Main-Tauber-Kreis. Hubert Hornung, Leiter des Jobcenters Main-Tauber-Kreis, und sein Stellvertreter Harald Ott geben sich gelassen. „Wir haben ein gutes, eingespieltes und qualifiziertes Team“, sagt Hornung. Corona wurde bewältigt und der Rechtskreiswechsel der Ukraine-Flüchtlinge – da werde die Einführung des Bürgergelds Anfang Januar auch zu schaffen sein.
Froh ist das Leitungsteam über die zweistufige Einführung. Zum 1. Januar geht es zunächst nur um die Erhöhung der Regelsätze, die einjährige Karenzzeit ab dem ersten Jahr des Leistungsbezugs und um die tatsächlichen Wohnkosten. „Für uns ist diese Karenzzeit gut, weil die zweite Stufe erst zum 1. Juli greift“, so Ott. Sein Kollege meint, dass es keine Probleme geben dürfte. Denn diejenigen, die bereits Leistungsbezieher beim Jobcenter sind, müssten keinen neuen Antrag stellen, sondern würden automatisch umgestellt. Es könne jedoch sein, dass für jemanden, der im Dezember keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld II hat, ab Januar einer auf das Bürgergeld besteht.
Schlagkräftiges Team
„Seit einigen Wochen haben wir das Bürgergeld regelmäßig intern diskutiert und uns ständig informiert“, so Harald Ott. Wenn nähere Weisungen da seien, werde im Haus nachgeschult. Hubert Hornung ergänzt: „Unsere Mitarbeiter kennen das zweite Sozialgesetzbuch, sind sowohl in Fragen des Leistungsbezugs als auch in der individuellen Weiterbildungsberatung fit.“
Eine große Unbekannte, die derzeit niemand beantworten kann, gibt es dennoch: Niemand weiß, wie viele Menschen im Main-Tauber-Kreis das Bürgergeld beantragen werden. „Das wird spannend werden“, sind sich Hornung und Ott sicher.
Rechtskreiswechsel
Zum Jahresende 2021 zählte das Jobcenter Main-Tauber-Kreis knapp 1900 Bedarfsgemeinschaften, aktuell liegt die Zahl bei rund 2200. 450 davon bestehen aus ukrainischen Flüchtlingen. Formal erhalten Ukrainerinnen und Ukrainer ab dem 1. Juni dieses Jahres nicht mehr Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach den Regeln des SGB II, wenn sie durch das Nadelöhr der Registrierung die Berechtigung erhalten haben. Die meisten seien deshalb erst im August beim Jobcenter vorstellig geworden. „Ende März hatten wir acht Ukrainer, die älter als 15 Jahre waren, zum 31. August waren es 635“, verdeutlicht Hornung den Anstieg der Leistungsberechtigten.
Zum Hintergrund: Zahlen und Fakten zum Bürgergeld
Das Bürgergeld soll dazu dienen, das wirtschaftliche Existenzminimum zu sichern und am sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben.
Es löst das Arbeitslosengeld II – umgangssprachlich auch Hartz IV genannt – ab.
Es tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft.
Damit erhöhen sich auch die Regelsätze der Grundsicherung: Alleinstehende erhalten dann anstelle von 449 Euro im Monat 502 Euro und Paare je Partner statt bisher 404 Euro 451 Euro, wenn beide volljährig sind. Auch für nichterwerbstätige Erwachsene unter 25 Jahren, Jugendliche und Kinder erhöht sich der Regelsatz.
Wer künftig Bürgergeld erhält, soll im ersten Jahr des Leistungsbezugs, sein Erspartes behalten, wenn es 40 000 Euro nicht überschreitet. Für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft bleiben während dieser Karenzzeit jeweils 15 000 Euro geschützt.
Außerdem werden während dieses ersten Jahres die tatsächlichen Kosten für die Wohnung übernommen, wobei die Heizkosten „im angemessenen Umgang“ gewährt werden.
Nach dem ersten Jahr liegen die Freibeträge für Bürgergeldbezieher bei 15 000 Euro, bei Selbstständigen wird Vermögen, das der Alterssicherung dient, bis zu einer gewissen Höhe berücksichtigt.
