Migration

Standorte für Erstaufnahme dringend gesucht – aber wo?

Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete - nein danke. So gut wie keine der infrage kommenden Kommunen will sie. So langsam kommt das Land in Zugzwang. Fragen und Antworten

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Anika von Greve-Dierfeld
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In Pforzheim will das Land eine ehemalige Gewerbeimmobilie anmieten. Der Gemeinderat hat sich aber gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung ausgesprochen. © Uli Deck/dpa

Wann hat die Hängepartie ein Ende? Das Land muss irgendwann entscheiden, wo neue Erstaufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete errichtet werden. Die Standorte werden dringend gebraucht, nur: Die Kommunen, die dafür bisher in Betracht gezogen werden, sind überwiegend nicht glücklich darüber. Doch auch wenn das Land bisher immer auf gutes Einvernehmen mit den Städten und Gemeinden setzte und dies weiterhin betont, kann es notfalls auch gegen ihren Willen handeln. Dem Land stehen unangenehme Entscheidungen bevor. Ein Überblick.

Wie viele Plätze werden überhaupt gebraucht?

Baden-Württemberg muss bis 2026 voraussichtlich rund 27 300 neu ankommende Geflüchtete jährlich in Erstaufnahmeeinrichtungen unterbringen Mittelfristig geht es um rund 9000 zusätzliche Regelplätze, die für eine nachhaltige und belastbare Erstaufnahme notwendig seien, sagt das zuständige Justizministerium. Die Berechnungen seien Bestandteil der Konzeption zur Neugestaltung der Erstaufnahme, mit der sich am 27. Februar das Kabinett befasst.

Wie viele Plätze gibt es aktuell im Land?

Derzeit gibt es den Angaben zufolge rund 6300 Regelplätze; 7300 wurden in vorübergehenden Notunterkünften aufgebaut. Nötig seien also, ausgehend von einem durchschnittlichen Aufenthalt der Menschen von fünf Monaten, insgesamt 15 000 Plätze.

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Nach welchen Kriterien werden neue Standorte gesucht?

Das Land erkundet alle in Betracht kommenden Optionen. Berücksichtigt werden unter anderem notwendige Umbaumaßnahmen von vorhandenen Gebäuden, Wirtschaftlichkeit, Baurecht, Artenschutz, Denkmalschutz und natürlich die Finanzierbarkeit. Die Suche sei aber sehr schwierig, heißt es aus dem Ministerium.

Welche Rolle spielt das Einverständnis der Kommunen?

Das Land will zwar im guten Miteinander mit den betroffenen Kommunen handeln, betont das Ministerium. Gleichzeitig aber gebe es die gesetzliche Verpflichtung, die Menschen unterzubringen. Die Kommunen müssten bei der Standortsuche zwar eingebunden und angehört werden. Widerstand gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung alleine reiche aber nicht als Grund dafür aus, keine einzurichten.

Was sagen Städte- und Gemeindetag?

Man erwarte, dass Liegenschaften oder Flächen nicht gegen den Willen betroffener Städte als Erstaufnahmestandorte genutzt würden, sagt der Städtetag. „Wir sind davon überzeugt, dass einvernehmliche Lösungen einer gerichtlichen Auseinandersetzung vorzuziehen sind.“ Außerdem sollten nicht nur neue, sondern sollte auch die Erweiterung bestehender Standorte geprüft werden. „Wir wissen von Städten, die zu Gesprächen darüber grundsätzlich bereit sind.“ Der Bedarf an Plätzen sei unstrittig, die Vorbehalte der Bürger seien aber groß, so der Gemeindetag. Angesichts der angespannten Gesamtlage seien gute und einvernehmliche Lösungsfindungen leider kaum mehr möglich.

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Wie viele Standorte für neue Erstaufnahmeeinrichtungen sind mittlerweile im Gespräch?

