Odenwald-Tauber. Nennen wir ihn einfach Bello. Der Vierbeiner ist im besten Hundealter und liebt es, durch die Gegend zu flitzen. Er ist gut erzogen. Aber bei Spaziergängen in Feld und Flur geht sein angeborener Jagdinstinkt ab und zu mit ihm durch. Das ist zwar selten. Doch wenn er dann nicht angeleint ist, nutzt auch das Rufen seines Herrchens nichts: Bello stürmt zum Entsetzen seines Besitzers dem Wild hinterher, bis er es gefangen hat . . .
Aber nicht nur der, sondern sicherlich jeder findet es schrecklich, wenn ein Hund ein Wildtier reißt oder zumindest der Verdacht besteht, dass etwa ein Reh von einem Vierbeiner getötet worden ist. Etwa eine Handvoll entsprechende Meldungen gab es in den vergangenen Wochen in der Region (wir berichteten).
Verschiedene „Tatverdächtige“
Hat jemand den Hund bei seiner verbotenen Hetze beobachtet, ist er überführt – zumindest wenn auch der Halter feststeht. Doch in Fällen, bei denen es keine direkten Zeugen gibt, ist die „Schuldfrage“ alles andere als einfach zu klären. Denn neben Hunden kommen noch andere für die „Tat“ infrage.
„Man kann Hunde nicht von vornherein unter Generalverdacht stellen“, betont Stefanie Hartnagel vom Sachgebiet Gewerbe/Umwelt beim Polizeipräsidium Heilbronn, Außenstelle Tauberbischofsheim. Denn es seien verschiedene Szenarien zu unterscheiden, erklärt die Polizeihauptmeisterin, die auch Jägerin ist, im Gespräch mit den FN.
Hinweise für Hundehalter
Den Appell, ihr Tier in der freien Natur nicht frei laufen zu lassen, richtet Polizeihauptmeisterin Stefanie Hartnagel an alle Hundebesitzer.
Besondere Rücksicht auf Wildtiere sollte im Winter genommen werden. Denn das Wild verfügt in der Notzeit aufgrund von Kälte und einem geringeren Nahrungsangebot über weniger Energie als in den warmen Jahreszeit. Diese ist schneller verbraucht, wenn ein Tier von einem Hund aufgeschreckt oder gehetzt wird.
In den nächsten Wochen kommen die Rehkitze zur Welt. Dann müssen Herrchen und Frauchen darauf achten, dass sie und ihre Vierbeiner – ebenso wie andere Spaziergänger – den Kleinen nicht zu nahe kommen. Hartnagel: „Hat ein Hund eine Rehgeiß gehetzt und damit vom Kitz getrennt, ist dieses Gefahren durch andere Beutegreifer ausgesetzt. Wird das Rehkitz von einem Menschen gestreichelt, nimmt es die Reh-Mama nicht mehr an.“
Der „Freigang“ eines Hundes ist auch in Paragraf 67 des Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes des Landes Baden-Württemberg geregelt. So begeht derjenige eine Ordnungswidrigkeit, der „außerhalb einer befugten Jagdausübung Hunde in einem nicht befriedeten Gebiet außerhalb seiner Einwirkungsmöglichkeit frei laufen lässt“. Zusätzlich ist in Paragraf 83 Nummer 8 Landeswaldgesetz verankert, dass es verboten ist, Hunde im Bereich eines Kinderspielplatzes, von Spiel- und Liegewiesen sowie Wassertretanlagen frei laufen zu lassen. su
Hartnagel weiß, es werden nicht alle Vorfälle dieser Art bei der Polizei angezeigt. Es gebe durchaus eine Dunkelziffer. Doch komme es zum Riss eines Wildtiers durch ihren – in solchen Fällen häufig ausgebüxten – Vierbeiner, seien die meisten Hundebesitzer vom (Fehl-)Verhalten ihres Tiers selbst sehr betroffen. Viele gingen dann auf den Jagdrevierpächter zu, um ihm den durch die entgangene Wildbretgewinnung entstandenen Schaden zu ersetzen.
Beim Blick in die interne Statistik der Jahre 2019 und 2020, bei der allerdings kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht, hat Stefanie Hartnagel für den Bereich des Main-Tauber-Kreises festgestellt, dass zwei Fälle angezeigt wurden, in denen jeweils ein Wildtier von einem Hund gerissen worden ist – und Augenzeugen das Ganze beobachtet haben. „Dabei war es tatsächlich so, dass der Hund nicht angeleint war“, weiß die Beamtin.
