Gesellschaft

Main-Tauber-Kreis: Werben für den Religionsunterricht

Von 
Heike von Brandenstein
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Manchen ist Religion egal. Den katholischen und evangelischen Kirchen in Baden-Württemberg nicht. Deshalb werben die Schuldekaninnen Bettina Gellhaar und Cornelia Wetterich für den Religionsunterricht.

Main-Tauber-Kreis. Cornelia Wetterich, evangelische Schuldekanin des Kirchenbezirks Wertheim, und ihre katholische Kollegin Bettina Gellhaar vom Dekanat Tauberbischofsheim kennen das: Religion wird als Schulfach nicht ernst genommen, in die Randstunden gelegt, schnell abgewählt oder gegen das Fach Ethik ausgetauscht. „Dabei ist Religionsunterricht kein Glaubensunterricht“, so Wetterich, die plädiert: „Kinder haben ein Recht auf Religion.“

Beide wissen, dass gerade die Grundschulkinder biblische Geschichten lieben. Spielerisch lassen die Religionslehrer die Kinder zum Beispiel in die Rolle von Sarah schlüpfen, sie sprechen mit ihnen über Gerechtigkeit, Sterbehilfe, Tod, den Sinn des Lebens oder die große Frage, warum dem einen Leid geschieht und der andere vorgeblich immer Glück hat. Auch andere Religionen werden in den Blick genommen. Themen sind auch Menschen, die großes bewirkt haben: Mahatma Gandhi etwa, Martin Luther King oder Albert Schweitzer.

Beide arbeiten mit ihren Kolleginnen und Kollegen an den Schulen als ökumenisches Team zusammen. „Wir haben konfessionelle Kooperationen nach Jahrgangsstufen“, erläutert Gellhaar. Und Wetterich fügt an: „Die Schülerinnen und Schüler sollen beide Konfessionen von innen kennenlernen und den christlichen Glauben in seiner Vielfalt erleben.“ So wechseln sich in einem speziell beantragten Curriculum von Schuljahr zu Schuljahr evangelische und katholische Religionslehrer ab. Schade finden sie, dass es aufgrund mangelnder Lehrer keinen islamischen Religionsunterricht gibt.

Ansprechpartnerinnen vor Ort

Während Bettina Gellharr Gymnasiallehrerin für Latein, Deutsch und Religion ist und das Amt der Schuldekanin für acht Wochenstunden wahrnimmt, ist Volltheologin Cornelia Wetterich hauptamtlich für die Schule zuständig. Für beide gilt: Die oberen Kirchenbehörden von Diözese oder Landeskirche sind räumlich weit entfernt, weshalb sie als Ansprechpartnerinnen vor Ort fungieren. Statistisch betrachtet waren im Bereich der Dekanate Wertheim und Tauberbischofsheim 2012 noch 85 Prozent der Schülerinnen und Schüler im christlichen Religionsunterricht, jetzt sind es noch 70 Prozent. „Wir sind hier in unserem Gebiet noch relativ stark christlich verwurzelt“, so Gellhaar. Mit Blick auf die wachsende Zahl von Kirchenaustritten meint Wetterich: „Die halten sich noch in Grenzen.“

Bettina Gellhaar betont, dass die Fachschaften an den einzelnen Schulen sehr kreativ seien. So stünden soziale Projekte wie ein Besuch bei den Tafeln und das Sammeln von Lebensmitteln auf dem Programm oder man beschäftige sich mit Krisensituationen, wenn ein Schüler einen Todesfall in der Familie zu beklagen habe. Cornelia Wetterich schreibt dem Religionsunterricht eine stabilisierende Wirkung für die Schulgemeinschaft zu. Außerdem sei Religion ein Fach, dass auch bei der Versetzung zähle und mit dem schlechtere Noten ausgeglichen werden könnten.

Gleichgültigkeit wächst

Dennoch stellen beide fest, dass die Selbstverständlichkeit des Religionsunterrichts abnimmt und die Gleichgültigkeit wächst. Dem müsse man sich stellen, sich teilweise auch rechtfertigen. „Schule ist oft eine echte Herausforderung“, so Gellhaar. Cornelia Wetterich schmerzt besonders, wenn junge Menschen mit dem Erreichen der Religionsmündigkeit mit 14 Jahren, kurz nach der Konfirmation, aus der Kirche austreten. „Das ist für mich am Erschütterndsten“, sagt sie, weil das für manche der vermeintlich erste Schritt in Richtung Freiheit und Selbstbestimmtheit sei. Deshalb plädiert sie für einen guten und kreativen Konfirmanden- und Religionsunterricht, der die Kinder und Jugendlichen auch wirklich erreicht.

