Bundesregierung

Pistorius – Gefahr für Scholz?

Nach 100 Tagen im Amt ist der Verteidigungsminister Umfrageliebling. Und womöglich ein Konkurrent für den Kanzler

Von 
Jan Dörner
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Boris Pistorius findet stets klare Worte und kommt damit auch bei der Truppe gut an. © Michael Kappeler/dpa

Berlin. Der Job an der Spitze des Verteidigungsministeriums gilt traditionell als einer der schwersten im politischen Berlin. Inmitten eines Krieges in Europa sind die Anforderungen noch höher. Boris Pistorius ist seit bald 100 Tagen im Amt – und inzwischen der beliebteste Politiker des Landes. Zeit für eine Bilanz.

Ein Wackler nur ganz am Anfang

Gerade hat Pistorius eine Feuerprobe hinter sich gebracht. Der von ihm und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geleitete Krisenstab organisierte die Evakuierung von deutschen Staatsangehörigen aus dem Sudan. „Ohne Panne, ohne jedes Problem“, bilanzierte der Minister hochzufrieden. Mehr als 700 Menschen holte die Bundeswehr aus dem Krisenstaat, darunter auch Angehörige anderer Nationen. Wäre die gefährliche Mission schiefgegangen, wäre auch Pistorius unter Druck geraten.

Es begann mit einem Wackler: Kanzler Olaf Scholz gab am 17. Januar bekannt, dass der bisherige niedersächsische Innenminister Nachfolger von Christine Lambrecht im Bundesverteidigungsministerium wird. Das Ministerium sei „schon in Friedenszeiten eine Herausforderung“, sagte Pistorius in einer ersten Stellungnahme. Aber besonders in Zeiten, in denen Deutschland „an einem Krieg beteiligt ist“, fuhr er fort. Und sorgte damit für eine Schrecksekunde. Schließlich befindet sich Deutschland trotz militärischer Unterstützung für die Ukraine nicht im Krieg mit Russland. Pistorius fügte schnell ein „indirekt“ hinzu – und kriegte damit die Kurve.

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Walter Serif
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Seitdem ist der SPD-Politiker trittsicher, ob verbal oder mit festem Schuhwerk auf Truppenbesuch im Ausland. „Er ist die perfekte Verbindung aus Erfahrung und Offenheit, Erdung und Vorstellungskraft, Verantwortungsgefühl und Großzügigkeit“, durfte seine frühere Partnerin Doris Schröder-Köpf ihm kürzlich in der „Bild“-Zeitung hinterherflöten. Auf diese Lobeshymne ist der 63-Jährige aber gar nicht angewiesen.

„Putztorius“ im Ministerium

Pistorius ist seit Amtsantritt sehr präsent und kommt gut an. Mit seiner kernigen Art erinnert er manche an den früheren Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Der Niedersachse findet klare Worte: zu den Riesenproblemen der Truppe, zu den Vorteilen einer allgemeinen Wehrpflicht, zum Finanzbedarf der Bundeswehr.

Lambrecht machte den Eindruck, von dem Krieg und seinen Folgen für Deutschland und die Bundeswehr überfordert zu sein. Pistorius gibt eine bessere Figur ab. Drei Wochen nach Amtsantritt war er bereits in Kiew. Eine Reise, für die Scholz nach Russlands Überfall fast vier Monate gebraucht hatte. Pistorius profitierte aber auch von Entscheidungen, die vor seiner Zeit getroffen wurden. Bei den Waffenlieferungen tastete sich der Kanzler nach Kriegsbeginn schrittweise voran bis an das schlagkräftigste Gerät. Kurz vor der Berufung von Pistorius hatte Scholz bereits entschieden, Schützenpanzer und ein Luftverteidigungssystem Patriot an die Ukraine zu liefern.

Pistorius räumt allerdings persönlich in der Führungsetage auf: Generalinspekteur Eberhard Zorn musste ebenso gehen wie eine Staatssekretärin und die Chefin des als ineffizient geltenden Beschaffungsamts der Bundeswehr. Der Minister will in seinem Ministerium mit rund 2500 Mitarbeitern Dutzende Leitungsstellen streichen und wieder einen Planungs- und Führungsstab einrichten, um mit dem chronischen Chaos im Bendlerblock aufzuräumen. Für seinen Tatendrang bekam er von der Presse den Beinamen „Putztorius“ verliehen.

Klassenbester statt Karriereknick

„Pistorius lebt die Zeitenwende im Ministerium. Und er wird sie am Kabinettstisch durchsetzen – da bin ich mir relativ sicher“, zeigt sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), zufrieden mit dessen bisheriger Bilanz. Scholz habe sich einen Mann in die Regierung geholt, „der sich entgegen der Vorgängerin nicht an der kurzen Leine führen lässt und der im Gegensatz zum Bundeskanzler entscheidungsfreudig ist“, fügt die Scholz-Kritikerin hinzu.

Das Verteidigungsministerium hat den Ruf, politische Karrieren eher zu vernichten als zu befördern. Pistorius verhalf dem Amt allerdings in kurzer Zeit zu großer Popularität. Im Politbarometer liegt er in der Beliebtheitsskala an der Spitze – weit vor Baerbock, Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) oder den Chefs von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder. Auch im Deutschlandtrend ist Pistorius Klassenbester: Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ist mit seiner Arbeit zufrieden. Er ist damit der einzige Politiker, der mehr Zustimmung als Ablehnung erntet.

Was heißt das für einen Politiker, wenn er zweieinhalb Jahre vor der Bundestagswahl beliebter ist als alle potenziellen Kanzlerkandidaten – inklusive des Amtsinhabers und Parteikollegen Scholz? Wäre Pistorius der bessere SPD-Kanzlerkandidat? Kann er Scholz sogar gefährlich werden? Im Moment nicht. Scholz ist in der SPD unumstritten, an seinem Willen zur erneuten Kandidatur besteht kein Zweifel. Das könnte sich nur ändern, wenn er beim Klauen silberner Löffel im Kanzleramt erwischt wird – oder ihn der Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre der Lüge überführen würde. Dann fielen die Blicke auf Pistorius – wenn er bis dahin nicht an den vielen Baustellen des Verteidigungsministeriums verzweifelt ist.

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