverteilung. So ermittelten das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das Statistische Bundesamt und das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in ihrem im vergangenen Jahr vorgestellten Sozialbericht, dass ostdeutsche Haushalte im Schnitt 150.900 Euro besitzen – in westdeutschen Haushalten sind es 359.800 Euro. In den zurückliegenden zehn Jahren habe sich diese Lücke kaum geschlossen, heißt es.
In Ostdeutschland ist auch die Armutsfalle größer: Nach Daten von 2022 lag das Armutsrisiko in Ostdeutschland bei 19,4 Prozent – im gesamtdeutschen Schnitt waren es lediglich 15 Prozent. Besonders deutlich werden die Unterschiede bei der Altersarmut: Während in westdeutschen Bundesländern 17 Prozent der 60- bis 69-Jährigen nach Angaben der Wiesbadener Statistiker von Armut bedroht sind, liegt das Risiko für Ostdeutsche bei 24 Prozent.
Westdeutsche Vollzeitbeschäftigte verdienen deutlich mehr als ostdeutsche
Beschäftigte in Ostdeutschland verdienten im vergangenen Jahr rund 13.000 Euro beziehungsweise 21 Prozent weniger als Beschäftigte in Westdeutschland, zitierte unlängst das Redaktionsnetzwerk Deutschland aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) abgefragt hatte. Demnach verdienten westdeutsche Vollzeitbeschäftigte im Jahr 2023 im Schnitt 60.798 Euro brutto, ostdeutsche 48.023 Euro.
Das Vergleichsportal Verivox hat ausgewertet, ob Ostdeutsche Nachteile bei der Aufnahme von Ratenkrediten haben. Die Ergebnisse liegen dieser Redaktion vor. Auch hier zeigt sich: Wer über das Vergleichsportal einen Kredit abgeschlossen hat, verdiente weniger, wenn er in Ostdeutschland beschäftigt ist. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen in Ostdeutschland betrug demnach 2413 Euro, in Westdeutschland waren es 2700 Euro. Das hat Folgen für die Kreditaufnahme: Im Durchschnitt nehmen Menschen aus Ostdeutschland 16.359 Euro auf, Westdeutsche über 1000 Euro mehr, 17.396 Euro. Die Ratenkredite sind für Ostdeutsche 3,5 Prozent teurer als für Westdeutsche: Im Mittel mussten sie 6,81 Prozent Zinsen zahlen, Westdeutsche 6,58 Prozent Zinsen.
Kein einziger Dax-Konzern hat seinen Sitz in Ostdeutschland
Besonders eindrücklich ist das nach wie vor vorherrschende Ost-West-Gefälle, wenn auf Deutschlands oberste Börsenliga geblickt wird. Im Deutschen Aktienindex (Dax) sind 40 Unternehmen vertreten – kein einziges davon hat seinen Hauptsitz in Ostdeutschland.
Immerhin, im MDax, dem Index der mittelgroßen Unternehmen, taucht eine ostdeutsche Firma auf: Carl Zeiss Meditec aus Jena. Bis Juni gehörte auch Jenoptik dem MDax an, stieg zuletzt aber ab. Delivery Hero, das kurzzeitig während der Pandemie im Dax war und nun wieder im MDax vertreten ist, hat seinen Firmensitz immerhin im ehemaligen Ost-Berlin. Alle anderen 48 MDax-Konzerne kommen aus Westdeutschland.
Die Bevölkerung im Westen wächst, die im Osten schrumpft
Der Westen wächst, der Osten schrumpft: Bundesweit ist die Bevölkerung seit 1991 in Deutschland gewachsen. Im Schnitt um 4,4 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern sind die Bevölkerungszahlen jedoch heruntergegangen, in Sachsen-Anhalt um 24,9 Prozent, in Thüringen um 18,6 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um 17,4 Prozent, in Sachsen um 14,2 Prozent und in Brandenburg um 0,2 Prozent. Unter den westdeutschen Ländern ist nur das Saarland geschrumpft (minus 5,7 Prozent), alle anderen Bundesländer haben an Bevölkerung hinzugewonnen. Spitzenreiter sind Bayern (plus 14,6 Prozent), Baden-Württemberg (plus 13,5 Prozent) und Hamburg (plus 12 Prozent).
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