Als sich die Kämpfe der Region nähern

Vor 80 Jahren näherten sich die Kämpfe des Zweiten Weltkriegs der Main-Tauber-Region. Im Boxberger Stadtarchiv befindet sich eine Kopie des Tagebuchs von Max Thoma mit Berichten dazu.

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Der Wölchinger Fleischbeschauer schildert darin die Atmosphäre der letzten Kriegsmonate. So schreibt er über die Themen „Volkssturm, Fernbomber, Jabos“:

Alle Männer von 15 bis 60 waren gefragt

„Hitler rief den Volkssturm, nach einigen Wochen im Witz ,Landwind‘ von den Teilnehmern benannt, auf, als der Krieg schon praktisch verloren war. Alle Männer von 15 bis 60 Jahren sollten dem Feind das Betreten deutschen Bodens verwehren. Die Aufnahme wurde für die umliegenden Gemeinden in der Turnhalle in Boxberg durch die Kreisleitung und betr. Ortsgruppenleitung vorgenommen und wir waren dazu geladen.

Das Resultat der Musterung wurde uns erst später bei der Vereidigung drobem Hüttli bekanntgegeben. Dabei wurde erst das Lied gesungen ,Volk und Gewehr‘, das spottschlecht ging. Dann wurden einige herausgezogen, legten die Hände auf die Hakenkreuzfahne. Wir mussten in Reih‘ und Glied stehend drei Finger hochheben und die Schwurformel nachsprechen. Vermessungs-techniker und Ortsgruppenführer Waller nahm die Zeremonie vor.

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Franz Feyder
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Bataillon durch umliegende Ortschaften gestellt

Das Bataillon wurde durch die umliegenden Ortschaften gestellt, unsre Kompanie durch die Orte Uiffingen, Angeltürn und Wölchingen. … Waller gab nach der Vereidigung bekannt, dass der Volkssturm in vier Klassen besteht. I: die ganz ,Fähigsten‘; II: nicht ganz fähig, aber auch noch fähig; III: halb Kranke; IV: ganz Kranke, vollständig untauglich (dazu gehörten auch, wie wir später erfuhren, die P.G. Parteigenossen.) Das sagte er natürlich nicht. Dank meiner hohen Ansehung der Wölch. Hoheitsträger war ich natürlich Volkssturm I.

Der Volkssturm sollte bis März mobil sein

Bis März sollte der Volkssturm mobil sein. Jetzt hatten wir jeden Sonn- und Feiertag von 1 bis 5 Uhr Exerzieren, Schießen und Gefechtsübungen. Wir ,riegelten‘ den Angeltürner Berg ab, wir schlichen ,getarnt‘ durch das Dorf, dem Feind den Einmarsch in Wölchingen zu verhindern. Bei Schneesturm hatten wir Unterricht im Schulsaal. Bei der Lumpensammlung mussten wir auch helfen, gingen von Haus zu Haus mit Schubkarren und Körben, und nötigten den Bewohnern Kleider und Stoffreste ab. Dabei bekamen wir auch viele ,Braunhemden, Nazikäppi‘. Diese sollten gefärbt werden, um dann Volkssturm I reinschlüpfen zu lassen. So sah die Sache schon aus!

Die feindlichen Bomber kommen bei Nacht

Es gab einmal eine Zeit, da Luftmarschall Göring erklärte, wenn ein Flugzeug unsres Gegners den Rhein überflöge, wolle er Meier heißen. Man merkte es aber sofort nach Beginn des Russenkrieges, dass die feindliche Lufttätigkeit größer wurde. Zuerst bei hellen Nächten traten dann die feindlichen Bomber in Tätigkeit. Der Angriff auf Schillingstadt (im August 1941) mit 800 Stabbrandbomben und vier 500 Kilogramm Sprengbomben leitete auch in unsrer Gegend die Sache ein und zeigte uns, wie gefährlich ein Luftangriff war.

