Finanzen

Streit um Kürzungspläne

Die Regierung will bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen sparen, deswegen gibt es Krach in der Ampelkoalition

Von 
Tobias Kisling
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Kürzungspläne: Bundesfinanzminister Christian Lindner (l.) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. © Getty Images

Berlin. Den Start in seinen Hochzeitstag hatte sich Christian Lindner mit Sicherheit anders vorgestellt. Während sich Lindner und die Journalistin Franca Lehfeldt auf Sylt das Ja-Wort gaben, entzündete sich im 425 Kilometer Luftlinie entfernten Berlin Krach innerhalb der Ampel-Koalition. „Lindner plant drastische Kürzungen bei Leistungen für Langzeitarbeitslose“, titelte der „Spiegel“. Im Finanzministerium herrschte Empörung, Lindners Haus sieht die Verantwortung für die Pläne bei Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Dort wiederum wiegelt man ab. Fest steht: Nach der derzeitigen Planung steht für Langzeitarbeitslose künftig weniger Geld zur Verfügung.

Was plant die Ampelkoalition?

Vor einer Woche billigte das Bundeskabinett den Haushaltsplan für das kommende Jahr und den Finanzplan bis 2026. Nach den Krisenjahren mit immensen Schulden will Lindner im kommenden Jahr zur Schuldenbremse zurückkehren. Nur noch 17,2 Milliarden Euro wird der Bund 2023 an neuen Schulden aufnehmen – in diesem Jahr waren es knapp 140 Milliarden Euro, das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr nicht miteingerechnet. Für die Ressorts heißt das: sparen.

Unter anderem sollen die sogenannten „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“ von derzeit 4,8 Milliarden Euro auf rund 4,2 Milliarden Euro abgeschmolzen werden. Drastisch wird es in den Folgejahren: 2024 stehen nach jetziger Planung nur noch 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung, 2029 dann plötzlich nur noch fünf Millionen Euro.

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Wer hat die Pläne veranlasst?

Haushaltsverhandlungen folgen einem steten Muster: Die Minister melden ihren Bedarf beim Bundesfinanzminister an, der entscheidet über die Vergabe der Mittel. Die Wünsche sind stets größer als das zur Verfügung stehende Geld. Für das kommende Haushaltsjahr etwa meldeten die Minister 25 Milliarden Euro mehr an, als der Bund ausgeben darf, wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Regierungskreise berichtete. Lindner weist den Ressorts einen Etat zu. Wie sie das Geld innerhalb dieses Rahmens verteilen, entscheiden die Ministerien.

Streicht Lindner den Sozialetat zusammen?

Die Ausgaben für Arbeit und Soziales sind der mit Abstand größte Kostenblock im Bundeshaushalt. Von dem im aktuellen Jahr geplanten Ausgaben von rund 458 Milliarden Euro entfällt fast jeder dritte Euro auf das Haus von Hubertus Heil. Von den rund 160 Milliarden Euro werden allerdings rund etwa 112,4 Milliarden Euro an Leistungen für die gesetzliche Rentenversicherung fällig. Im kommenden Jahr kann das Heil-Ministerium den derzeitigen Plänen zufolge drei Milliarden mehr ausgeben – die mit Abstand größte absolute Steigerung im Haushalt. Allerdings steigt der Bedarf für die Rentenversicherung zeitgleich um rund 6,4 Milliarden Euro an. Es muss also an anderer Stelle gespart werden.

Welche Leistungen sind von der Kürzung betroffen?

Zunächst einmal handelt es sich bei der Finanzplanung um einen Entwurf, über den noch der Bundestag beraten muss. Sollten die Pläne in ihrer jetzigen Form Bestand haben, wären davon vor allem Langzeitarbeitslose betroffen. Als Langzeitarbeitslos gilt, wer länger als zwölf Monate arbeitslos ist. Die Bundesagentur für Arbeit teilte auf Anfrage mit, dass im Juni insgesamt 906 000 Personen als langzeitarbeitslos registriert sind. Damit liegt das Niveau um 28 Prozent höher als im März 2020 – also vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Im April 2021 hatte die Zahl der Langzeitarbeitslosen zwischenzeitlich sogar die Eine-Million-Marke überschritten.

Werden diese Leistungen nun gestrichen?

Das Bundesarbeitsministerium weist das zurück. Trotz der möglichen Kürzung um rund 600 Millionen Euro bewege man sich mit dem Förderniveau noch auf dem Stand vom Vor-Corona-Niveau 2019.

Wie fallen die Reaktionen auf die Pläne aus?

Verheerend. „Wer bei den Fördertöpfen für Langzeitarbeitslose kürzt, tut dies bei denen, die keine Lobby haben“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, unserer Redaktion. Sie forderte Finanzminister Lindner auf, eine Vermögenssteuer einzuführen und die Erbschaftssteuer zu reformieren: „Statt die Krisenverlierer weiter zu schröpfen, sollten die Krisengewinnler endlich zur Kasse gebeten werden.“

Sein Verband werde die Pläne „niemals akzeptieren können“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, unserer Redaktion. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sei während der Pandemie in die Höhe geschossen. „In dieser Situation den sozialen Arbeitsmarkt kaputt zu sparen, hieße, hunderttausende Menschen im Regen stehen zu lassen“, kritisierte Schneider. Als „politisch kurzsichtig“, empfindet Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Pläne. Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel seien Investitionen für Arbeitslose unverzichtbar.

Gibt es auch Unterstützer?

FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält es für einen „völlig nachvollziehbaren Weg“, staatliche Subventionen in der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu hinterfragen. Auch beim Mittelstandsverband kann man den Plänen einiges abgewinnen. „Unter dem Strich darf der Bezug von Arbeitslosengeld II nicht attraktiver sein als einer geregelten Arbeit nachzugehen“, sagte Markus Jerger, Bundesvorsitzender des Verbandes Der Mittelstand.

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