Familienbericht

Main-Tauber-Kreis: Anstieg bei Sorgerechtsentzug

Nach Baden Baden ist der Main-Tauber-Kreis das Gebiet mit den ältesten Einwohnern in Baden-Württemberg, die Verjüngung nimmt seit 2004 stetig ab, heißt es im Familienbericht 2023, den Silvia Ziegler vom Jugendamt vorstellte.

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Heike von Brandenstein
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Der Familienbericht des Main-Tauber-Kreises findet sich unter www.main-tauber-kreis.de/buergerinfoportal-kreistag. © dpa

Main-Tauber-Kreis. Die demografische Entwicklung hat den Main-Tauber-Kreis fest im Griff. Zwar ist die Bevölkerung im Kreisgebiet im vergangenen Jahr um 569 Menschen gewachsen, die Altersstruktur aber gibt Anlass zur Sorge. 45,5 Jahre alt ist der Durchschnitt der Bevölkerung, 1094 Geburten stehen 1712 Todesfälle gegenüber, was einen negativen Saldo von 618 bedeutet. Im Vergleich zu 2022 wurden im vergangenen Jahr 32 Kinder weniger geboren, mit Blick auf 2021 waren es sogar 189 Kinder mehr.

Auch die Zahl der Kinder unter drei Jahren ist um 21 wiederum zurückgegangen. „Der Zenit von 2021 (3696 Kinder unter drei Jahren) scheint überschritten“, heißt es dazu im Familienbericht. Beim Vergleich zwischen 2002 und 2023 zeigt sich bei der Altersverteilung gravierend, wie sehr es an Minderjährigen fehlt. Die Lücke bis zum Alter von 16 Jahren in Höhe von rund 1750 Kindern und Jugendlichen sind schlichtweg die, die nicht geboren wurden.

Familien sind Minderheit

„Familie zu sein, ist eine Rarität“, kommentierte Silvia Ziegler den Fakt, dass lediglich 15,75 Prozent der Haushalte im Main-Tauber-Kreis Kinder haben. In gut 22,4 Prozent dieser Familien werden Kinder von nur einem Elternteil erzogen. Trennung oder Scheidung erlebten im vergangenen Jahr 210 Kinder, im Vorjahr waren es 130 Kinder und Jugendliche.

Im Ausschuss notiert

Bei der ersten Sitzung des Jugendhilfeausschusses nach den Kommunalwahlen wurden die neuen Mitglieder vom 1. Ersten Landesbeamten Florian Busch verpflichtet.

Zu stellvertretenden Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses wurden Heidrun Beck (Freie Wähler) und als Stellvertreter Simon Kurfeß (Vertreter der Jugendverbände) einstimmig gewählt.

Schriftführer des Jugendhilfeausschusses sind Alfred Bauch (SPD) und Werner Fritz (Stellvertreter), Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtsverbände.

Mitglieder der Zentralen Planungsgruppe zur Jugendhilfeplanung im Main-Tauber-Kreis sind Joachim Markert (Vertreter des Kreistags), Heidrun Beck (Vertreterin der Kommunen), Lena Leber (Vertreterin der verbandlichen Jugendarbeit), Markus Landeck (Vertreter der offenen Jugendarbeit) und Werner Fritz (Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtsverbände. lh

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 628 Hilfen zur Erziehung – 22 weniger als 2022 – gewährt, wobei das Jugendamt seinem Prinzip treu bleibt, ambulante (77,23 Prozent) den stationären Hilfen (22,77 Prozent) vorzuziehen. Den Grund für den erstmaligen Rückgang bei den Hilfen zur Erziehung sieht Ziegler nicht in den langfristig sinkenden Kinder- und Geburtenzahlen, sondern in einem etablierten niederschwelligen Beratungsangebot, das auch in den Netzwerken für Familie erbracht wird. Auch die Erziehungsberatungen, die beim Kirchenbezirk Weikersheim und beim Caritasverband im Tauberkreis angesiedelt sind, stoßen auf große Nachfrage. Wurden diese Dienste im stärksten jahr 2019 869 Mal in Anspruch genommen und knickten während der Pandemiezeit ein, waren es 2023 schon wieder 861 Beratungen.

