Schwäbisch Hall/Künzelsau. Es sind turbulente Zeiten für den Standort Deutschland, um dessen Zukunft gestritten und gerungen wird. Stagnation, Deindustrialisierung, Personalmangel sind seit Monaten die Schlagworte, die Wirtschaftsunternehmen und der Politik Sorgen bereiten. Daneben beschäftigen die Chefetagen die großen Trends von Künstlicher Intelligenz bis zur Transformation der Wirtschaft Richtung Klimaneutralität.
Doch sind die Aussichten wirklich nur schlecht? Gibt es nicht Unternehmen, die trotz hoher Energiekosten und Bürokratie ihre Produktion auch in Deutschland stärken? Auf dem 14. Gipfeltreffen der Weltmarktführer in den Räumen der Bausparkasse Schwäbisch Hall und im Carmen Würth-Forum, am Stammsitz der Würth-Gruppe in Künzelsau, trafen sich am Mittwoch und Donnerstag über 500 Wirtschaftsführer aus der ganzen Republik, um sich gemeinsam den großen Herausforderungen zu stellen, Ursachen zu analysieren aber auch auf die Chancen zu blicken, die der Standort Deutschland immer noch bietet. Vor allem aber wollten sie wieder „von den Besten lernen“.
Die Lage-Einschätzungen der Protagonisten auf dem Podium des vielbeachteten Kongresses der Weltmarktführer, fielen unterschiedlich aus. So machte sich Gerd Chrzanowski, Chef der Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland, im Gespräch mit WirtschaftsWoche-Ressortleiterin Varinia Bernau „Sorgen um unseren Mittelstand“ und gab Einblicke zum Thema Cybersicherheit, zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und zu den Bauernprotesten. Für ihn geht es gerade beim Thema Cybersicherheit darum, souverän und unabhängig zu bleiben oder zu werden.
Erstens seien die Kosten für die IT-Dienstleister enorm hoch, zweitens wisse man nicht so genau, wo die Unternehmensdaten tatsächlich landen.
Christoph Heusgen, Botschafter, Ex-Berater für Außen- und Sicherheitspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chef der Münchner Sicherheitskonferenz – auf der weltpolitischen Bühne bestens vernetzt und bekannt – sieht die globale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands unter Druck.
Um sie zu erhalten „muss Deutschland seine Hausaufgaben erledigen“, denn die Zukunftsmärkte auf der Welt warten nicht. Dazu sei es aber auch nötig, dass man auf europäischer Ebene gemeinsam schnell handelt und beispielsweise so schnell als möglich weitere Freihandelsabkommen abschließt. Insbesondere die lateinamerikanische Wirtschaftsorganisation Mercosur hat Heusgen dabei im Blick. Als drittgrößte Wirtschaftsnation und zweitgrößter Geldgeber für Entwicklungs- und humanitärere Hilfe erwachsen seiner Meinung nach für Deutschland besondere Einflussmöglichkeiten und Verantwortung. Deshalb müsse und könne die Bundesrepublik bei der Lösung von Konflikten Führung übernehmen.
Eines ist für den Diplomaten schon jetzt klar: „Egal wie die Wahl des künftigen US-Präsidenten ausgeht: die USA werden sich in Zukunft nicht mehr in gleichem Ausmaß um Europas Sicherheit kümmern wie in der Vergangenheit, denn man habe dort genügend eigene Herausforderungen zu bewältigen und müsse sich außenpolitisch vor allem auf den Südpazifik und China konzentrieren. Das biete auch eine Chance, denn Europa könne nach Erledigung der hausgemachten Probleme (Ungarn, Rechtsstaatlichkeit) zu einem wirklichen globalen Akteur werden. Eine große Chance auf diesem Weg habe die Bundesregierung allerdings bereits vertan, wie Heusgen unterstrich: Das Fernbleiben des Bundeskanzlers beim Welt-Wirtschaftsgipfel in Davos sei nicht gut angekommen. „Der Wumms blieb aus“.
