Mainfranken Theater

Überraschend gelungene Liaison von Effekt und Inhalt

Beeindruckende Premiere der Oper „Elektra“ von Richard Strauß in der Blauen Halle

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ferö
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Die Oper „Elektra“ von Richard Strauss sprengt als gewaltige Tragödie fast den Rahmen der Blauen Halle als Ersatzspielstätte des mainfranken Theaters. © Nik Schölzel

Es sind überwältigende Klangwelten, die das Philharmonische Orchester Würzburg mit einem Riesenaufgebot von über 100 Instrumentalisten in der Blauen Halle mit der Premiere der Oper „Elektra“ von Richard Strauss entfaltet. Schon vor den ersten Tönen meint man es im Zuschauerraum förmlich vor Spannung knistern zu hören. Symbolträchtig, wenn auch der Not der viel zu kleinen Bühne der Ersatzspielstätte geschuldet, breiten sich die Instrumentengruppen aus. Ein quadratischer Kubus steht mit einer drehbaren Rückwand mitten auf der Bühne und lässt auf beiden offenen Seiten noch Platz für Schlagzeug und Blech. So müssen sich Solisten und Chor ihren beengten Weg dazwischen teilweise im „Gänsemarsch“ bahnen.

Orchester in der Hauptrolle

Hörbar bereitet es Dirigent Enrico Calesso und seinen Philharmonikern Vergnügen, mit der expressiven und innovativen Orchestermusik die emotionalen Nuancen und das psychologische Drama der Charaktere intensiv auszuleuchten. Tatsächlich schiebt die Werthaltigkeit und Stärke der musikalischen Einfälle von Strauss das Orchester zwangsläufig in die Hauptrolle dieser Oper, weil von Elektras Klage über den verlorenen Vater, über den verstörenden Streit mit der Mutter Klytämnestra, das Wiedersehen mit dem totgeglaubten Bruder Orest bis hin zum Muttermord und dem Ende der Elektra in einem tranceähnlichen Rausch der Komponist die Bilder so plastisch wie möglich vor den Zuhörern präsentiert. Das Orchester spiegelt die Rachegelüste und den Wahnsinn der Elektra mit größter Intensität bis an die Grenzen der Ästhetik wider.

Selbstgerechtigkeit und Hass

Diese Grenzen überschreiten auch die – nur auf den ersten Blick – bieder wirkende Inszenierung von Nina Russi und das Bühnenbild mit den Kostümen von Julia Katharina Berndt nicht. Das Sprichwort „Aus der Not eine Tugend machen“ passt schon deshalb, weil die Enge der kammerspielartigen Spielfläche das Klaustrophobische der bedrückenden Atmosphäre am mykenischen Hof ins Blickfeld rückt.

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Veröffentlicht
Von
Felix Röttger
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Die schwarze Trauerkleidung und Springerstiefel tragende Elektra mit Gothic-Make-up, die unter dem Bühnenboden in einem Verschlag haust, lebt nur für ihre permanenten Rachegelüste, befreit von allen Konventionen ihrer königlichen Herkunft. Eher unauffällig und nur sporadisch auftretend agiert Orest im maritim inspirierten Anzug.

Das glamouröse Outfit der Königin Klytämnestra im roten Glitterkleid, frisiert wie eine Dragqueen, kontrastiert zu ihrer verheerenden psychischen Verfassung. Schrill-bunt passend dazu das Outfit ihres Geliebten Aegisth. Fraulich-elegant in helleren Farben träumt Elektras Schwester Chrysothemis verzweifelt von ihrer Selbstverwirklichung als Frau und Mutter. Sie arrangiert sich mit den Verhältnissen, ihre Mutter verheddert sich in ihrer Selbstgerechtigkeit und Elektra lebt ihren Hass. Im Fokus der Oper stehen diese drei starke Frauen, die mit ihren dominierenden Gesangspartien Orest, seinen Pfleger und Aegisth fast zu Statisten degradieren.

Kurz zum Plot der 1909 uraufgeführten Oper, die auf dem gleichnamigen Drama von Sophokles basiert: Die Handlung spielt im antiken Mykene und dreht sich um die Geschichte von Elektra, der Tochter von König Agamemnon und Klytämnestra. Elektra trauert um ihren ermordeten Vater, der von ihrer Mutter und deren Liebhaber, Aegisth, getötet wurde.

Sie sinnt auf Rache und hofft darauf, dass ihr Bruder Orest zurückkehrt, um die Familie zu rächen. Elektra lebt in einem Zustand der Verwahrlosung und Obsession. Sie erfährt von der Ankunft eines Fremden, der angeblich die Nachricht vom Tod ihres Bruders überbringt. In Wirklichkeit ist dieser Fremde jedoch Orest selbst, der seine Identität geheim hält. Orest tötet seine Mutter und deren Liebhaber Aegisth, um die Rache für ihren Verrat an Agamemnon zu vollenden. Nach einem ekstatischen Tanz des Triumphes bricht Elektra zusammen.

Starkes Gesangsensemble

Ein Wiedersehen nach ihrem gefeierten Auftritt 2019 als Ariadne in der Strauss-Oper „Ariadne auf Naxos“ gibt es vielleicht in den weiteren „Elektra“-Aufführungen mit der Sopranistin Ilia Papandreou in der Rolle der Chrysothemis, für die am Premierenabend Margarita Vilsone einsprang. Kein Problem für die ergreifend und warmherzig mit einem leuchtenden Sopran singende Lettin, die kurz zuvor erst in dieser Rolle in Münster zu hören war. Ein wohltuender Gegensatz zur geifernden Elektra mit ihren unstillbaren Rachegelüsten ist der ebenso tiefe Lebenswunsch der Schwester.

Im Schwesternduett zum Finale gelingt es mit vereinter stimmlicher Kraft, unter dem Überschwang des Orchesters stimmlich zu bestehen. Enorme Bühnenpräsenz und Stimmgewalt beweist Elena Batoukova-Kerl als Elektra bis zum Finale dieser mörderischen Rolle, in der sie mit jeder Faser ihres Körpers verbittert abgrundtiefen Hass kultiviert. Dem großen Stimmumfang der Partie ist sie auch bei tieferen Tönen gewachsen. Erstaunlich tiefe Herzlichkeit flammt beim Wiedersehen mit dem geliebten Bruder auf.

Die Mezzosopranistin Sanja Anastasia gibt eine willensstarke, nervlich jedoch völlig zerrüttete Klytämnestra, die vergeblich Linderung ihrer Qualen sucht.

Ein gesanglicher Höhepunkt ist ihre Annäherung an Elektra, um ihre im Traum erlebte psychische Polyphonie zu beschreiben. Kosma Ranuer singt als Orest mit einem sonoren Bariton und berührt vor allem mit seinem Zwiespalt zwischen Entschlossenheit zur Tat und dem Schauder vor dem Mord an Elektras Mutter. Nur kurze Auftritte haben Brad Cooper als Aegisth und Herbert Brand als Pfleger des Orest, nicht zu vergessen fünf Mägde und zwei Diener.

Fazit: Absolut sehens- und hörenswert ist diese Oper an der Schwelle zur Atonalität, bei der Effekt und Inhalt eine überraschend gelungene Liaison eingehen. ferö

Info: Weitere Aufführungen sind am 15., 22. und 31. Oktober; Kartentelefon unter 0931/3908124 (Mail: karten@mainfrankentheater.de).

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