Der Arbeitsnachweis Carolin Lehrieders nach einem vollendeten Wettkampf ist für den „Otto-Normal-Bürger“ nur schwer visualisierbar. Die Würzburgerin gehört zu den besten Triathletinnen der Welt. Zwischen Start und Ziel liegen in ihrem Sport eine Schwimmstrecke von 3,86 Kilometer, anschließend ein Radrennen über 180,2 Kilometer und zum krönenden Abschluss noch ein Marathonlauf (42,195 Kilometer). Wohlgemerkt: Alles am Stück, an ein und demselben Tag.
Ausbremsen lässt die 31-jährige Profisportlerin sich naturgemäß nur selten von etwas. Die Corona-Pandemie stellt aber auch ihr Jahr 2020 gehörig auf den Kopf. Den Fränkischen Nachrichten erzählte Caro Lehrieder in einem Interview, wie sie mit der gegenwärtigen Situation umgeht.
Als die Pandemie begann, kamen Sie gerade zurück aus dem Trainingslager in Spanien. Wie haben Sie die neue Situation dann Mitte März aufgenommen?
Carolin Lehrieder: Es war schon so etwas wie ein Schock anfangs. Ich war gerade topfit und bereit für die Wettkämpfe. Ende März wollte ich bei einem Rennen in der Nähe von Barcelona an den Start gehen. Die ersten Absagen haben aber nicht lange auf sich warten lassen. Recht schnell wurde auch klar, dass für längere Zeit erstmal kein Triathlon-Event mehr ausgerichtet werden darf.
Als Weltklasse-Triathletin dürften Sie in Sachen Motivation eigentlich nie Probleme haben, oder?
Lehrieder: Doch, die geriet da auch bei mir ins Wanken. Das war anfangs ein Auf und Ab. Bei schönem Wetter fiel es mir recht einfach, etwas zu machen. War es jedoch draußen weniger angenehm, dann war es schwer, den letzten Drive zu bekommen. Ich weiß ja nicht, wofür ich gerade trainiere. Ich habe mich dann dazu entschlossen, das Trainingspensum zwar herunterzufahren, aber nicht vollständig, denn sonst hat man als Profisportler irgendwie ja gar nichts mehr. Mir gibt der Sport Struktur für den Tag und eine gewisse Routine.
Haben Sie in den letzten Wochen – so ganz ohne Wettkampfdruck – vielleicht sogar eine neue Seite am Sport kennenlernen können?
Lehrieder: Mittlerweile habe ich mich mit der Situation ganz gut abgefunden. Ich genieße es sogar, einfach mal stressfrei trainieren und dabei wieder mehr in meinen Körper hineinhören zu können. Gerade spüre ich, wie schön es ist, fit zu sein und draußen sein zu dürfen. In Deutschland hatten wir die ganze Zeit zum Glück die Situation, weiterhin draußen Laufen und Radfahren zu können. Das war in vielen anderen Ländern in den letzten Wochen nicht möglich.
Hand aufs Herz: Glauben Sie, dieses Jahr noch einmal an den Start gehen zu können?
Lehrieder: Für den Herbst sind nach wie vor Wettkämpfe geplant. Aber da muss man schon sehr viel Optimismus frühstücken, um daran zu glauben, dass diese stattfinden können. Aber wie heißt es so schön? Die Hoffnung stirbt immer zuletzt.
Dabei hätte es eigentlich ihr Jahr werden sollen. Durch ihren ersten Ironman-Sieg im vergangenen September in Italien haben Sie sich für den Ironman auf Hawaii im Oktober 2020 qualifiziert – dem absoluten Triathlon-Olymp . . .
Lehrieder: Ja, eigentlich sollte 2020 ein Jahr werden, in dem ich mir einen perfekten Plan aushecke, damit ich im Oktober auf Hawaii topfit an den Start gehen kann – ganz ohne Druck, mich für irgendetwas noch qualifizieren zu müssen. Jetzt ist das exakte Gegenteil eingetreten. Innerhalb weniger Wochen wurde aus einer hundertprozentigen Planungssicherheit eine ’Keiner-weiß-irgendwas’-Situation. Jetzt hangle ich mich irgendwie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche – also genau das, was ich nicht wollte. Aber wenn wir Ausdauersportler irgendetwas können, dann dies: Auch nach Rückschlägen weiter dabei bleiben. Ich hätte mich ja auch verletzten können und deshalb ein Jahr keinen Wettkampf machen können.