Kritik übte der Sicherheitsberater auch an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Als Kenner des russischen Präsidenten Putin, der früher durchaus Sympathien für Deutschland gehabt habe, die heutige Bundesregierung aber nur noch als „Weicheier“ sehe, sieht Heusgen nur eine Möglichkeit: „Stärke zeigen und nicht nachgeben“. Das gelte für die gesamte EU.
Von den guten Beziehungen beider Staaten erfuhren die Kongressteilnehmer im Beitrag des Wirtschaftsministers der Republik Lettland, Victors Valainis, bei seinem ersten Besuch in der Bundesrepublik. Er präsentierte sein Land als aufstrebenden Wirtschaftsstandort mit zahlreichen erfolgreichen Startups und verwies auf den hohen Bildungsstandard in seinem Land. Er könne sich durchaus eine engere Zusammenarbeit auf dem technologischen Forschungssektor vorstellen.
Szenenapplaus gab es im anschließenden Video-Interview, das der WirtschaftsWoche-Chefredakteur Horst von Buttlar mit Bundesfinanzminister Christian Lindner führte.
Die Bundesrepublik sei „nicht krank, aber ermüdet“, so Lindner. Um das zu ändern nannte er fünf Punkte: Steuerliche Entlastung für private Investitionen, Entfesselung von Bürokratieauflagen, Flexibilisierung und Mobilisierung des Arbeitsmarkts, Rekordinvestitionen in den Ausbau von Schiene und Straße und marktwirtschaftlich orientierten Klimaschutz.
Es dürften keine weiteren bürokratischen Hemmnisse mehr dazu kommen, wie es beispielsweise die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit der neuen Lieferkettenverordnung plane. Für seine Einschätzung, dass dadurch noch mehr unnötige Dokumentationspflicht entstehe, bekam der Minister genauso Beifall wie für den Satz „Wirtschaftspolitik funktioniert nicht nur mit Subventionen, es gibt bessere Alternativen“.
Zusammenfassend sah der FDP-Politiker strukturelle Probleme, auch bei der Diskussion um die angestrebten Arbeitszeiten. Die aktuelle Situation sieht er als „besorgniserregend“, zu Schwarzmalerei gebe es aber keinen Grund. Viel wichtiger ist es für Lindner, dass die Politik das Vertrauen der Wirtschaft wieder zurückgewinnt.
Bereits zum Auftakt des 14. Gipfeltreffens der Weltmarktführer gab es beim Kaminabend der Wirtschaftsführer am Vortag einen Gedankenaustausch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Schwäbisch Haller Theater. Der Grünen-Politiker warnte vor einer zu großen Anspruchshaltung. Der Staat löse nicht alle Probleme. Die Wirtschaft sei brutal unter Druck, die Ausgangsposition von Unternehmen in Baden-Württemberg dennoch gut, so Winfried Kretschmann.
Der Ministerpräsident nannte eine stabile industrielle Basis, herausragende Entwicklungsleistungen und ein hohes Können der Fachkräfte als positive Faktoren.
„Unser Land gehört weltweit zu den innovativsten Regionen“. Sich daraus auszuklinken, sei keine Lösung. „Wer nicht mitkocht, steht am Schluss auf der Speisekarte“, resümierte der Landesvater. Kretschmann warnte auch vor einem zu großen Anspruchsdenken.
Der Staat könne Wirtschaftsleistung allenfalls kurzfristig ersetzen. Um den Wohlstand zu halten, müssten die Menschen hart arbeiten. Angesichts vieler interessanter Berufe sei dies erwartbar.
Die Cyberkriminalität sieht der Stuttgarter Regierungschef als eines der größten Risiken. Die Hälfte der Unternehmen ordne die Gefahr als existenzbedrohend ein. Kretschmann zeigte sich auch darüber besorgt, dass die Hälfte der Mädchen und Jungen in der Grundschule das Lesen und Schreiben nicht lernen.
Info: Über den Abend im Carmen-Würth-Forum mit dem ESA-Astronauten und Geophysiker Alexander Gerst berichten wir noch.
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