Jahreshauptversammlung

30 Jahre Öffentlichkeitsarbeit im Main-Tauber-Kreis

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sys
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Seit 30 Jahren betreibt der Förderverein Öffentlichkeitsarbeit gegen Partnergewalt. Flyer und Taschentücher sollen auf die Problematik hinweisen und die Kontaktaufnahme zum Verein erleichtern. © Förderverein

Tauber-Odenwald. Seit 30 Jahren gibt es den Förderverein im Main-Tauber-Kreis für das Frauen-und Kinderschutzhaus. Mit dem Dokumentarfilm „Das Schweigen brechen“ wurden die Teilnehmerinnen der Jahreshauptversammlung auf das schwere Thema „Häusliche Gewalt“ eingestimmt. Der Film zeigte einen Weg aus gefühlter Ausweglosigkeit und möchte Frauen Mut machen, ihr Schweigen zu brechen.

Gayle Lüdtke-Beemer, seit 2008 Vorsitzende des Fördervereins Main-Tauber für das Frauenhaus berichtete im Caritassaal in Lauda von einem herausfordernden Jahr 2023 mit personeller Verkleinerung des Frauenteams und gesundheitlichen Einschränkungen bei Aktiven in Vorstand und Team. In monatlichen Teamsitzungen konnten trotzdem einige Aktivitäten organisiert werden. „Am 17. Februar tanzten wir auf dem Mergentheimer Marktplatz anlässlich des „One Billion Rising“-Tages (Eine Milliarde erhebt sich) gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Ein Selbstverteidigungskurs für Mädchen und Frauen folgte im März und April und am 16. September fand der Flohmarkt auf dem Marktplatz in Bad Mergentheim statt. Am 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, wurde die „Terre des Femmes“-Fahne „Frei leben ohne Gewalt“ in Wertheim, Bad Mergentheim und am Landratsamt in Tauberbischofsheim gehisst, dort zusammen mit Landrat Schauder und Sozialdezernentin Krug.

Den Schlusspunkt setzte am 6. Dezember der „Runde Tisch“ im Landratsamt zum Thema „Istanbul-Konvention“. Referentin Katrin Lehmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband präsentierte Zahlen und Fakten zu Partner-Gewalt und mangelnden Plätzen in Frauenhäusern. Vorstandsmitglied Sylvia Schmid merkte an, dass leider wegen einer parallel stattfindenden Kreistagssitzung weder Landrat Schauder noch Kreistags-Mitglieder teilnehmen konnten und die Veranstaltung leider ohne eine Zielformulierung, wie im Main-Tauber-Kreis die Istanbul-Konvention umgesetzt werden könne, zu Ende gegangen sei: „Auch das neu renovierte, für beide Landkreise zuständige Frauen- und Kinderschutzhaus im Neckar-Odenwald Kreis erfüllt 30 Jahre nach seiner Eröffnung leider die Empfehlungen der Istanbul-Konvention nicht“.

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Im Dezember 1993 gründeten sieben Frauen den Förderverein Main-Tauber für das Frauen-und Kinder-schutzhaus, das im Januar 1994 eröffnet wurde. In der ersten Zeit arbeiteten ausschließlich ehrenamtliche Frauen, bald war zu spüren, dass professionelle Hilfe in der Beratung nötig war. Im September 1997 eröffnete der Förderverein die Beratungsstelle „Frauen helfen Frauen“ mit einer angestellten Beraterin in Tauberbischofsheim. Die Förderung der Beraterin durch das Arbeitsamt und Aktionen des ehrenamtlichen Frauenteams sowie großzügige Spenden von Privatpersonen, Firmen und Organisationen sicherten knapp die Stelle der ersten Beraterinnen sowie die Raumkosten der Beratungsstelle, die fast 20 Jahre in Tauberbischofsheim zu finden war.

Weiterer Weg

Im Januar 2002 tat sich mit dem Bundes-Gewaltschutzgesetz ein weiterer Weg für Frauen aus der Gewalt auf, sie konnten in der gemeinsamen Wohnung verbleiben, während Gewalttäter durch Platzverweise der Wohnung verwiesen wurden. 2004 wurde die vereinseigene Beratungsstelle zur „Erstberatungs- und Interventionsstelle des Main-Tauber-Kreises nach Platzverweis“ und bekam dadurch verstärkte finanzielle Unterstützung vom Landkreis. Trotzdem standen 2008 Förderverein und Beratungsstelle wegen Geldmangels kurz vor der Auflösung. Wieder kam der Landkreis zu Hilfe, auch Gönner, zum Beispiel die „Innerwheel“-Frauen, trugen mit großzügigen Spenden dazu bei, dass die Schließung der Beratungsstelle abgewendet werden konnte. Der Umzug von Förderverein und Beratungsstelle nach Lauda in die Luisenstraße erfolgte im Januar 2016, wo Frauen bis heute kompetent, kostenlos, vertraulich und auf Wunsch anonym über Wege aus Partner-Gewalt beraten werden.

