Prozess um Sechsfachmord in Rot am See - Zweiter Verhandlungstag / Geringeres Medieninteresse / Blicke in die Kindheit und Jugend des Angeklagten geworfen

Todesschütze übte eifrig auf dem Schießstand

Von 
Erwin Zoll
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Der Tatort in Rot am See, kurz nach den Todesschüssen. © Michael Weber-Schwarz

Beim Schützenverein Beimbach ist Adrian S. nicht aufgefallen. Er hat sich am Vereinsleben beteiligt – entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten. Dies erfuhr das Gericht am zweiten Prozesstag.

Rot am See/Ellwangen. Im Prozess um die Todesschüsse von Rot am See hat die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ellwangen gestern am zweiten Verhandlungstag unter anderem den Vorsitzenden des Schützenvereins Beimbach vernommen.

In diesen Verein war der Angeklagte Adrian S. im März 2017 eingetreten – dies war anscheinend Teil seines Plans, seine Mutter und seine Halbschwester zu töten, dort wollte er lernen zu schießen. Bereits im Februar 2017 hatte sich der Angeklagte dem Schützenverein Brettenfeld angeschlossen, war dann aber nach Beimbach gewechselt, weil es dort, anders als in Brettenfeld, die Möglichkeit gab, mit großkalibrigen Waffen zu schießen.

Regelmäßig trainiert

Wie der Vorsitzende berichtete, hat Adrian S. regelmäßig im Schützenhaus trainiert und mit Sportpistole und Kleinkalibergewehr an Wettkämpfen teilgenommen. „Seine Schießleistungen waren gut bis sehr gut“, sagte der Vorsitzende. Im November 2018 erwarb der Angeklagte nach einem Drei-Tages-Kurs und einer schriftlichen Prüfung den so genannten Sachkundenachweis. Dieses Dokument war die Voraussetzung dafür, dass das Landratsamt ihm später eine Waffenbesitzkarte ausstellte, mit der er dann die Tatwaffe kaufte.

Im Verein hat Adrian S. dem Vorsitzenden zufolge keine Auffälligkeiten gezeigt. Er galt als ruhig und hat Arbeitsdienste übernommen. Für eine Himmelfahrtswanderung der Schützen hat er ein Weißwurst-Frühstück in Rot am See organisiert. Er setzte sich im Schützenhaus zu den anderen Vereinsmitgliedern an den Tisch und beteiligte sich am Gespräch.

Widerspruch

Dieses Verhalten steht im krassen Widerspruch zum sonstigen Verhalten des Angeklagten.

Mehrere Zeugen schilderten ihn als einen verschlossenen Einzelgänger, der sich im „Deutschen Kaiser“ meist in seinem Zimmer aufhielt und nicht mehr an den gemeinsamen Mahlzeiten im Haus teilnahm. Nach eigener Aussage verbrachte Adrian S. nachts viel Zeit mit Computerspielen.

In einer Waffenhandlung in Nürnberg kaufte Adrian S. am 22. Januar, dem Mittwoch vor der Tat, für 1550,15 Euro eine Pistole vom Typ Walter Q5 Match Champion Edition, Kaliber neun Millimeter, 45 Schuss Munition und drei Magazine. Noch am selben Abend übte er mit dieser Waffe auf dem 25-Meter-Pistolenstand des Schützenvereins Beimbach.

Familiäres Umfeld

Das Landgericht hat sich gestern auch mit dem familiären Umfeld des Angeklagten beschäftigt. Dabei ging es unter anderem um die Frage, welche Position er in der Familie in Lahr hatte. Als der Angeklagte drei Jahre alt war, war die Mutter mit ihm und ihren beiden Kindern aus erster Ehe, also den Halbgeschwistern des Angeklagten, nach Lahr im Ortenaukreis gezogen, um einen beruflichen Weg als Hebamme einzuschlagen, während der Vater in Rot am See blieb.

In Lahr haben sich nach Zeugenaussagen Halbbruder und Halbschwester um das rund zehn Jahre jüngere Kind gekümmert, weil die Mutter durch ihren Beruf sehr gefordert war.

Eine Freundin der Halbschwester sagte aus, Adrian S. sei für seine Geschwister das Nesthäkchen gewesen; sie hätten liebevoll und fürsorglich verhalten, er sei aber oft aufsässig und frech gewesen.

„Keine gute Kindheit“

Ein Zeuge gab dagegen eine Einschätzung von Onkel und Tante wieder, nach der ihr Neffe in Lahr keine gute Kindheit gehabt habe, weil seine Geschwister nicht mit ihm gespielt hätten.

Onkel und Tante spielten eine besondere Rolle im Leben des Adrian S. Sie behandelten ihn, der 2017 nach Rot am See zurückkehrte, wie ihr eigenes Kind, gaben ihm Geld, bezahlten seinen Führerschein – und der Onkel fuhr ihn zum Schießtraining.

Onkel und Tante gehören ebenfalls zu den Todesopfern des Angeklagten.

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