Röttingen. Ausgerechnet der König von Böhmen hat eine Affäre – und es gibt Briefe und pikante Fotos davon. In seiner Not bittet der Adlige die legendäre Spürnase Sherlock Holmes um Rat und Hilfe. Doch die atemlose Suche nach dem Beweismaterial führt das Ermittlerduo Holmes/Watson in ein gefährliches Duell mit Erzfeind Professor Moriarty. Viel Applaus am Ende für Lars Werneckes schräges Tempostück bei den Frankenfestspielen. Die Premiere begeistert Slapstick-Fans, bleibt aber auf der psychologischen Ebene an der Oberfläche.
Verfolgungsjagden, Explosionen, Gewehr- und Pistolen-Attentate und am Schluss sogar ein intelligent inszenierter, dramatischer Sturz vom Wasserfall in den Schweizer Bergen. Regisseur Lars Wernecke bietet alles auf, was die Action- und Komödienkiste hergibt und braucht, um zu wirken. In einem mitunter fast heillosen Tempo stolpert, hetzt und plappert und nuckelt sich Kaltraucher Holmes in Autor Ken Ludwigs Stück über die Röttinger Bühne. Und das samt einer fast unüberschaubaren Menge an Bösewichten, Sidekicks, mehr oder weniger fragwürdigen Frauengestalten und seltsamen Maskenträgern. Dazu noch ein pinkelnder Mops-Hund plus Katze Nelifer – der ägyptoide Name des Tiers stammt aus dem Sandalen-Monumentalschinken „Land der Pharaonen“ von 1955 mit Joan Collins. Riesen-Aufgebot also? Nein: Es sind nur fünf Schauspieler, die das mit Non-Stop-Umzügen und Umbauten bewältigen. Respekt.
Die Rollen werden rasant gewechselt
Es ist viel los an diesem Abend: Die Türen knallen, Rollen werden rasant gewechselt, die Stimmen, zumeist am oberen Anschlag, überschlagen sich. Man kommt als Zuschauer kaum hinterher – und die Atemlosigkeit ist Absicht. Ken Ludwigs „Der Fall Moriarty“, bis 15. August auf der Freilichtbühne in Röttingen zu sehen, ist Hochdruck, ja stimm- und körperakrobatisches Schauspiel. Wer allerdings mit der Erwartung kommt, Arthur Conan Doyles Figuren in ihrer psychologischen Tiefe wiederzufinden, wird die vergeblich suchen. Dafür gibt’s prima Screwball-Komödie samt Comic-Charakteren mit einer unerwarteten Rückkehr aus dem Reich der Toten und Finalkuss.
Der Autor hat den berühmtesten Detektiv der Literaturgeschichte durch die Mangel gedreht, mehrere Basisgeschichten, wie „Ein Skandal in Böhmen“ und „Das letzte Problem“ verflochten. Heraus kommt ein catweazleartiger, eher verpeilt wirkender Holmes, jedenfalls kein kühler, deduktiver Meisterdenker aus der Baker Street. Die berühmte Pfeife bleibt, die karierte Deerstalker-Kappe (vieler Verfilmungen) auch – doch unter ihr blitzt weniger messerscharfer Verstand als exaltierte Exzentrik.
Tür auf, Tür zu: Von Anfang bis Ende
Was hier dekonstruiert wird, ist nicht nur ein literarisches Erbe, sondern auch eine psychologische Figur, die längst zur Projektionsfläche für moderne Menschlichkeit geworden ist: Holmes, der Einsame, der Hochsensible, der Süchtige, der Misstrauische. Bei Ludwig wird daraus eine durchaus amüsante Karikatur, mitunter fast ein etwas entrückter Bühnenclown, den man aber lieben muss. Die weiteren Figuren reihen sich ein – und die Türen gehen auf und zu. Von Anfang bis Ende.
Warum so wenig Ernst für eine Figur, die so viel Tragik in sich trägt? Das muss man den Autor fragen, nicht Wernecke und seine Spieler. Die haben das Beste draus gemacht und das ist sehenswert. Die Beziehung zu Erzfeind Moriarty, die in den Originaltexten eine dramatische Zuspitzung erfährt, ist bei Ludwig mehr skurrile Zirkusnummer – absolut solide gespielt, aber dramaturgisch entkernt.
Ein überaus kurzweiliger Theaterabend
Das Stück ist klug gemacht, keine Frage. Die Röttinger Inszenierung lebt von Tempo, Timing und der Lust an der Verwandlung. Wer das Holmes-Universum nur aus Filmen mit Robert Downey Junior und Benedict Cumberbatch oder als kulturelles Zitat kennt, der wird gut, ja sehr gut unterhalten. Aber wem die Figur mehr bedeutet, wer in ihr ein Stück literarischer Moderne erkennt, wird Tragik und echte Beziehung vermissen. Die kann’s auch in einer Komödie geben.
Was bleibt, ist ein überaus kurzweiliger Theaterabend – und die Ahnung, dass unter der lauten Oberfläche ein leiserer, tieferer Holmes verborgen bleibt.
Es spielen: Ingo Brosch (Sherlock Holmes), Dietmar Horcicka (Watson), sowie Karsten Zinser, Luisa Maria Bruer und Nicole Wellbrock (diverse Rollen). Fürs Bühnenbild verantwortlich ist Stefan Mock, das Kostümbild stammt von Angela Schuett.
Den Spielplan samt Kartenkontakt gibt’s unter www.frankenfestspiele-roettingen.de.
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