Neckar-Odenwald-Kreis. „Er hat beides“, findet Winzer Tobias Nägele, „Schmelz und Stoffigkeit.“ Der Kraichgauer spricht aber nicht über seine eigenen Weine, sondern über den „Kreisler“, genauer gesagt den „Jubiläums-Kreisler“, eine Auxerrois-Spätlese des Jahrgangs 2022.
Gewachsen, gehegt, gepflegt und geerntet am Diedesheimer Herzogsberg in Mosbach. Dort besitzt der Neckar-Odenwald-Kreis im Landschaftsschutzgebiet „Unterer Schreckberg“ seit 15 Jahren einen Weinberg. Die Arbeiten im Weinberg werden ausgeführt von langzeitarbeitslosen jungen Menschen, die über die kreiseigene Digeno gGmbH dort zum Einsatz kommen. Nach dem Anbau kommt der Ausbau, und der findet seit 2021 im Keller des Weinguts Nägele in Sinsheim-Weiler statt.
2023 ist das Jahr des 50. Kreisjubiläums, weshalb die Idee einer Jubiläumsedition des Kreislers entstanden sei, berichtete Dr. Achim Brötel vor Ort an der Holzhütte, die zur Lage Diedesheimer Herzogsberg gehört. Für den Landrat ist die Spätlese das i-Tüpfelchen im Jubeljahr, denn kaum mehr als eine Woche zuvor hatte er eine Jubiläumstorte der Öffentlichkeit vorgestellt.
Nicht nur „Topqualität“ haben Ernte und Vinifizierung hervorgebracht, sondern auch die ansehnliche Menge von knapp tausend Flaschen. „Doppelt so viel wie im regenreicheren Jahr 2021“, sagt Arnd Richter.
Richter ist Arbeitsanleiter in der Digeno. „Mit den Arbeiten im Weinberg aktivieren wir unsere Teilnehmer“, beschreibt er die sozialpädagogischen Maßnahmen, die dazu dienen, die Langzeitarbeitslosen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Digeno-Geschäftsführerin Ilka Zwieb ergänzt: „Wir führen die arbeitslosen jungen Menschen wieder an einen strukturierten Tagesablauf heran, ermöglichen praktische Arbeitserfahrungen, stabilisieren und motivieren.“
Üben zu arbeiten
Mit etwa je fünf Teilnehmenden werden verschiedenen Arbeiten – das Schneiden und Binden der Reben, das Mähen der Zwischenreihen, das Lichten des Laubs und schließlich die Ernte von Hand – am Steilhang im Jahreslauf durchgeführt. „Wir üben zu arbeiten, jede und jeder so, wie sie oder er kann.“ Das sei, so Richter, herausfordernd und begeisternd zugleich, denn „die jungen Leute erleben Effekte.“
Das Arbeiten wieder lernen steht als Zielsetzung an erster Stelle; es habe aber auch schon einige in einen Beruf wie den des Landschaftsgärtners geführt, beschreibt Richter unmittelbare Erfolge. Auch wenn es scheint, dass der Weinbau lediglich als Mittel zum Zweck diene, so profitieren vom Weinbergprojekt neben den Langzeitarbeitslosen auch die angrenzenden Steilhangflächen im Landschaftsschutzgebiet, die von den jungen Menschen mit ihrem „Kreiswinzer“ Richter gepflegt werden.
Der aus dem Forst kommende Arbeitstrainer hat inzwischen die Motor- durch ganz normale Sensen ersetzt. „Anfangs war’s ein bisschen schwierig, aber wenn sie’s können und sehen, was sie schaffen, sind sie richtig stolz.“ Schon hat er neue Ideen, was mit dem Rodungsholz aus den Schreckberghängen Schönes entstehen könnte.
Sympathieträger
Dass die Geschichte hinter dem Wein wichtiger sei als der Wein selbst, wie Landrat Brötel meinte, ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn zur Geschichte des „Kreisler“ gehört auch, dass der Neckar-Odenwald-Kreis damit einen Sympathieträger hat, der als Gastgeschenk oder Give-away für den Landkreis wirbt. Kaufen kann man den guten Tropfen aber auch – bei der Digeno-Geschäftsstelle in der Scheffelstraße, der Auxerrois kostet in der neuen, schlanken 0,75-Liter-Flasche 8,70 Euro. In Zukunft soll der Wein zudem über regionale Vermarkter seine Abnehmer finden.
Die inzwischen erreichte Qualitätssteigerung soll weitergehen. Nägele, der selbst nach biodynamischen Richtlinien in seinen Weinbergen vorgeht, kann am Herzogsberg zwar (noch) nicht biologisch anbauen, doch naturnah ist die Bewirtschaftung allemal.
Mit den vor fünf Jahren neu gepflanzten roten Regent-Trauben ist zudem eine kleine Sortenerweiterung begonnen, die erstmals in diesem Herbst Früchte tragen könnte. Würde ja zum Jubiläumsjahr passen, auch wenn das Ergebnis nicht vor 2024 im Glas glänzen wird…
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