Weiter gingen bei der Polizei drei Meldungen über „totes Rehwild mit Bissspuren“ ein. Woran die Tiere gestorben seien, stehe aber nicht fest, hebt die Expertin hervor. Denn mehrere Ursachen kämen in solch einem Fall infrage. So könne das Wild beispielsweise wegen Nahrungsmangel, Krankheiten, Kälte oder Parasitenbefall verendet und später von einem Hund oder einem Fuchs „angeknabbert“ (in der Jägersprache „angeschnitten“) worden sein. Das komme auch immer wieder einmal vor, wenn sich ein Reh nach einer Kollision mit einem Fahrzeug schwer verletzt im Unterholz verkrochen hat und dort verendet ist. Im Durchschnitt, so Hartnagel, registriere der Streifendienst im Bereich des Polizeipräsidiums Heilbronn pro Nacht mindestens einen Wildunfall.
Ein Rätsel sei es für viele, wenn ein totes Reh ohne Kopf auftaucht. Dieses Phänomen wurde in den vergangenen zwei Jahren vier Mal im Landkreis gemeldet, berichtet die Polizistin. Täter sei in solchen Fällen aber kein „Trophäenjäger“ gewesen, der den Tierkörper liegengelassen und den Kopf mitgenommen hat, beruhigt die Polizeihauptmeisterin: „Das würde auch kein Hund machen. Hier hat sich Meister Reineke bedient.“ Das bedeute aber nicht, „dass der Fuchs das Wild zuvor auch getötet hat“. Er sei dann vielmehr ein „Nachnutzer“.
Da es für Laien meist schwer sei, Bissspuren dem tatsächlichen „Gebissträger“ zuzuordnen, sollten sie nach dem Fund eines toten Wildtiers den Jagdpächter verständigen. Ist dieser nicht bekannt, so kann er über die Polizei oder die Gemeindeverwaltung informiert werden. Ein Jagdpächter erkenne bei genauer Nachschau an den Wunden, um welchen „,Übeltäter’ es sich handeln könnte“, betont Hartnagel. So hinterlasse ein Hund meist nicht nur an der Kehle seines Opfers Spuren, sondern häufig an dessen ganzen Körper.
Polizei ermittelt
Werde der Polizei ein gerissenes Wildtier gemeldet, bei dem der Verdacht der Tötung durch einen Hund bestehe, nehmen die Beamten die Ermittlungen auf. Hartnagel: Wenn ein bestimmtes Tier als ,Täter’ in Verdacht steht, wird dessen Halter befragt.“ Gebe es keinen konkreten „Verdächtigen, sind wir auf die Mithilfe der Bürger angewiesen“. Eine genetische Untersuchung von Bissspuren am getöteten Tier sei zwar möglich, so die Polizeihauptmeisterin. Doch das wäre nicht nur teuer, sondern zudem nur begrenzt realisierbar. Denn genetische Spuren – wie etwa Speichel– an einem gerissenen Tier seien nur 48 Stunden lang nachweisbar und müssten somit in diesem Zeitraum gesichert werden, betont Hartnagel.
Dann richtet sie den Blick auf einen weiteren möglichen Verdächtigen, der angesichts der Nähe des Main-Tauber-Kreises zum Neckar-Odenwald-Kreis künftig nach dem Riss von Wildtieren ins Spiel kommen könnte: der Wolf. Schließlich ist durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft die Ausweisung des Naturraums Odenwald als Fördergebiet Wolfsprävention erfolgt, nachdem sich dort der Wolfsrüde GW1832m niedergelassen hat.
Das 2630 Quadratmeter große Fördergebiet reicht von Neckargemünd bis Boxberg im Osten sowie von Wertheim im Norden bis Neckarsulm im Süden. In Fällen, in denen der Verdacht auf Wolfsriss besteht, sollen sich Betroffene beim Wildtierbeauftragten des Landratsamts, Hans-Peter Scheifele, unter Telefon 09341/825204 oder 0170/2040589 melden.
Dieser, so Hartnagel, könne beim Begutachten des toten Rehs anhand der Zahnabstände der Bissspuren oder anderer Verletzungen feststellen, ob der „Täter“ ein Wolf oder ein anderes Tier gewesen sein könnte. Auszuschließen sei eine Beteiligung des Wolfs in Fällen von „Reh ohne Kopf“, versichert die Polizistin. Denn „der Wolf würde fressen, bis er nicht mehr kann und kugelrund ist“.
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