Mannheim. Frau Brantner, warum schlägt Ihr Herz für die Grünen?
Franziska Brantner: Umweltschutz und Frauenrechte waren schon früh mein Ding, da war der Weg zu den Grünen nicht weit. Aber die Wurzeln der Partei liegen ja auch in der Friedensbewegung. Mit dem Thema Krieg habe ich mich schon als Teenager beschäftigt. Bücher wie „Die Waffen nieder!“ von Bertha von Suttner und Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ haben mich damals tief bewegt und beeindruckt.
Dann haben Sie bestimmt auch an Ostermärschen teilgenommen.
Brantner: Klar. Das letzte Mal war 2003. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir damals alle auf den Straßen waren und gegen den Irak-Krieg protestiert haben, den die USA mit einigen Verbündeten führten. Die rot-grüne Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hat damals zum Glück die Teilnahme Deutschlands an diesem Krieg verhindert. Das ist meine große Erinnerung an die Ostermärsche, die ich mit denjenigen teile, die damals für den Frieden demonstriert haben.
20 Jahre später demonstrieren in Deutschland andere für den Frieden – wie Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht.
Brantner: Für ein Ende des Krieges und den Frieden sind wir doch alle. Das gilt vor allem für die Ukrainerinnen und Ukrainer, sie wünschen sich nichts sehnlicher als das Ende Putins imperialistischer Aggression. Sie verteidigen ihre Freiheit. Deshalb ist es irreführend, wenn Schwarzer und Wagenknecht den Eindruck erwecken, als wären wir gegen den Frieden. Es ist Putin, der keinen Frieden will, das bestimmt unser Handeln.
Franziska Brantner
- Franziska Brantner wurde am 24. August 1979 in Lörrach geboren.
- Sie studierte Politikwissenschaften in Paris und New York und promovierte an der Universität Mannheim.
- Bei der Europawahl 2009 gewann sie ein Mandat für die Grünen. seit 2013 ist Brantner im Bundestag (Wahlkreis Heidelberg). 2021 holte sie das Direktmandat für ihre Partei.
- Die Politikerin ist seit 2021 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. was
Ihr Parteifreund Danyal Bayaz hat ja Öl ins Feuer gegossen, er hat die Friedensdemo der Unterzeichner des „Manifests für den Frieden“ als „Schande für unser Land“ bezeichnet. Geht das nicht zu weit?
Brantner: Der Pazifismus hat seinen Platz in unserer Gesellschaft, ich wundere mich aber, warum die Demonstranten, die dafür sorgen wollen, dass die Waffen ruhen, dann nicht vor der russischen Botschaft demonstrieren. Denn von dort, von dem russischen Aggressor geht die völkerrechtswidrige Gewalt auf ein souveränes Land aus. Wer konsequent pazifistisch handelt, muss vor den Türen der russischen Botschaft protestieren und rufen: „Legt die Waffen nieder, lasst die Ukrainer in Frieden!“ Wer das nicht macht, bricht im Prinzip mit der pazifistischen Tradition.
Pazifisten lehnen ja Gewalt per se ab – also auch die des Aggressors.
Brantner: Eben. Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehen wir damit um, wenn andere skrupellos zu den Waffen greifen und sie gegen Menschen einsetzen? Da gibt es natürlich unterschiedliche Wege, die man auch beschreiten muss. Also Diplomatie, Wirtschaftssanktionen und auch Widerstand gegen den Aggressor. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, dass man gegen eine solche brutale Gewalt meistens nicht nur mit friedlichen Mitteln ankommt. Und niemand kann bestreiten, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer nach der UN-Charta auch das Recht haben, sich zu verteidigen.
Deutsche Sozialdemokraten und Gewerkschafter haben dennoch in ihrem Friedensappell Kanzler Olaf Scholz aufgerufen, zusammen mit Frankreich andere Länder wie China oder Brasilien für eine Vermittlung zu gewinnen, um einen schnellen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen.
Brantner: Die Bundesregierung und insbesondere unsere Außenministerin Annalena Baerbock ringen gemeinsam mit unseren internationalen Partnern mit ganzer Kraft um eine diplomatische Lösung. Für uns ist aber auch klar: Es darf keinen Diktatfrieden über die Ukraine hinweg geben. Robert Habeck war in dieser Woche in Kiew und hat dort klar gesagt: Über das Wann und das Wie eines Friedens entscheidet die Ukraine selbst. Putin hat die europäische Friedensordnung zerstört, und es wird keinen Frieden geben, wenn er sich durchsetzt.
