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Tennis-Trainer Rainer Schüttler: „Bei Frauen muss man Kritik verpacken“

Als Silbermedaillengewinner, Australian-Open-Finalist und frühere Nummer fünf der Welt hat Rainer Schüttler auf der Tennis-Männertour viel erlebt. Nun ist er für die DTB-Frauen zuständig - und stellt Unterschiede fest

Von 
Lars Müller-Appenzeller
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Glücklicher Teamchef: Rainer Schüttler mit Jule Niemeier nach deren Sieg im Billie Jean King Cup gegen die Brasilianerin Beatriz Haddad Maia. © Christoph Schmidt/dpa

Stuttgart. Rainer Schüttler hat beste Laune. Der Teamchef der deutschen Tennisfrauen hat sich am Wochenende in Stuttgart mit seiner Mannschaft für das Finale der besten zwölf Teams im Billie Jean King Cup qualifiziert - und nun unter anderem über die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Profis gesprochen.

Herr Schüttler, als Direktor des Männerturniers in Genf und Kapitän des Billie-Jean-King-Cup-Teams müssen Sie sowohl die Männer- als auch die Frauentour im Blick haben. Wo sind Sie besser auf dem Laufenden?

Schüttler: Ich bin auf beiden Touren zu Hause, habe schon Männer und Angelique Kerber gecoacht. Vom Gefühl her ist die Männertour ein bisschen näher, weil ich 18 Jahre dort gespielt habe. Aber deshalb besuche ich Frauenturniere wie jetzt in Stuttgart und schaue mir viele Videos an, um zu sehen, wer welche Stärken und Schwächen hat.

Sie kennen Ihr Pendant bei den deutschen Männern, den Teamchef des Davis-Cup-Teams Michael Kohlmann, noch von Ihrer Zeit als Profi. Wie läuft der Austausch zwischen Ihnen beiden?

Schüttler: Sehr gut - schließlich sind wir privat befreundet, haben zusammen Doppel gespielt. Wir sehen uns vor allem bei den Grand-Slam-Turnieren und waren bei den Olympischen Spielen in Tokio. Vor zwei, drei Monaten hatte ich beispielsweise eine Frage an ihn, wollte wissen, wie er ein Thema im Davis-Cup-Team handhabt.

Was schätzen Sie an der Arbeit mit Frauen?

Schüttler: Sie kommunizieren offen und ehrlich. Ich kannte die Mädels von der Tour - aber nicht so eng. Ende des vergangenen Jahres hatten wir ein Gespräch, in dem sie gesagt haben, dass sie es schätzen würden, wenn ich öfter bei Turnieren wäre. Damit sich alle noch besser kennen: die Spielerinnen, ihre Trainer und ich. Das hilft in einer Billie-Jean-King-Cup-Woche, die stets sehr intensiv ist. Wie man noch immer an meiner Stimme hören kann.

Kommunizieren Männer anders?

Schüttler: Man sagt ja, dass Frauen 1000 Gedanken im Kopf haben und Männer drei bis fünf. Frauen sind sensibler, ihnen sind Kleinigkeiten viel wichtiger. Da muss man Kritik ein bisschen mehr verpacken. Männer sagen eher: „Egal, weiter geht’s!“ Deshalb ist es wichtig für mich, zu wissen, was mein Team braucht.

Ein sensibles Thema ist immer das Geld. Wie ist das in Ihrem Team?

Schüttler: Die Mädels sagen: Egal, was an Prämien in der gemeinsamen Woche in den Topf kommt - ob wir gewinnen oder verlieren - wir teilen das gerecht auf. Das haben wir in meiner Zeit im Davis Cup auch so gemacht, wobei es je nach Spielerkonstellation Ausnahmen gab.

Hat der Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den zurückgetretenen DTB-Vizepräsidenten Dirk Hordorff dem deutschen Tennis geschadet?

Schüttler: Das weiß ich nicht.

Es dürfte im Tennis niemanden geben, der Hordorff besser kennt als Sie.

Schüttler: Ja, ich kenne ihn seit 30 Jahren. Deswegen bin ich auch so überrascht. Zu mir war er immer mehr als korrekt und hat sich zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise übergriffig verhalten.

2004 haben Sie in Athen im Doppel mit Nicolas Kiefer olympisches Silber gewonnen. Aber ist das auch Ihre tragischste Niederlage, die Sie immer noch plagt?

Schüttler: Nein, das nicht. Weil es mit Abstand betrachtet einer der schönsten Momente war, den ich auf dem Tennisplatz hatte. Wir waren in jedem Match Außenseiter, standen trotzdem im Finale, hatten Matchbälle. Aber ja, es war meine bitterste Niederlage, an der ich zu knabbern hatte. Kiwi und ich saßen danach zwei Stunden nebeneinander auf dem Balkon und haben kein Wort geredet. Ich kann mich nicht erinnern, jemals annähernd so traurig gewesen zu sein. Bis es zu einem Umdenken in meinem Kopf kam.

Wie das?

Schüttler: Am nächsten Tag bin ich nach Hause zu meinen Eltern geflogen, wo ich nur meine Ruhe haben wollte. Aber die wollten Leute einladen und haben mich so lange genervt, bis ich gesagt habe: Macht, was ihr wollt. Eine halbe Stunde später war das Haus voll. Die Medaille ging rum, jeder hat mal draufgebissen, es wurde gefeiert. Eine Blaskapelle kam auch noch vorbei. Da habe ich erst gesehen, was das für die Menschen bedeutet. Und da habe ich mich gefragt: Warum bist du so traurig?

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