943 Beratungskontakte

Beraterin Sandra Klingert, seit Mai 2010 beim Förderverein angestellt, berichtete, dass 2023 127 Frauen nach körperlicher, psychischer, sexueller und ökonomischer Partner-Gewalt mit 943 Beratungskontakten Hilfe bei der Beratungsstelle suchten. Die ratsuchenden Frauen waren zwischen 18 und 69 Jahre alt. Rund 43 Prozent waren unter 30 Jahre, 33 Prozent waren 30 bis 50 Jahre, 23,6 Prozent waren über 50 Jahre alt. Acht Frauen gingen in ein Frauenhaus, Nur drei davon konnte das „zuständige“ Frauenhaus NOK aufnehmen, fünf wurden in weiter entfernte Frauenhäuser vermittelt. Die Polizei leitete 17 Platzverweise an die Beratungsstelle weiter, hinzu kamen 21 Gewaltschutzanträge, beantragt durch die Frauen selbst oder mit anwaltlicher Hilfe. Leider erschwere der Mangel an FH-Plätzen das Organisieren eines sicheren Schutzraums für Frauen sehr. Denn auch wenn Platzverweise und Annäherungsverbote zur Anwendung kämen, seien Frauen nicht immer ausreichend geschützt.

Die Kontrolle des gewalttätigen Partners über die Frau, durch Zugriffe auf das Handy und über Soziale Medien, habe 2023 stark zugenommen. „Insgesamt hat die Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen, bei betroffenen Frauen zugenommen. Auffällig ist, dass Frauen heute die Beratungsstelle anders betreten. Sie sind zwar traurig, enttäuscht, verletzt durch Demütigungen und körperliche Übergriffe, aber sie sind selbstbewusster und entschlossener, etwas zu ändern.“ Die Zusammenarbeit mit Polizei, Jugendamt und anderen Institutionen funktionierte gut, betonte Klingert, aber nach wie vor gäbe es Lücken im Hilfesystem: „Damit allen Frauen geholfen werden kann, müssen die Rahmenbedingungen angepasst und weitere Hilfesysteme installiert werden.“

Schatzmeisterin Andrea Bihr konnte einen ausgeglichenen Finanzbericht vorlegen. Wie jedes Jahr habe der Förderverein das Frauenhaus durch Sachleistungen unterstützt. Außerdem wurde der Frauenhaus-Aufenthalt einer bedürftigen Frau durch den Förderverein Main-Tauber finanziert.

Die Beratungsstelle war 2023 durch Zuwendungen des Landkreises gut abgesichert. Den Kassenprüfbericht der verhinderten Kassenprüfer Heidi Versch und Daniel Gehrlein verlas die zweite Vorsitzende Roswitha Lesch, darin wurde Andrea Bihr eine einwandfreie Kassenführung bescheinigt. Auf Antrag von Sandra Klingert erfolgte die Entlastung der Schatzmeisterin und des Gesamt-Vorstandes für das Jahr 2023.

In Ihrem Schlusswort dankte Gayle Lüdtke-Beemer allen Frauen, die aktuell und in der Vergangenheit den Förderverein lebendig gehalten haben. „Nach 30 Jahren engagierter Arbeit haben wir mit Förderverein und Beratungsstelle einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht, werden von gesellschaftlichen Gruppen und Behörden akzeptiert und unterstützt, besonderes erwähnen darf ich Sozialdezernentin Krug im Landratsamt. Wir engagieren uns, weil die Fakten dies erfordern: Jede vierte Frau wird in ihrem Leben mindestens einmal Opfer häuslicher Gewalt und alle 45 Minuten wird eine Frau durch ihren Partner verletzt oder angegriffen. Jede Woche werden etwa drei Frauen durch ihren Partner oder Ex getötet. Die Dunkelziffer kennt man nicht, sie ist aber mit Sicherheit erheblich“.

Orangefarbene Bänke

Abschließend stellte Gayle Lüdtke-Beemer die Planung für Herbst 2024 vor: „Orange ist das Symbol für eine gewaltfreie Welt für Frauen und Mädchen. Die UN hat sich ,Terre des Femmes’ mit einem ,Orange Day’ am 25. November angeschlossen. Wir planen, wie bereits in anderen Städten geschehen, orangefarbene Bänke auf öffentlichen Plätzen in den Städten des Landkreises aufzustellen und suchen das Gespräch mit den Stadtverwaltungen, wie dies im Landkreis umzusetzen ist. Außerdem wollen wir am 25. November wieder die ,Terre des Femmes’-Flaggen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen hissen und hoffen, dass wir diesmal nur Zusagen aus den Rathäusern bekommen. An diesem Tag verteilen wir auf den Marktplätzen wieder unsere Papiertaschentücher mit dem Aufdruck ,Wir haben die Nase voll: Keine Gewalt gegen Frauen!’.“ sys

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