Die zwei katholischen Diözesen und die beiden evangelischen Landeskirchen in Baden-Württemberg veranstalten Informationen und Diskussionsrunden zur gesellschaftlichen Bedeutung von Religion unter dem Motto „Egal?“ Der Auftakt mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Baden, Prof. Dr. Heike Springhart, und dem Islamwissenschaftler Michel Abdollahi findet am Donnerstag, 21. September, von 18 bis 20 Uhr im Hospitalhof in Stuttgart statt. Im Main-Tauber-Kreis nahmen Schülerinnen und Schüler im Religionsunterricht bereits am Kreativwettbewerb zur Jahreslosung 2023 „Du bist ein Gott, der mich sieht“teil.

Stimmen zum Thema Religionsunterricht und seine gesellschaftliche Relevanz

Wolfgang Reiner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender Sparkasse Tauberfranken: „Was ich im Religionsunterricht für wichtig erachte, sind natürlich unsere christlichen „Eckpfeiler“ wie die Mildtätigkeit, Nächstenliebe, gegenseitiger Respekt, etc.. Gleichzeitig sollten allerdings auch die anderen großen Glaubensrichtungen beleuchtet werden, um zu einem gemeinsamen besseren Verständnis zu kommen.“

Katrin Amrhein, Rektorin der Comenius-Realschule Wertheim: „Als Schulleiterin möchte ich betonen, dass der Religionsunterricht eine zentrale Rolle in der Bildung und Entwicklung unserer Schülerinnen und Schüler einnimmt. Er dient als ein unverzichtbares Instrument, um ein ganzheitliches Verständnis ihrer eigenen Religion und der anderen Weltreligionen zu fördern und damit die kulturelle Vielfalt und Toleranz unserer Schülerschaft zu stärken.“

Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, Landtagsvizepräsident: „Der Religionsunterricht an den Schulen spielt eine wichtige Rolle, um ein Verständnis für moralische und ethische Fragen zu vermitteln, die im Zusammenhang mit der christlichen Glaubens- und Soziallehre stehen. Das christliche Menschenbild lehrt uns die Würde des Menschen sowie die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens. Es prägt die europäische (Verfassungs-) Ge-schichte sowie unsere normativen Wertvorstellungen.“

Prof. Dr. Heike Springhart, Landesbischöfin: „Ohne den Reli-Unterricht in meiner Grundschulzeit wäre ich heute wohl nicht Landesbischöfin. Dort habe ich die biblischen Geschichten kennengelernt – und das Beten. Später dann das Diskutieren und die Auseinandersetzung mit den Themen unserer Zeit im Licht des christlichen Glaubens. In Reli war aber auch Platz für das, was mir ganz persönlich auf der Seele lag. Reli kann mehr: dort ist Raum für die Kraft von Ritualen und die kritische Auseinandersetzung mit dem Glauben.“

Anne-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Bildung braucht Religion. Religion braucht Bildung. Darum ist der Religionsunterricht in der Schule so wichtig. Hier können sich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene frei und selbständig religiös orientieren. Der Religionsunterricht ist kein Privileg der Kirchen, an ihm können auch Schüler*innen anderer Konfession, Religion und Weltanschauung teilnehmen. Er hilft dazu, eine eigene Position zu entwickeln und in den Dialog mit anderen und ihren Überzeugungen zu treten. Auf diese Weise stärkt er das gesellschaftliche Zusammenleben, stiftet an zum Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, wendet sich gegen Feinseligkeit und Hass. Geboren in einem nicht christlichen Elternhaus und aufgewachsen mit Religionsunterricht in Bayern habe ich das auch ganz persönlich so erfahren.“

Nina Warken, CDU-Bundestagsabgeordnete: „Das Unterrichtsfach Religion bietet einen unschätzbaren Mehrwert für Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit. Durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Glaubensrichtungen und Weltanschauungen fördert Religion ein tiefgreifende Verständnis für kulturelle Vielfalt und Toleranz.“

Andreas Bächlin, Leiter Referat Grund-, Haupt-, Werkreal-, Real-, Gemeinschafts-,Gesamtschulen und Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren: „Religionsunterricht ist für mich ein praktisches Unterrichtsfach so wie die Fächer Kunst, Musik oder Sport. Eine reine Religionskunde wäre eine defizitäre Außensicht.Das Ziel eines tieferen Verständnisses der eigenen Konfession ist Grundvoraussetzung für einen interreligiösen Dialog. In diesem Sinne ist der Religionsunterricht wichtig für die Demokratiebildung und gegen jegliche Fundamentalisierungstendenz.“

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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