Berlin. Während die deutschen Landwirte Autobahnauffahrten blockieren und Traktorhupen in deutschen Innenstädten ertönen lassen, hat Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied in der bayerischen Region Chiemgau ein Heimspiel. Sein Auftritt ist ein Sinnbild für die Macht der Bauern in Deutschland: Im Kloster Seeon bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten spricht er von einem „Abwicklungsszenario“, das die Bundesregierung mit den Kürzungen beim Agrardiesel auf den Weg bringe.
Rukwied weiß, dass er hier nicht viel Widerspruch zu erwarten hat, spricht er doch auch vor zahlreichen Landwirten, die für die CSU zum Teil im Agrarausschuss des Bundestags sitzen. Man ist sich einig in der Sache. Das, was die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in Berlin mit der bäuerlichen Bevölkerung vorhat, darf nicht so kommen. „Das ist inakzeptabel. Das muss zurückgenommen werden“, sagt Rukwied. Und später: „Es geht um die Zukunft unserer Bauernfamilien. Aber es geht am Ende auch um die Zukunft unseres Landes.“
Die Politik und die Bauern: Wohl kaum eine Lobbyorganisation hatte in den vergangenen Jahren einen besseren Zugang zu denen, die Gesetze auf den Weg bringen. So ist es dem Bauernverband „immer wieder gelungen, staatliche Initiativen zum Schutz von Verbrauchern und Tieren sowie der Umwelt zu verhindern beziehungsweise zu verwässern“, heißt vom Verein Lobbycontrol. In der vorherigen Legislaturperiode hatten 85 Prozent der CDU/CSU-Agrarausschussmitglieder im Bundestag einen direkten Bezug zur Land- und Agrarwirtschaft. Gesetzgebung leicht gemacht, unkten schon mal Beobachter. Die Bauernlobby jedenfalls kann noch immer öffentlich ganz anders als andere Lobbyisten auftreten.
Ihre Fachleute hätten vielfach die Deutungshoheit, schrieben 2020 zum Beispiel die beiden Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres in ihrem Buch „Die Klimaschmutzlobby“. Es wüssten eben heute nur noch wenige Menschen, wie Weizen, Kartoffeln oder Äpfel angebaut würden. Hinzu komme, dass die Agrarlobby Vertreter in wichtigen Gremien habe – vom Agrarministerium des Bundes bis hin zur Agrarkommission des Europäischen Parlaments. So ließen sich wichtige Entscheidungen beeinflussen.
Milliardenhohe Subventionen
Europa ist der Kitt, der die Landwirte zusammenhält, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Aktuelle, vollständige Zahlen liegen lediglich für das Jahr 2022 vor. Damals flossen gut 6,382 Milliarden Euro an Agrarsubventionen nach Deutschland. Hinzu kommt Geld aus dem Bundeshaushalt: 2022 waren insgesamt rund 3,7 Milliarden Euro für die Landwirtschaft eingeplant. Einen großen Teil davon machten Zuschüsse zu den landwirtschaftlichen Sozialversicherungen aus. Darüber hinaus erhielten deutsche Landwirte Agrardieselerstattungen in Höhe von gut 440 Millionen Euro.
Hoch regulierter Sektor
Der Verzicht auf Steuereinnahmen etwa durch die Kfz-Steuerbefreiung entlastete den Sektor um gut 485 Millionen Euro. Agrarwissenschaftler Thomas Herzfeld vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) aus Halle an der Saale hält die Landwirtschaft für hoch reguliert. „Der Agrarsektor ist im Rahmen der Europäischen Union und auch in Deutschland der Wirtschaftssektor, der am meisten Subventionen bekommt“, sagt er.
Das hat vor allem historische Gründe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte man innerhalb der europäischen Gemeinschaft die Lebensmittelproduktion stärken und gleichzeitig Agrarimporte zurückdrängen. Aus der Unterversorgung wurde so schon bald eine Überproduktion. „Man sah Milchseen und Butterberge – und um die abzubauen, entschied man sich, Direktzahlungen, so wie wir sie heute noch kennen, einzuführen“, erklärt Experte Herzfeld. Ab 2003 begann die EU-Kommission dann, in die vollständige Entkoppelung von der Produktion einzusteigen. Die Höhe der Direktzahlungen bemisst sich seitdem vor allem an der Fläche, die ein Bauer bewirtschaftet. Ökonomisch gesehen sei das der richtige Weg gewesen, so Experte Herzfeld, der die staatlichen Hilfen in ihrer heutigen Ausprägung allerdings hinterfragt. „Es gibt Landwirte, die mir sagen, dass sie auch ohne Subventionen auskommen könnten.“ Allerdings weiß auch Herzfeld, dass Reformen an den Beharrungsfähigkeiten der Agrarlobby scheitern können. Die staatlichen Zuwendungen machen dem Experten zufolge bis zu 40 Prozent des Umsatzes eines landwirtschaftlichen Betriebs aus.
Debatten darüber halten Fachleute aber inzwischen für geboten. „Historisch war die Lebensmittelproduktion entscheidend wichtig für eine Volkswirtschaft. Doch jetzt wird hinterfragt, inwieweit der Sektor noch diese Sonderrolle hat“. Der befürchtete Kulturwandel sei auch ein Grund dafür, dass Lobbyvertreter derzeit so massiv auftreten, ordnet Thomas Herzfeld ein. Trotz geringerer finanzieller Spielräume der öffentlichen Hand will aber auch Herzfeld kein generelles Aus von Agrarhilfen. „Wenn wir über Klimaschutz reden, ist die Landwirtschaft ein ganz wichtiger Baustein“. Das sei eine Leistung, für die es an der Supermarktkasse keinen Preis gebe. Dafür Zahlungen zu leisten, sei auch wirtschaftspolitisch gerechtfertigt.
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