Die Strategen der Schachfreunde Anderssen Bad Mergentheim sind als Aufsteiger erfolgreich in ihre Premierensaison in der Bundesliga gestartet – gegen den FC St. Pauli und Werder Bremen gab es die tolle Ausbeute von drei Zählern. Gastgeber der ersten Doppelrunde war mit dem USV TU Dresden einer der deutschen Traditionsvereine. Gespielt wurde im historischen Lingnerschloss mit Blick über die Elbe. Der Ort hätte kaum besser sein können, um ein neues Kapitel Bad Mergentheimer Schachgeschichte aufzuschlagen.
Bei Veröffentlichung der Aufstellungen zwei Stunden vor Spielbeginn war die Verwunderung groß. Zwar hatte man nicht unbedingt damit gerechnet, dass der FC St. Pauli mit dem kompletten Star-Ensemble in Dresden auflaufen wird. Dass allerdings von den hochkarätigen Neuzugängen, allen voran Magnus Carlsen, kein einziger erschien, sorge für etwas Verwunderung.
Ein Zugang im Einsatz
Da auch die Schachfreunde zum Saisonauftakt noch nicht alle Register zogen und von den Neuzugängen lediglich an Brett acht den tschechischen Nachwuchsspieler, Fidemeister (FM) Jakub Kusa, einsetzten, wurde die Begegnung gegen Mitaufsteiger FC St. Pauli zu einem Duell auf Augenhöhe – mit bewährten Kräften aus der Meistersaison.
Direkt vor Spielbeginn hatten die Hanseaten noch eine weitere Überraschung parat. In der Tradition eines Fußballvereins wurde dem Gegner ein Vereinswimpel überreicht.
Das Ziel für die Schachfreunde war klar: Auch an den Brettern wollte man etwas Zählbares mitnehmen. In einem spannenden Match fielen die ersten Entscheidungen an den hinteren Brettern. Während FM Jachym Nemec an Brett sieben in eine Zugwiederholung einwilligen musste, war es ausgerechnet Neuzugang Jakub Kusa, der die Kurstädter in Führung brachte. Mit kombinationssicherem Angriffsspiel wusste der 18-Jährige Tscheche auf Anhieb zu überzeugen.
Mit dieser Führung im Rücken, steuerte Internationaler Meister (IM) Timothé Razafindratsima – jüngst erst U 18-Europameister geworden – ebenso einen sicheren halben Punkt bei, wie wenig später Routinier, Großmeister (GM) Petr Neuman, gegen die achtmalige polnische Meisterin GM Monica Socko. Auch GM Vyacheslav Ikonnikov musste trotz Mehrbauer ins Remis einwilligen, da sein Gegner ein Läufer-Endspiel fehlerfrei verteidigte.
Die Zuversicht auf Bad Mergentheimer Seite bekam dann einen herben Dämpfer. IM Fy Rakotomaharo spielte an Brett zwei gegen GM Igor Janik eine zweischneidige Caro-Kann-Partie. Bei knapper werdender Bedenkzeit ließ er allerdings beste Gelegenheiten aus, so dass sich sein Gegenüber in ein vorteilhaftes Endspiel rettete, das dem FC St. Pauli schlussendlich den 3:3-Ausgleich bescherte.
Die Mergentheimer Hoffnungen lagen nun einmal mehr auf dem am Spitzenbrett kämpfenden GM Valeriy Kazakovskiy. Mit den schwarzen Steinen hatte er sich gegen GM Bartosz Socko in seiner ganz typischen Art allmählich Vorteile erarbeitet. In der anderen noch laufenden Partie entschied sich daraufhin IM Lukas Vlasak, kein Risiko mehr einzugehen und wickelte seine hoch komplizierte Stellung mit beiderseitigen Angriffschancen ins Dauerschach ab. Es war genau einer dieser Momente im Mannschaftsschach, in denen es Gold wert ist, die Stärken seiner Mitspieler richtig einzuschätzen. Mit gekonnter Gewinnführung vollendete GM Valeriy Kazakovskiy – wie so oft in der Vorsaison - nach etwa fünf Stunden Spielzeit zum vielumjubelten 4,5:3,5-Endstand.
