Kolumne "Trinkpause" Fußball-Torwart allein im Nebel - und ein Polizist als Erlöser

In unserer Kolumne Trinkpause widmen wir uns Fußball-Themen abseits des Tagesgeschäfts. Diesmal berichtet Marc Stevermüer von einer kuriosen Geschichte aus England

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Marc Stevermüer
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Mannheim. Der Herbst ist da. Und damit auch der Nebel. Samuel Bartram ist in Deutschland vermutlich nur wenigen bekannt. Wenn überhaupt. Zwischen 1934 und 1956 bestritt der Fußball-Torwart 623 Spiele für den englischen Traditionsverein Charlton Athletic, sogar als 42-Jähriger stand er noch für „The Addicks“ (die Süchtigen) zwischen den Pfosten. Man darf also getrost von einer glorreichen Karriere sprechen, zu der Bartram allerdings eher durch glückliche Umstände kam.

Nach der Schule wurde er Bergarbeiter im Nordosten Englands, spielte in seiner Freizeit als Mittelstürmer oder Außenverteidiger im Amateurbereich. Doch es kam ein Tag, der alles veränderte. Der Dorfverein Boldon Villa suchte 1934 kurzfristig einen Torwart fürs Pokalfinale. Bartram übernahm. Und wie es der Zufall wollte, war auch ein Scout von Charlton Athletic vor Ort. Der aufmerksame Beobachter machte sich eifrig Notizen und staunte. Denn er sah, wie der Aushilfskeeper Bartram ganz und gar nicht wie ein Aushilfskeeper spielte. Der Torwart fiel mit seinen Reaktionen auf - und spielte wenig später für Charlton.

Das Spiel erschien Bartram sehr ruhig - zu ruhig

Doch nun zurück zum Nebel: Am 25. Dezember 1937 trat Bartram mit seinem Club beim FC Chelsea an. Im Stadion der Londoner, der legendären Stamford Bridge unweit der Themse, wurde kurz nach dem Anpfiff der Nebel immer dichter. „Er zog an Vic Woodley im Chelsea-Tor vorbei und rollte stetig auf mich zu. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel und ließ es dann, als die Sicht klarer wurde, wieder aufleben. Wir waren zu diesem Zeitpunkt obenauf und ich sah immer weniger Gestalten, während wir stetig angriffen“, beschrieb Bartram später in seiner Autobiografie die teils gespenstische Szenerie.

Seiner Meinung nach verlief die Partie ungewöhnlich still, doch der Torwart dachte sich nichts dabei. Im Gegenteil: Pflichtbewusst - also typisch britisch - blieb er in seinem Strafraum stehen und starrte konzentriert in den Nebel. Immer bereit, um im Notfall gegen einen plötzlich aus dem Nichts heranstürmenden Chelsea-Angreifer zur Stelle zu sein. „Nach langer Zeit“, schrieb Bartram, „tauchte tatsächlich eine Gestalt aus dem Nebelvorhang vor mir auf.“ Der Keeper war bereit, einzugreifen und sein Tor zu verteidigen. Doch auf ihn kam zu seiner großen Verwunderung überhaupt kein gegnerischer Spieler zu. Es war ein Polizist - und der starrte den Schlussmann ungläubig an. „Was in aller Welt machen Sie hier?“, habe der Ordnungshüter keuchend gefragt. „Das Spiel wurde vor einer Viertelstunde unterbrochen. Das Feld ist völlig leer.“

Als er sich in Richtung Umkleidekabine „getastet“ habe, schrieb Bartram, seien seine Teamkollegen bereits aus der Badewanne gestiegen und hätten sich vor „Lachen geschüttelt“. Was wieder einmal beweist: Hin und wieder ist der Torwart der einsamste Mann auf dem Feld. In diesem Fall sogar im wörtlichen Sinne.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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