Polizeiaffäre

Journalist als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss

Ministerpräsident Winfried Kretschmann lässt die Opposition in der Befragung abblitzen

Von 
Annika Grah
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„Wir sind keine Dienst- und Rechtsaufsicht eines anderen Ministeriums“, sagte Winfried Kretschmann in der Befragung. © Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Im Grunde hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schon früh klargemacht, was von seiner Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss zur „Polizeiaffäre“ im Landtag zu erwarten war. Stets hatte er sich hinter Innenminister Thomas Strobl (CDU) gestellt. Zuletzt hatte er gesagt, dass er den politischen Umgang mit dem Thema für „ziemlich aufgeblasen“ halte. Am Montag ließ er die Opposition in seiner mehrstündigen Befragung entsprechend abblitzen: „Wir sind keine Dienst- und Rechtsaufsicht eines anderen Ministeriums“, antwortete er auf die Frage, wie er das Verhalten seines Ministers beurteile. SPD-Obmann Sascha Binder kritisierte das im Anschluss: Aus dessen „Politik des Gehörtwerdens“ sei inzwischen eine Politik des „Nichtgestörtwerdens“ geworden.

Den weitaus höheren Erkenntnisgewinn brachte da die Befragung des Journalisten dieser Redaktion. Franz Feyder hatte als Zeuge in dem Untersuchungsausschuss am Vormittag schwere Vorwürfe erhoben –gegen die Staatsanwaltschaft, aber auch gegen den Landtag: „Das Parlament hat es in den vergangenen 201 Tagen zugelassen, mitunter sogar befördert, dass für einen kurzlebigen, in der Konsequenz jedoch folgenlos bleibenden Angriff auf einen politischen Gegner die Freiheit der Presse mit Füßen getreten wurde“, sagte er. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Oliver Hildenbrand, widersprach dem Vorwurf.

Auslöser des Untersuchungsausschusses sind Vorwürfe gegen den obersten Polizeibeamten im Land, den Inspekteur der Polizei, und Fragen rund um die Beförderungspraxis bei der Polizei. Der Mann ist inzwischen suspendiert, die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen sexueller Nötigung erhoben. Wie unsere Redaktion berichtete, gibt es inzwischen neue Ermittlungen gegen den Polizisten wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses.

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Feyder wurde gehört, weil ihm auf Veranlassung von Innenminister Strobl ein Schreiben des Anwalts des Inspekteurs weitergereicht wurde. Er berichtete darüber und kam der ausdrücklichen Bitte des Innenministers auf Schutz seiner Quelle – wie im Journalismus üblich – nach. Später ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen der Weitergabe von Dokumenten aus einem Disziplinarverfahren. Das Verfahren wurde inzwischen wegen Geringfügigkeit eingestellt. Strobl akzeptierte eine Geldbuße von 15 000 Euro.

Topjuristen kritisierten die Ermittlungen. Der Tübinger Strafrechtsexperte Bernd Hecker, auf dessen Kommentar sich die Staatsanwaltschaft berief, sprach von einer falschen Interpretation der Norm. Er sieht darin, wie auch der Journalist, einen schweren Eingriff in die Pressefreiheit. Feyder erhob den Vorwurf, die Opposition habe diese benutzt, um Strobl zum Rücktritt zu bewegen. Ein Entlassantrag von SPD und FDP war vor einigen Wochen im Landtag gescheitert.

Franz Feyder hatte mit 47 Artikeln über die Machtnetzwerke bei der Polizei und mutmaßliche sexuelle Verfehlungen des obersten Polizeibeamten im Land maßgeblich zur Aufklärung und zur Einrichtung des Untersuchungsausschusses beigetragen. Im Komplex der Besetzungspraxis beispielsweise hatte er im September 2021 eine Liste mit Namen für künftige Besetzungen von frei werdenden Spitzenämtern bei der Polizei ab dem Jahr 2023 veröffentlicht. Diese habe der Inspekteur der Hausspitze des Innenministers schon weit vor der dafür zuständigen Beurteilungskonferenz vorgelegt und obwohl die Stellen noch weit entfernt davon gewesen waren, ausgeschrieben zu werden, erklärte er im Ausschuss.

FDP und SPD bestätigten, dass sich die Aussagen Feyders zu großen Teilen mit den Erkenntnissen aus den bislang nicht öffentlichen Akten decken. Es seien nun Dinge öffentlich geworden, die bislang in geheimer Sitzung Gegenstand waren, sagte Binder. FDP-Obfrau Julia Goll ergänzte: „Offensichtlich weiß dieser Journalist sehr viel mehr über Vorgänge im Innenministerium als der Minister selbst.“ Schließlich zeichnete Feyder ein verheerendes Bild, das seine Recherchen ergeben hätten: „Die Polizei Baden-Württembergs hat ein strukturelles Führungsproblem, in dem persönliche Verbindungen mehr gelten als Eignung und Befähigung, erst recht als Kritik und das Aufzeigen von Mängeln“, bilanzierte der Reporter. „In der Landespolizei beginnt sich ein Klima aus Angst breitzumachen.“

Der Opposition lieferte Feyder mit seiner Aussage neue Angriffspunkte gegen Strobl: „Wenn nur ein Bruchteil der Vorwürfe stimmt, die der Journalist eben vor dem Untersuchungsausschuss geäußert hat, hat Strobl sein Haus nicht ansatzweise unter Kontrolle“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

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