Mannheim. Manchmal blitzen im Gerichtssaal Schicksale auf, die davon künden, dass verschlungene Lebenswege einer Anklage vorausgegangen sind. Dies gilt auch für einen vor dem Mannheimer Landgericht gestarteten Wirtschaftsstrafprozess: Dem früheren, inzwischen 72-jährigen Geschäftsführer und Gesellschafter eines Pflegedienstes und der Mutter von zwei schwerbehinderten Söhnen sowie deren Ehemann wird zur Last gelegt, insbesondere Krankenkassen um Leistungen betrogen zu haben.
Dass Abrechnungsmanipulationen vor Gericht landen, ist kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr hat eine andere Mannheimer Wirtschaftsstrafkammer die Betreiberin eines Pflegedienstes in Ketsch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Kammer ging von Profitgier aus. In dem aktuellen Prozess ist die Ausgangslage deutlich komplexer: Ein inzwischen insolventer Mannheimer Pflegedienst und ein damit verwobenes Unternehmen boten nicht nur Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Schwerstbehinderte, es wurden auch Menschen im Rollstuhl beschäftigt. Doch dieses Konzept ging wirtschaftlich nicht auf.
Eigentlich sollte sich in dem Prozess auch der einstige Geschäftspartner des 72-Jährigen verantworten – der ist aber abgetaucht. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Betreiber der in Mannheim-Neckarau angesiedelten Pflegdienste (GmbH) bei Krankenkassen, aber auch anderen Leistungsträgern wahrheitswidrig Ansprüche geltend gemacht haben. Und dies soll teilweise in „gewolltem“ Zusammenwirken mit betreuten Patienten beziehungsweise deren Angehörigen geschehen sein.
Für medizinische Verrichtungen Spezialisten vorgetäuscht
Angeklagt ist der Verdacht von über 180 Betrugsabrechnungen zwischen 2015 und 2019 in der Größenordnung von rund zwei Millionen Euro. Beispielsweise soll für medizinische Verrichtungen wie Schleim-Absaugen Fachpersonal vorgetäuscht worden sein, indem man examinierte Kräfte auf dem Papier gering beschäftigte und diesen jeweils 100 Euro monatlich dafür zahlte, deren Urkunden vorlegen zu können. Zum Team gehörte ausschließlich Hilfspersonal. Die Strafverfolgungsbehörde legt neben erschlichenen Leistungen obendrein auch Scheinarbeitsverhältnisse zur Last. Dieser Vorwurf gilt auch für das angeklagte Ehepaar, Mutter und Stiefvater von zwei Söhnen mit nicht heilbarem Muskelschwund.
Beim Prozessauftakt gibt der zwei Mal geschiedene 72-Jährige Einblicke in eine kurvenreiche Berufsbiografie – vom Krankenpfleger und Freizeitpädagogen über das Abendgymnasium-Abitur bis zum Studium der Psychologie. Formulierungen wie „mir ist alles über den Kopf gewachsen“ oder „ich war überfordert“ tauchen in seinen Aussagen mehrfach auf.
Die Schilderungen der sichtlich aufgewühlten Angeklagten offenbaren emotionale Achterbahnfahrten, außerdem einen extrem herausfordernden Alltag. Die heute 63-Jährige hat jung zwei vermeintlich gesunde Söhne bekommen, bei denen im Kindesalter ein genetisch bedingter Abbau von Muskulatur diagnostiziert wurde. Und dieser sollte die beiden in den Rollstuhl bringen und ihnen als Erwachsene das Leben nehmen. Die Mutter leistete im Wesentlichen Versorgung und Pflege. Der Prozess sieht bis 21. Oktober vier Verhandlungstage vor.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/wirtschaft_artikel,-regionale-wirtschaft-prozess-in-mannheim-hilfskraefte-beschaeftigt-fuer-fachpersonal-kassiert-_arid,2246612.html