Als Belastungsfaktoren für Familien führte Silvia Ziegler das Leben an der Armutsgrenze an. Hat eine Familie wenig Geld und muss jeden Cent zwei Mal umdrehen, ist das Risiko, Hilfen zur Erziehung zu beanspruchen vierzehnfach größer. Wird ein Kind dazu noch nur von einem Elternteil erzogen wächst dieses Risiko noch einmal um das 25-fache. Als dritten Belastungsfaktor machte Ziegler die Migration, verbunden mit Sprachschwierigkeiten, aus.

Kinderschutz ist eine der Hauptaufgaben des Jugendamts. Meldungen kämen von Nachbarn, der Schule, dem Kindergarten oder der Polizei. 2023 wurde mit Blick auf die vergangenen 15 Jahre mit 266 Meldungen ein Höchststand erreicht. Betroffen waren 526 Minderjährige. Besteht eine akute Gefahrensituation, reagiert das Jugendamt sofort und nimmt die Kinder aus der Familie. Jeder Fall wird nach einem festgelegten Schema vom Jugendamt und mindestens zwei Mitarbeitenden bewertet. 2023 wurden 28 Kinder aus Familien genommen. „Häufig“, so Ziegler, „passiert auch nichts, weil keine Kindeswohlgefährdung festgestellt wird.“ Sie lobte die Melder, weil sie wachsam und couragiert handelten. Das Jugendamt kann bei Problemen präventive Angebote machen, die sich positiv auf Familien auswirken.

Hilfe für Familien in Not

Prekäre Verhältnisse, ausweglose Situationen für Familien gibt es auch im Main-Tauber-Kreis. Die Armut nimmt zu, auch wenn immer noch gern von der heilen Welt in ländlichen Regionen gesprochen wird. Der Verwalter des Jugendfonds Main-Tauber-Kreis, Dr. Michael Lippert, kennt diese Situationen nur zu gut.

Beim Jugendhilfeausschuss des Kreistags am Dienstag stellte er die Entwicklung dieses Fonds vor, mit dessen Geldern Familien schnell und unkompliziert geholfen wird.

Droht der Stromanbieter damit, den Saft abzudrehen, wird eine Wohnsituation für Kinder unzumutbar, so Lippert. Auch Hilfen für einen Umzug, die Kaution, oder ein Mietzuschuss werden notwendig, wenn zum Beispiel Schimmelbefall einen Wohnungswechsel zwingend werden lässt. Wenn es vorübergehend an der Grundversorgung mangelt, kann der Jugendfonds Familien schnell und unbürokratisch unter die Arme greifen.

Auf Spenden angewiesen

Nach dem stetigen Abfluss der Fondsgelder durch Ausgaben und ein niedriges Zinsniveau auf unter 40 000 Euro im Jahr 2017, hat sich der Fonds inzwischen wieder auf ein Level von rund 86 000 Euro eingependelt. Möglich gemacht haben das ganz unterschiedliche Geldgeber wie der Lions Club Bad Mergentheim mit seiner Adventskalenderaktion, der Rotary Club Tauberbischofsheim und nicht zuletzt das Amtsgericht Tauberbischofsheim und Wertheim mit über 15 000 Euro aus Bußgeldern. Beständiger Gönner ist eine Privatperson, die dem Fonds monatlich 50 Euro überweist. Die Landkreisverwaltung hat im vergangenen Jahr digital zum Weihnachtsfest gute Wünsche verschickt. Das eingesparte Porto in Höhe von 3000 Euro kam dem Jugendfonds zu.

Der Saldo wurde dieses Jahr gehalten, wobei die Einnahmen von knapp 15 000 Euro die Ausgaben um Haaresbreite überstiegen.

Dieses Jahr wurden aus dem Jugendfonds bislang rund 14 000 Euro für die Erst- oder Grundausstattung von Wohnraum, die Schulbildung, zur Unterstützung von Fahrtkosten, Zuschüsse zu Klassenfahrten oder für Essensgelder bei der Ganztagesbetreuung in Schulen ausgegeben.

Bei 29 Familien stellte das Jugendamt 2023 beim Familiengericht den Antrag auf Einschränkung oder Entzug des Sorgerechts, weil es das Kindeswohl gefährdet sah. 50 Kinder waren betroffen. Damit stieg die Quote im Main-Tauber-Kreis von 0,71 im Jahr 2022 auf 2,22 betroffene Minderjährige.

