F-16-Kampfjet vor vier Jahrzehnten in Hornberg abgestürzt - Bei sowjetischem Einmarsch im Kalten Krieg wäre auch die Tauber-Region zum Schauplatz von schweren Gefechten geworden

Flugzeugabsturz: Nur eine Minute von der Katastrophe entfernt

Die Explosion war ohrenbetäubend: Mitten im kleinen Dorf Hornberg an der Jagst stützte vor fast 40 Jahren ein F-16-Kampfflugzeug ab. Der Pilot wurde getötet. Hintergrund des Unglücks: der schwelende Konflikt zwischen West- und Ostmächten.

Von 
Michael Weber-Schwarz
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Zwei Kampfflugzeuge der US Air Force vom Typ F-16 „Fighting Falcon“ (Archivbild von 1999). © Michael Weber-Schwarz

Main-Tauber-Kreis/Hornberg. Auch wenn sich die Situation vor vier Jahrzehnten mit dem aktuellen Russland-Ukraine-Konflikt nur bedingt vergleichen lässt – die militärischen und propagandistischen Ähnlichkeiten sind frappierend.

Im Kalten Krieg unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika und dem sogenannten Ostblock warf man sich gegenseitig eine in Europa geschaffene Bedrohungslage vor. Aktuell ist es Sahra Wagenknecht von der „Linken“, die um Verständnis für Wladimir Putins „Ängste“ vor einer Nato-Erweiterung nach Osten wirbt.

Die qualmende Einschlagstelle der F-16 ist im Bildmittelpunkt deutlich zu sehen. Links davon das bis heute existierende Dorfgemeinschaftshaus mit zerstörtem Dach. Der Bauernhof rechts wurde wegen der Beschädigungen später abgerissen. © Michael Weber-Schwarz

Schon im Kalten Krieg war die Stationierung von US-Raketen in der Bundesrepublik einer der Anlässe, auf dem Gebiet der DDR mit sowjetischen Panzertruppen mobil zu machen – die Wahrheit und die Frage, wer mit dem Wettrüsten „angefangen“ hat, ist bei kriegerischen Konflikten ohnehin oft eine Frage der politischen Perspektive.

Die USA gingen in den 1970er Jahren von einem drohenden Einmarsch von Panzertruppen des Warschauer Pakts auf westdeutsches Gebiet aus. Der sollte mit massiver Panzer-Macht samt Luftunterstützung vor allem über die „Lücke von Fulda“ (Fulda Gap) laufen. Die Gebiete Main-Tauber, Neckar-Odenwald und Hohenlohe – sie hätten in diesem Kriegsszenario eine Südflanke gebildet. Deshalb gehörten Überschall-Knalls durch Tiefflieger damals zur Tagesordnung: Hier wurde der „Dogfight“, also der Nahkampf gegen sowjetische „Suchoi“-Jagdflugzeuge, geübt.

Der Hergang des Unglücks

Kirchberg an der Jagst, am 10. Mai des Jahres 1983: Der 28-jährige Lieutenant Steven L. Wallis steigt als Pilot seiner F-16 A zusammen mit einem Wingman von der „Hahn Airbase“ auf. Es ist der mittlerweile privatisierte und insolvente Flugplatz „Frankfurt-Hahn“, damals einer der wichtigsten Standorte von US-Kampfflugzeugen. Bei einem sowjetischen Einmarsch könnte man von dort aus schnell reagieren. In kürzester Zeit würden Jets die DDR-Grenze erreichen oder dem Feind von Süden her in die Flanke fallen.