„Frieden schaffen ohne Waffen“ oder „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen“? Die Grünen mussten schon 1999 beim Kosovo-Einsatz zwischen Idealismus und Realpolitik entscheiden. Daran ist die Partei damals fast zerbrochen. Wie ist die Stimmung aktuell an der Basis mit Blick auf die Waffenlieferungen an die Ukraine?
Brantner: Wir sehen mit Blick auf unsere Parteigeschichte, wo wir herkommen. Wir haben bei jedem Militäreinsatz intensiv und ehrlich mit uns gerungen, da hat es nie einen Automatismus gegeben. Darauf bin ich auch stolz. 1999 war die Partei tatsächlich gespalten, aber das beweist auch, dass wir uns das Ja zum Kosovo-Einsatz eben nicht leicht gemacht haben.
Und was ist heute anders?
Brantner: Der große Unterschied zu 1999 ist, dass es diesmal in der Partei eine große Mehrheit für Waffenlieferungen an die Ukraine gibt. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass das keine leichten Entscheidungen sind und es besser wäre, wenn die Ukraine nicht gezwungen wäre, die Waffen zur Selbstverteidigung einzusetzen. Die große Unterstützung der Grünen für Waffenlieferungen liegt auch daran, dass es die UN-Charta erlaubt, Länder militärisch zu unterstützen, die von einem Aggressor wie jetzt Russland überfallen worden sind. Für unsere Partei ist das Völkerrecht richtigerweise zentral.
1999 hat sich die Nato aufs Völkerrecht berufen, der Einsatz selbst erfolgte aber ohne UN-Mandat.
Brantner: Das ist das Dilemma im Rahmen der Vereinten Nationen, dass es im Sicherheitsrat ein Vetorecht der ständigen Mitglieder gibt. Russland und China haben damals einen Einsatz unter der UN-Flagge verhindert, das heißt aber noch lange nicht, dass der Einsatz illegal oder illegitim war. Denn es gibt auch noch die UN-Genozid-Konvention, die es der internationalen Gemeinschaft erlaubt, solche Verbrechen zu verhindern.
Und was unterscheidet dann einen Wladimir Putin von George W. Bush?
Brantner: Es ist doch offensichtlich, dass Putin die Idee von Demokratie und universellen Menschenrechten ablehnt und in Russland die Menschenrechte und die demokratischen Freiheiten beschnitten hat und die Opposition unterdrückt.
Mir geht es darum, dass auch Bush einen Angriffskrieg gegen den Irak angezettelt hat – gegen den Sie ja vor 20 Jahren selbst demonstriert haben. Gegen Putin gibt es einen internationalen Haftbefehl, bei Bush war das nie ein Thema. Kritiker halten das für Heuchelei.
Brantner: Dass der Krieg gegen den Irak Unrecht war, bestreite ich nicht. Dazu wurde in Deutschland auch nicht geschwiegen, im Gegenteil. Und es gab eine Spaltung zwischen dem alten und dem neuen Europa in der EU. Deshalb hat sich nicht nur Deutschland der Beteiligung daran verweigert. Aber man kann doch nicht den Krieg gegen die Ukraine damit rechtfertigen oder verharmlosen, indem man sagt: Ihr wart auch oft keine guten Menschen in der Geschichte, deshalb können wir nun etwas Schlechtes gutheißen. Diese Debatte stört und nervt mich. Man kann Übeltaten nicht mit diesem Hinweis beschönigen oder einfach wegdiskutieren. Man muss Unrecht und Aggression immer und ohne Wenn und Aber anprangern, erst recht, wenn man selbst schuldig geworden ist.
Der Krieg darf aber auch kein probates Mittel der Politik werden.
Brantner: Natürlich nicht. Es ist in Europa unsere gemeinsame historische Verantwortung, das zu verhindern, und daher muss uns klar sein: Wenn wir jetzt nicht konsequent handeln, dann wird es gefährliche Konsequenzen für die Zukunft haben. Sollte der russische Imperialismus sich durchsetzen, wird es unweigerlich zu noch mehr Krieg und Verwüstung führen. Die Teilnehmer der Ostermärsche fordern das immer wieder ein, und das finde ich auch richtig: Wir müssen jedes Mal wieder hart mit uns ringen. Waffenlieferungen stehen bei der Auswahl der Mittel eben nicht auf einer Stufe mit der Diplomatie, sie sind das letzte Mittel. Deshalb ist es auch völlig in Ordnung und sogar notwendig, dass man darüber besonders streiten muss. Aber wir dürfen nicht vergessen, welche Verantwortung wir für die Menschen haben, die für ihre und leider auch für unsere Freiheit kämpfen müssen.
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Fränkische Nachrichten Plus-Artikel Kommentar Alte und neue Wahrheiten bei Ostermärschen bedenken