Als Resümee zeigte Silvia Ziegler auf, dass die unterschiedlichen Bedarfslagen und Lebenslagen von Familien vom Jugendamt weiterhin aufmerksam im Blick behalten werden müssen. Es gelte Angebote zu offerieren, die passgenau seien und wirklich helfen. Außerdem gilt es, bestehende Formate zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, rechtzeitig Prioritäten zu setzen, um gut planen zu können und gemeinsam für Ehrlichkeit und Transparenz zu sorgen. Sie plädierte, Familien bei Problemen zwar zu unterstützen, Eltern aber in ihrer Verantwortung zu belassen. „Die allermeisten Familien im Main-Tauber-Kreis kommen ohne Hilfe der Jugendhilfe zurecht“, schloss sie mit einem positiven Fazit.

Kreisläufe durchbrechen

Andreas Lehr (CDU) merkte an, dass man sich die Frage stellen müsse, wie Kreisläufe durchbrochen oder Sprachbarrieren überwunden werden könnten. Sozialdezernentin Elisabeth Krug erläuterte, dass sich das Jobcenter mit dieser Frage beschäftige und mit einem außergewöhnlichen Ansatz versucht, das System Familie aus diesem Kreislauf herauszubringen. Dort sei auch das Thema Sprache angesiedelt. Krug: „Präventive Maßnahmen sind wichtig, auch wenn die Erfolge kaum messbar sind.“

Pflichtaufgaben des Jugendamts steigen

Die aktuellen Aufgaben der Jugendhilfe stellte Jugendamtsleiter Martin Frankenstein dem Jugendhilfeausschuss bei seiner Sitzung am Dienstag vor. Der Zuschussbedarf liege bei rund 18,5 Millionen Euro bei Aufwendungen in Höhe von 27,4 Millionen Euro. Die Jugendhilfe leiste kommunale und hoheitliche Aufgaben. Zu letzteren gehöre die Vormundschaft und Pflegschaft für Kinder und Jugendliche, die Mitwirkung an gerichtlichen Verfahren bei Jugend- und Familiengerichten und die Erteilung der Erlaubnis zur Kindertagespflege. So sei das Jugendamt in diesem Jahr allein bei 607 Verfahren am Familiengericht beteiligt gewesen.

Auch die Bearbeitung von Anträgen im Rahmen der wirtschaftlichen Jugendhilfe hat einen hohen Stellenwert. Insgesamt werden im Main-Tauber-Kreis 1169 Kinder im Rahmen der Kindertagesbetreuung finanziell unterstützt. 780 Eltern von Kindern bis zu sechs Jahren erhalten Geld, um ihre Kinder in Kinderkrippen oder Kindergärten betreuen zu lassen, 346 sind es, die ihre Kinder bei Tageseltern untergebracht haben. Beide Werte sind die höchsten seit fünf Jahren.

Wenn ein unterhaltspflichtiger Elternteil nicht für sein Kind aufkommt, zahlt das Jugendamt einen Unterhaltsvorschuss. In 1087 Fällen wurde gezahlt, in 516 gelang eine Rückforderung. hvb

Werner Fritz (Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtsverbände) fragte an, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Rückgang bei den Hilfen zur Erziehung und dem starken Anstieg der Kindeswohlgefährdung gebe. Er stellte fest, dass auf die Träger von Maßnahmen an Grenzen kommen und bei schwer zu rekrutierendem Fachpersonal ihre Energie in das Dringlichste steckten.

Während Manfred Busch (Freie Wähler) die mittlerweile über Jahre hinweg vorliegenden Zahlen für sehr aufschlussreich hielt, hob Hubert Segeritz (Freie Wähler) die Vorzüge für Kontaktbörsen wie Familienzentren oder Mehrgenerationenhäuser hervor. Hier könnten Sprache gelernt und Perspektiven gegeben werden.

Letztlich nahm der Jugendhilfeausschuss den Familienbericht einstimmig zur Kenntnis.

Redaktion Zuständig für die Kreisberichterstattung Main-Tauber

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