Die beiden 15 Meter langen, äußerst wendigen Flugzeuge können bei Höchstgeschwindigkeit die doppelte Schallgeschwindigkeit erreichen: Über 2100 km/h sind möglich. Steven Wallis’ Kampfjet hat die interne Kennung „Sabre 02“, das englische Wort für „Säbel“. Ziel der Tiefflugübung ist ein simulierter Angriff über dem gebrieften, vorher vereinbarten Kampfgebiet. Steven Wallis sollte bei dem Luftgefecht der Abfangjäger sein, der zweite Jet war das Ziel eines plötzlichen Angriffs. Eine erstes „Gefecht“ läuft wie vorgesehen ab. Das Manöver soll wiederholt werden – und dabei geschieht der Unfall: „Das verunglückte Flugzeug streifte das Feuerwehrhaus in Hornberg, Deutschland, überflog die Straße und schlug im unteren Bereich eines zweistöckigen Wohnhauses ein. Das Flugzeug wurde zerstört und der Pilot getötet“, so liest sich der in lapidarem Ton gehaltene Unfallbericht. Gut eine Woche nach dem Absturz hat ihn der ermittelnde Offizier im Fall Hornberg, Major Dennis E. Newhouse, anfertigt.

Die Sicht der Einwohner der kleinen Ortschaft spiegelt die Katastrophe weitaus griffiger: Marliese Kraus wohnt bis heute nur einen Katzensprung von der Einschlagstelle entfernt. „Das war ein extremer Knall“, erinnert sich die Frau. Überall seien Splitter herumgeflogen, Nachbarhäuser wurden beschädigt, Kraftstoffe brannten, Flugzeug- und Leichenteile lagen weit verstreut. Überraschend schnell eilten US-Truppen zum Unglücksort und sperrten das Areal weitläufig ab. Schulkinder wurden unter Geleitschutz durch die Absperrungen zu ihren Elternhäusern eskortiert.

Sichtachse nach Westen: Die F-16 flog über den Schlossturm (Hintergrund) hinweg und zerschellte im Bereich des Fotografenstandpunkts. © Michael Weber-Schwarz

Die Freiwillige Feuerwehr Kirchberg brauchte mit ihrem „Ziegler“-Einsatzfahrzeug vom Typ „Opel Blitz“ nur sechs Minuten bis zu ersten Löschangriff. Das Feuerwehrauto, Baujahr 1961, hatte beim verheerenden Brand des Langenburger Schlosses im Jahr 1963 in klirrender Kälte seinen ersten Großeinsatz – jetzt würde es erneut Ortsgeschichte schreiben.

Hochgiftige Chemikalie

Was die Feuerwehrleute nicht wissen: Die F-16 führt in einem speziellen Tank den hochgiftigen Stoff Hydrazin mit. Die Flüssigchemikalie speist bei Triebwerksproblemen ein Notaggregat, das elektrische und hydraulische Energie für die Luftfahrzeugsteuerung liefern kann – ein Puffer für eine eventuelle Notlandung. Als die F-16 beim Aufschlag explodiert, wird auch das Hydrazin frei und verpufft. Aufgrund der hohen Toxizität werden die Feuerwehrleute nach dem Einsatz mit Cortisonspray behandelt.

Erstaunlich und wohl ein purer Glücksfall ist es, dass der Schaden im Dorf eng begrenzt geblieben ist. Ein Wohnhaus mit Stall wurde zwar zerstört, aber „die Bewohner haben das Haus zum Glück kurz vorher verlassen“, weiß Marliese Kraus. Nicht auszudenken, wenn das rund zwölf Tonnen schwere Fluggerät mit seiner kinetischen Wucht wenige Meter weiter südlich ins enger bebaute Areal oder ins östliche Neubaugebiet eingeschlagen wäre.

Ein Blick über den örtlichen Hornberger Tellerrand hinaus: Solche taktischen Flugmanöver wurden vielfach auch über der Tauberregion abgehalten. Und: Von Kirchberg aus sind Weikersheim, Niederstetten und Bad Mergentheim bei Top-Geschwindigkeit eines solchen Kampfflugzeugs gerade einmal eine einzige Flugminute entfernt. Die Städte liegen – oder lagen – in den Einflugschneisen. Hornberg hätte auch Herbsthausen sein können.

Im Blitzkrieg nach Frankfurt

Die Bedrohung der Zivilbevölkerung durch Flugmanöver, man mag sie für überschaubar halten. In der Tat wäre die Lage an der Tauber bei einem tatsächlichen Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen deutlich katastrophaler geworden.

