Suizid - Verein „Trees of Memory“ bietet Hilfestellung für Angehörige von Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben

Einfach da sein und die Trauer aushalten

Von 
Heike von Brandenstein
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Odenwald-Tauber. „Suizid ist einfach ein Tabu.“ Iris Pfister weiß das aus eigener Erfahrung. Vor drei Jahren hat ihr Sohn seinem Leben ein Ende gesetzt.

Auch wenn die Wunde nicht verheilen wird und sie selbst nie mehr so sein wird wie vor dem Tod des Sohnes, will sie anderen helfen, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren haben. Im vor einem Jahr gegründeten Verein „Trees of Memory“ ist die Boxbergerin nicht nur Schatzmeisterin, sondern auch Patin, um anderen bei der Bewältigung des schrecklichen Ereignisses beizustehen.

„Wir sind keine Selbsthilfegruppe, sondern sehen uns in einer Brückenfunktion“, erläutert Iris Pfister. „Wir wollen da sein, wenn Polizei und Notfallseelsorger weg sind und das Chaos beginnt.“ Per E-Mail kann sich ein Angehöriger, wann immer er will, beim Verein melden. Ein Ansprechpartner in der Nähe wird dann benachrichtigt, der den Kontakt aufnimmt. Ein Treffen soll ohne Druck stattfinden. „Wir richten uns nach den Wünschen der Hinterbliebenen“, lautet das Prinzip. Mal bedeutet das einen gemeinsamen Spaziergang, mal ein Gespräch im heimischen Wohnzimmer oder ein Besuch auf dem Friedhof.

Bundesweit hat „Trees of Memory“ bei 26 Mitgliedern mittlerweile acht Anlaufstellen. Iris Pfister fungiert als Patin in Boxberg und betreut einen Umkreis von 50 Kilometern.

Da sein, wenn das Lebensmosaik mit einem Schlag kaputt geht, ist Iris Pfister wichtig. Sie weiß, wie es ist, wenn alles auseinanderbricht, der Boden unter den Füßen entgleitet, man sich selbst bei diesem unfassbaren, nie geglaubten Ereignis verliert. „Das ist eine sehr traumatische Erfahrung.“

Verstehen und nachvollziehen können das nur Menschen, die selbst betroffen sind, ist sie sich sicher. Der Rückzug ins eigene Schneckenhaus oder aber das Sich-in-die- Arbeit-Stürzen sind häufig zwei Arten im Umgang mit dem Tod. Beim Suizid kommen noch Schuldzuweisungen von außen und die eigenen Fragen, wie es zu verhindern gewesen wäre oder ob die Liebe nicht gereicht habe, hinzu.

Iris Pfister hatte über ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Sohnes außer der Familie und Freunden noch immer keine Anlaufstelle für ihre Fragen, Nöte und Sorgen. Zwar wusste sie von den AGUS-Selbsthilfegruppen – ein bundesweiter Verein für Suizidtrauernde – in Heilbronn und in Würzburg, doch beides war ihr zu weit entfernt. Über Facebook fand sie eine Gruppe für verwaiste Eltern. Doch auch das war nicht das Richtige für sie, denn dort tauschten sich in erster Linie Menschen aus, die ihr Kind durch Unfälle oder Krankheiten verloren haben. Irgendwann fand sie „Trees of Memory“.

„Vor einem Jahr, bei der Gründung, waren wir elf Mitglieder, mittlerweile sind es 26“, beschreibt sie den Zuwachs. Die Mitglieder sind aktiv, wollen etwas bewegen. Nur so war es möglich, in so kurzer Zeit ein System von Anlaufstellen zu entwickeln. Der Verein unterstützt auch das Projekt „Mario läuft“ des Journalisten Mario Dieringer. 2016 initiierte er „Trees of Memory“, nachdem sein Lebensgefährte seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Seit Ende März läuft er zu Fuß um die Welt, pflanzt Bäume der Erinnerung und knüpft damit ein Netzwerk gegen das Vergessen, an dem sich jeder beteiligen kann.

Sie will ermutigen

Iris Pfister ist es ein Anliegen, Menschen zu begleiten, einfach da zu sein und die Situation auszuhalten. „Dafür muss man stabil sein“, sagt sie. Sie will andere ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden, um mit der Trauer umzugehen. „Ich selbst habe nach 40 Tagen Briefe an mein Kind geschrieben“, beschreibt sie eine Möglichkeit der Auseinandersetzung.

Ihr geht es darum, am Punkt, an dem das Leben für den Hinterbliebenen gefühlt aufhört, Perspektiven zu einem neuen Leben aufzuzeigen. Doch alles, was mit einem Muss zu tun habe, sei falsch.

Den Begriff Selbstmord lehnt „Trees of Memory“ ab. Mord sei eine Straftat, Suizid aber sei häufig durch Krankheiten, vor allem durch Depressionen bedingt. Die Betroffenen sähen oft kein Licht am Ende des Tunnels, sondern einfach nur ein riesiges schwarzes Loch.

„Ich nenne Depressionen immer Seelenkrebs, weil sie für die Außenwelt nicht sichtbar sind“, so Iris Pfister. Ihr Wunsch lautet: „Wenn unsere Gesellschaft es schafft, offener mit dem Thema Depression umzugehen, dann kann vielleicht der eine oder andere Suizid abgewendet werden.“

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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