In diese Zeit fallen auch die ersten Anfänge bei uns, das Luftschutzgepäck zu richten. Wir bezahlten wohl zehn Jahre den Beitrag zum Luftschutzbund, aber getan wurde gar nichts. Vollständig wehrlos saßen wir zitternd in unseren Stuben oder standen auf der Straße, und stundenlang dröhnte die Luft über uns durch tausende Motoren und dann das Abwehrfeuer und Bombeneinschläge. Wir sahen das Flakfeuer und die Brände von Mannheim, Frankfurt, Mainz, Aschaffenburg, Würzburg, Nürnberg, Heilbronn ... Als nach Verlust Frankreichs die feindlichen Flughäfen näher rückten, war Tag und Nacht keine Stunde mehr Ruhe.

Würzburg vom schlimmsten Angriff betroffen

Der schlimmste Angriff war wohl auf Würzburg (in der Nacht des 16. März1945). Die Flieger waren über uns schon im Runtergehen und machten so nieder solches Geräusch und man sah die Motoren leuchten, dass man das Gruseln lernen konnte. Dazwischen gaben sie sich Zeichen durch Bordwaffenschüsse, weiße und rote Leuchtkugeln. Wenn man nachts im Bett lag, weckte uns schon das Wackeln der Türen und Fensterscheiben, und jagte uns raus.

Bei Tage traten die Feindbomber zum ersten Mal über uns auf beim Angriff auf Schweinfurt. Wir holten gegen Epplingen Heu, als plötzlich hunderte Flugzeuge in geschlossenen Verbänden am Himmel erschienen. Erst durch ein deutsches Kampfflugzeug, das einen viermotorigen, die sogenannten Superfestungen, abschoss, wurden wir gewahr, dass es Amerikaner waren, ließen unser Vieh stehen und flohen ins Reißholz.

Bomber bei Pülfringen mit großer Detonation abgestürzt

Der Bomber stürzte gegen Pülfringen mit großer Detonation und Rauchsäule ab, der deutsche fand bei Seehof seinen Untergang. Die zehn feindlichen Piloten sprangen mit Fallschirm ab und landeten meist in Epplingen – Kupprichhausen (der Absturz ereignete sich am 17 August 1943.)

Bei Tage sah man später die Fernbomber jeden Tag. War der Himmel leer, so sahen sie silberweiß aus, und bei bedecktem Himmel grau. Vielfach kamen dann auch ganze Regen mit Flugblättern runter. Sie sollten alle abgegeben werden, aber erster wurden sie gelesen und später lagen sie interesselos umher und niemand kümmerte sich drum.

Jabos kennengelernt, als sie schon da waren

Die Jabos lernten wir erst auch dem Namen nach kennen, als sie schon da waren. Jabo, Abkürzung von Jagdbomber, schnelle Kampfflugzeuge, ganz gefährliche Dinger, traten erst bei uns in Tätigkeit, als unsre Front im Westen zerkracht war, und so konnten sie mit ihrem kürzeren Aktionsradius im Tag zehn Mal aufsteigen und wieder retour fliegen. Meist kamen sie nur zu zwei bis zehn Stück. Sie legten die Eisenbahn vollständig lahm, störten den Autoverkehr der Landstraße und machten bei Tage ein Passieren größerer Truppen- oder Menschenansammlungen unmöglich.

Kaum ein Zug war noch unbeschossen unterwegs

Von Lauda bis Neckarelz konnte kein Zug mehr unbeschossen fahren. Lauda, Schweigern, Brückeberg, Gräffingen, Eubigheim, Hirschlanden, Rosenberg, Osterburken kosteten eine Unzahl zerschossener Lokomotiven, Wagen und außerdem zahlreiche Tote und Verwundete.

Auf dem Felde konnte man nur noch in der Nähe von Wäldern arbeiten.

Meine Tochter und ich ackerten auch damals im ,Gäulstoffel‘ und dreimal in der Stunde flohen wir in den nahen Wald mit dem Vieh. Schon der Anblick (die rotgestrichene Schnauze) machte jedermann stutzen.

Ihre Waffen waren das überschwere Maschinen-Gewehr und auch Bomben. Schon der Ruf Jabo genügte allein, um die Straße ganz reinzufegen und in die Keller zu stürzen.“ Dr. Dieter Thoma

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