Mit diesem im Vorfeld kaum zu erwartenden Auftaktsieg gegen den FC St. Pauli hatten sich die Schachfreunde Anderssen in der Schachbundesliga bestens eingefunden.
Wenig Zeit zum Feiern
Viel Zeit zum Feiern blieb nicht, denn in der Sonntagsbegegnung erwarteten die Kurstädter mit dem SV Werden Bremen einen ganz starken Gegner. Der Dritte der Vorsaison hatte einiges gutzumachen, denn in der Auftaktpartie war man gegen die Gastgeber überraschend mit 2,5:5,5 sang- und klanglos untergegangen.
Bei unveränderter Mannschaftsaufstellung war Bremen mit durchschnittlich 75 ELO-Punkten Vorsprung Favorit. Bad Mergentheim, mit dem Sieg vom Vortag im Rücken, rechnete sich aber Chancen aus.
Die Begegnung nahm zunächst einen ausgeglichenen Verlauf, ein ELO-Unterschied war an den Brettern nicht zu erkennen. Die ersten Akzente setzte einmal mehr ein Bad Mergentheimer. FM Jachym Nemec (Brett sieben) hatte seinen Gegner bereits in der Eröffnung geschickt unter Druck gesetzt, so dass dieser gezwungen war, alle entwickelten Figuren wieder auf die Grundreihe zurückzuziehen. Diesen Stellungsvorteil münzte der 16-Jährige routiniert in einen Mattangriff um, so dass sein Gegner wenig später aufgeben musste.
Anschließend einigten sich in jeweils ausgeglichenen Stellungen IM Lukas Vlasak und GM Petr Neuman mit ihren Gegnern auf Remis. Auch IM Fy Rakotomaharo steuerte mit Schwarz gegen den nominell deutlich stärkeren GM Alexander Areshchenko ein nie gefährdetes Remis bei. Ebenfalls in eine Punkteteilung einwilligen musste der ukrainischen Großmeister Zahar Efimenko. Die Partie gegen den Bad Mergentheimer IM Timothé Ratsafindratsima war in ein ungleiches Läuferendspiel verflacht, so dass Gewinnversuche zwecklos waren.
Ausgleichschance genutzt
Zu diesem Zeitpunkt lag Bad Mergentheim nach wie vor mit einem Punkt in Führung. Da auch die Endspiele von GM Valeriy Kazakovskiy gegen GM Luke McShane (Brett eins) und FM Jakub Kusa gegen IM Collin Colbow (Brett acht) zwangsläufig in einem Remis endeten, lagen die Bremer Ausgleichshoffnungen allein auf GM Bobby Cheng (Australien), der gegen GM Vyacheslav Ikonnikov ein vorteilhaftes Turmendspiel auf dem Brett hatte. Nach über fünf Stunden und knapper werdender Bedenkzeit gelang es dem Australier doch noch, die Partie zu Gunsten des SV Werden Bremen zu entscheiden und somit den 4:4-Endstand sicherzustellen.
Zusammen mit dem Sieg vom Vortag nehmen die Schachfreunde Anderssen drei Punkte aus dem Doppelspieltag in Dresden mit nach Hause. Die Schachspieler des SV Werder Bremen durften am Ende froh sein, dass es wenigstens ein Zähler geworden ist – wer hätte das im Vorfeld gedacht?
Für Bad Mergentheim war es ein Auftakt nach Maß. Weiter geht es am Samstag, 30. November, gegen keinen geringeren Gegner als die OSG Baden-Baden. Am Sonntag, 1. Dezember, darauf erwartet die Schachfreunde mit den gastgebenden SF Deizisau ebenfalls ein dicker Brocken.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/sport_artikel,-sport-bad-mergentheimer-strategen-feiern-bundesliga-start-nach-mass-_arid,2250072.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.fnweb.de/orte/bad-mergentheim.html