Hauptziel der sowjetischen Angriffsdoktrin im Kalten Krieg war nämlich, in einer Art „Blitzkrieg“ durch schnelle Panzervorstöße das Nato-Verteidigungssystem schnell zum Kollaps zu bringen. Vorgesehen war beim Einmarsch eine breite Panzerfeuer- und Artilleriewalze. In wenigen Tagen wollte man Frankfurt und den Rhein erreicht haben. Zu diesem Zweck hatte der Warschauer Pakt im Bereich seiner Panzer- und Artilleriewaffe stark aufgerüstet. Man plante mit einem Mehrfachen der Nato-Stärke. Bei einem Überraschungsangriff hätten die Amerikaner ohnehin Soldaten aus den USA heranführen müssen. Dieser geplanten Schnellreaktion innerhalb weniger Tage dienten die sogenannten „Reforger“-Manöver, die ab 1969 regelmäßig in Deutschland stattfanden. Das Kürzel steht für „Return of Forces to Germany“, also der „Rückkehr von (US) Streitkräften nach Deutschland“.

Tauber-Bunker als Primärziel

Bis diese Truppen allerdings vor Ort gewesen wären, dürfte sich auch in der Tauberregion ein grauenhaftes Bild der Zerstörung geboten haben: Zur Sowjet-Strategie von Überraschungsangriffen auf unterschiedliche Schwerpunkte, Angriffsachsen und zu verschiedenen Zeitpunkten gehörte auch das Attackieren von Militärstützpunkten im Hinterland: Kasernen von Niederstetten über Tauberbischofsheim bis Wertheim (US-Kaserne „Peden Barracks“), Walldürn und Hardheim hätten zu den Zielen gehört. Der „Bunker Gustav“ in Königshofen, zuständig für die Luftraumüberwachung, wäre als militärisches „Auge nach Osten“ sicher ein Primärziel gewesen.

„The aircraft was destroyed and the pilot was killed“: Der „Mishap-Report“ (Unfallbericht) zum Absturz von Hornberg, angefertigt vom ermittelnden Offizier, Major Dennis E. Newhouse. © Michael Weber-Schwarz

Zwar ging man auf beiden Seiten davon aus, dass man einen solchen Krieg auf deutschem Boden mit konventionellen Kampfmitteln hätte führen können – doch der Einsatz von Atomsprengköpfen war einkalkuliert. Bei Reforger-Manövern wurde etwa der Einsatz von mobilen US-Atomminen trainiert – die sollten sowjetische Panzer schon in deutsch-deutscher Grenznähe zumindest ausbremsen. Der Nato-Partner hätte also „notfalls“ auch bundesdeutsches Gebiet nachhaltig verseucht.

In den militärisch-konventionellen Bereich fallen vielfältige „Vorbereitete Sperren“, wie sie früher u.a. in die Tauberbrücke in Igersheim eingebaut waren. Diese Sprengschächte sollten gezielt als Panzersperren genutzt werden und waren in Breite und Tiefe der Sprengkrater genau austariert. Die Igersheimer Brücke wäre also nicht nur einfach gesprengt worden, sondern die Explosionstrichter wären für Kettenfahrzeuge nicht mehr unmittelbar überquerbar gewesen.

Zurück zum Unglück bei Kirchberg: Einen Grund für den Absturz nennt der Army-Report nicht. Augenzeugen hatten zwar von möglichen Triebwerksproblemen berichtet, auch ein Flug „auf dem Rücken“ wurde genannt. Die Antwort dürfte einfacher sein. Das Internet-Nachrichtenportal „Hohenlohe ungefiltert“ schrieb nach Recherchen vor über zehn Jahren, dass der Pilot in einer Art Tunnelblick gefangen gewesen sei – und schlicht die Mindestflughöhe unterschritten habe.

Redaktion Im Einsatz für die Lokalausgabe Bad Mergentheim

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