In der zweiten Stufe, die ab Juli 2023 greift, steht die individuelle Weiterbildung im Mittelpunkt. Das Nachholen eines Berufsabschlusses oder einer Ausbildung wird gemäß des Grundsatzes „Ausbildung vor Aushilfsjob“ gefördert.
Wer einen Abschluss anstrebt, erhält zusätzlich zum Bürgergeld 150 Euro, wer Maßnahmen besucht, die dazu dienen, langfristig auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, 75 Euro zusätzlich. hvb
Weil sich die Zuteilung von Geldern an die Jobcenter für das kommende Jahr auf der Basis des Zeitraums von Juli 2021 bis Juni 2022 bemisst, stehen auch dem Jobcenter im Main-Tauber-Kreis mehrere 100 000 Euro weniger zur Verfügung als es nach den neuen Regelungen eigentlich bräuchte. Der Grund: Die ukrainischen Flüchtlinge sind mit ihrem Rechtskreiswechsel bei dieser Rechnung schlichtweg nicht berücksicht worden, obwohl die Herausforderungen steigen.
Etliche Fragezeichen
Dennoch hat das Jobcenter nach eigenem Bekunden den Kraftakt des Rechtskreiswechsels geräuschlos über die Bühne gebracht. Die Frage, die sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs aber stellt, ist immer wieder die nach der Bleibeperspektive. Viele wollen zurück, wenn der Krieg vorbei ist, wollen beim Wiederaufbau helfen, wollen ihre Männer und Väter wiedersehen.
Die Entwicklung im Ukraine-Krieg aber ist nicht vorhersehbar und so auch für das Jobcenter ungewiss. Die wichtigste Voraussetzung für die Integration in den Arbeitsmarkt ist nach wie vor die deutsche Sprache. Wird ein Platz in einem Sprachkurs aber aufgegeben, weil Dinge in der Ukraine zu klären sind, rückt der nächste nach. Dann ist der Platz für denjenigen, der vielleicht nach ein paar Wochen zurückkehrt, verloren. Das ist das Dilemma für etliche ukrainische Flüchtlinge.
Weiterbildungsoffensive
Hubert Hornung und Harald Ott sehen das Bürgergeld als Chance. Gerade die Weiterbildungsoffensive gefällt ihnen gut. Bei einem Arbeitsmarkt, der nicht nur Fachkräfte, sondern mittlerweile auch Menschen in Helferfunktionen sucht, sehen sie Potenzial für ihre bisherigen Klienten, aber auch für ihr neues Klientel. Sie denken an Kleinselbstständige, die durch die Corona-Pandemie arg gebeutelt wurden und ihre Rücklagen aufgebraucht haben oder an diejenigen, die wirklich arbeiten wollen, aber gewisse „Vermittlungshemmnisse“, wie es im Amtsdeutsch heißt, mitbringen.
Hornung und Ott finden es deshalb grundsätzlich gut, am Prinzip des Förderns und Forderns festzuhalten. Wenn jemand Geld bekäme, ohne sich zu bemühen, wäre man beim bedingungslosen Grundeinkommen. Deshalb wollen sie durchaus fordern, ihren Fokus aber auf die legen, die Engagement zeigen. Ihr Ziel ist es, noch passgenauere Weiterbildungen oder Ausbildungen zu ermöglichen und eine ganzheitliche Betreuung zu bieten. Es soll Priorisierungen und kein Ausschütten von Maßnahmen mit der Gießkanne geben.
Gute Kontakte
Dass sie das im Jobcenter Main-Tauber-Kreis können, beweist die Arbeitslosenquote in ihrem SGB-II-Bereich. Sie liegt momentan bei 1,3 Prozent. Damit rangiert das hiesige Jobcenter bei der Integrationsquote in den Arbeitsmarkt auf Platz eins in Baden-Württemberg. Das liegt auch an den guten Kontakten zu den hier ansässigen mittelständischen Arbeitgebern und deren Bereitschaft, aufgrund fehlender Arbeitskräfte, Chancen zu ermöglichen.
URL dieses Artikels:
https://www.fnweb.de/region-main-tauber_artikel,-main-tauber-dem-stigma-hartz-iv-entkommen-_arid,2028797.html