Neun. Laut Migrationsministerium laufen derzeit „konkretere Pläne“ für Liegenschaften in Bruchsal (Kreis Karlsruhe), Pforzheim, Waldkirch (Kreis Emmendingen), Böblingen, Sindelfingen und Ludwigsburg. Auch in Stuttgart, Fellbach (Rems-Murr-Kreis) und Crailsheim seien Liegenschaften angeboten worden. Eine Art Rangliste gibt es nicht, wann Entscheidungen fallen könnten, ist offen.

Und was sagen die Kommunen selbst dazu?

Sie sind überwiegend nicht begeistert. In Bruchsal steht die Alte Landesfeuerwehrschule auf dem Prüfstand. „Details zu den Plänen wurden bisher vonseiten des Landes nicht kommuniziert“, sagt eine Stadtsprecherin. Bruchsal bemühe sich seit Jahren darum, dass das Gelände in ein Wohngebiet umgewandelt wird. Angesichts der prekären Situation auf dem Wohnungsmarkt sei dies dringlicher als je zuvor, sagt Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick (Grüne).

In Pforzheim überlegt das Land, eine ehemalige Gewerbeimmobilie anzumieten. Der Gemeinderat hatte sich aber schon Anfang vergangenen Jahres eindeutig gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung ausgesprochen. Das Land habe stets betont, wie wichtig das Einvernehmen bei solchen Entscheidungen sei, sagt ein Stadtsprecher. „Eine Abkehr von dieser Prämisse wäre ein Tabubruch“.

In Böblingen geht es um ein Gelände im Besitz des Landkreises, auf dem sich ein inzwischen leerstehendes Krankenhaus befindet. Momentan läuft ein Investorenwettbewerb und die Gespräche mit Interessenten wie dem Land sind ausgesetzt. Die Stadt betont ihr großes Interesse, dass Gewerbeflächen entstehen und keine Einrichtung für Geflüchtete. „An diesem Ziel hält die Stadt fest“, sagt ein Stadtsprecher

Großen Widerstand gibt es in Ludwigsburg. Es gab mehrfach Proteste, eine Bürgerinitiative gründete sich und der Gemeinderat ist mehrheitlich dagegen. Ein von der Stadt in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, die Bebauung sei nicht zulässig, hatte die Stadt Ende Januar mitgeteilt.

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pm/mf
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In Waldkirch wird geprüft, ob eine ehemalige Herz-Kreislauf-Klinik umgebaut werden könnte. Das finden nicht alle Bürger gut. Eine im August vergangenen Jahres gestartete Petition hat inzwischen knapp 3000 Unterschriften. Der Gemeinderat der 20 000-Einwohnerkommune gab eine etwas mildere Stellungnahme ab und verknüpfte sie mit einigen Forderungen, darunter: Maximal 500 Plätze für maximal fünf Jahre.

In Fellbach gibt es Vorprüfungen des Landes für eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA), sehr zum Verdruss der Stadt. „Wir lehnen eine LEA in unserem Stadtgebiet aus prinzipiellen Gründen ab“, schrieb Oberbürgermeisterin Gabriele Zull (parteilos) jüngst einen Brief an Gentges. „Es ist für mich völlig undenkbar, eine Einrichtung dieser Größenordnung in unserem knappen und hoch verdichteten Stadtgebiet anzusiedeln.“

Das Land hat auch ein Auge auf den Eiermann-Campus in Stuttgart geworfen. Für ein bestimmtes Gebiet auf diesem Areal hat aber die Landeshauptstadt ein Vorkaufsrecht, erläutert ein Stadtsprecher; die Gespräche mit dem Eigentümer liefen. Der Gemeinderat habe sich klar dafür ausgesprochen, die Flächen für eine eigene Entwicklung zu erwerben. Zum Thema LEA möchte sich die Stadt nicht äußern. Auch Sindelfingen könnte infrage kommen, dort betreibt das Land schon eine Notunterkunft.

In Crailsheim geht es um den ehemaligen Fliegerhorst. Es habe lediglich eine grobe Vorprüfung gegeben, betonte kürzlich Oberbürgermeister Christoph Grimmer (parteilos). Aktuell liege das Anliegen auf Eis. Man verfolge eigene Pläne zur Unterbringung Geflüchteter, ergänzt ein Sprecher der Stadt. dpa

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