Sie sind seit fünf Jahren Profi, leben also von den Einnahmen aus dem Sport. Wie überstehen Sie finanziell ein Jahr, in dem vielleicht überhaupt kein Wettkampf möglich ist?
Lehrieder: In jedem Fall wird es ein schwieriges Jahr. Ich darf zwar gerade meinen Sport ausüben, aber kann damit kein Geld verdienen. Prämien und Preisgelder machen meinen Verdienst aus. Das fällt bis auf Weiteres komplett weg. Ich arbeite nebenher aber auch noch in einem Geschäft für Laufschuhe in Würzburg. Derzeit kann ich auch noch nicht abschätzen, wie das nach der Krise weitergeht, ob sich die Sponsoren dann noch den Luxus gönnen, Sportler und Veranstaltungen zu unterstützen. Meine Sponsoren sind aktuell gerade sehr verständnisvoll. Es wäre etwas anderes, wenn ich jetzt einfach ein schlechtes Jahr hätte und keine Leistung bringen würde. Das Gute für mich ist, dass ich die Qualifikation für Hawaii sicher in der Tasche habe. Hawaii zieht im Triathlon ziemlich.
Das Wichtigste für uns alle ist natürlich die Gesundheit. Beachten Sie in der Trainingssteuerung in Zeiten von Corona irgendetwas speziell?
Lehrieder: Klar ist es wichtig, das Immunsystem jetzt nicht zu sehr durch zu intensives Training zu belasten. Falls man sich mit Corona infiziert, ist ein starkes Immunsystem natürlich gut. Aber so hart trainiere ich derzeit ohnehin nicht. Für was auch? Als Sportler hat man übrigens meiner Ansicht nach sowieso ein ganz anderes Bewusstsein für die aktuellen Vorsichtsmaßnahmen. Bei mir ist es im Winter immer schon so, dass ich versuche, möglichst wenigen die Hand zu geben, auf Reisen die Hände oft zu desinfizieren und große Menschenmassen zu meiden. Ich tat dies, um keine Grippe zu bekommen, mit der ich mein Training oder einen Wettkampf gefährdet hätte. Von daher ist das gerade gar keine besonders große Umstellung für mich.
Wenn schon kein seriöser Blick nach vorne möglich ist, blicken wir doch einfach mal zurück auf Ihre bisherige Karriere. Sind Sie zufrieden mit dem Erreichten?
Lehrieder: Die letzten Jahre waren immer ein großes Auf und Ab bei mir. Insgesamt bin ich aber ganz schön stolz darauf, wie sich das alles entwickelt hat. Nach meinem Studium war das eigentlich nur mal so als Projekt geplant, es mit der Profilizenz zu probieren. Dass ich dann wirklich mal einen Ironman gewinne, daran hat keiner geglaubt – ich selbst auch nicht. Das war dann im vergangenen Jahr schon die Krönung. Die Langdistanz im Triathlon ist eine komplexe Sache. Da muss einfach alles passen, um die eigene Entwicklung und Leistungsfähigkeit auch in den Rennen abrufen zu können. Mal sind es Probleme am Rad, mal hat etwas mit der Ernährung nicht gestimmt. Das sind ganz viele Puzzleteile, die irgendwann einmal zusammenpassen müssen. Im vergangenen Jahr in Italien hat das erstmals so richtig gut geklappt. Das war ein perfektes Rennen und die Erfüllung eines Traums für mich. Darauf gilt es künftig aufzubauen, weiter an allem zu basteln, um bereit zu sein, wenn es irgendwann wieder möglich ist.
Haben Sie abschließend noch ein paar Tipps für alle Freizeitsportler, um sich auch während Corona fit zu halten?
Lehrieder: Ich finde es echt schön, dass so viele Leute jetzt neu oder wieder mit dem Laufen oder Radfahren angefangen haben. Dabei sollte jeder allerdings darauf achten, es nicht gleich zu übertreiben. Man soll sich lieber langsam steigern. Aber auch, wenn gerade keine Wettkämpfe stattfinden, kann ich nur empfehlen, sich persönliche Ziele zu setzen. Jeder kann sich ein Datum fixieren, an dem er sich eine Strecke vornimmt oder einfach versuchen, die eigene Bestzeit zu knacken. So etwas hilft, um die Motivation hochzuhalten – und natürlich um auch langfristig am Ball zu bleiben.
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