Urphar. Alte Musik in neuen Arrangements, gespielt in uralter Kirche: Wer wollte, der konnte dies am Sonntagabend in der Urpharer Jakobskirche mit dem Trio „Züngelnder Saitenwind“ erleben.
Beginnen wir mit dem Raum: Die Wehrkirche, in deren alten Mauern nun zum 128. Mal eine Abendmusik stattfand, als „Kleinod“ zu bezeichnen, wird dem kunsthistorisch so bedeutenden Bau kaum gerecht. Man sitzt in dem Raum und staunt über die unterschiedlichen zeitlichen „Schichten“, die sich in diesem wunderschönen Kirchbau gut erkennen lassen. Der über 1000 Jahre alte Turm, die mittelalterlichen Fresken, die vom Emporengestühl überdeckt werden, die Orgel, deren historischer Prospekt aus dem zu Ende gehenden 18. Jahrhundert stammt . . . Diese Kirche ist ein verstecktes, aber um so eindrucksvolleres Highlight des Kirchenbaus in der näheren und weiteren Region.
Spannende Besetzung
In diesem Raum erschallte nun Musik aus dem Spätbarock und dem 20. Jahrhundert – gespielt auf Instrumenten, die zumindest teilweise im 19. Jahrhundert erfunden wurden. Christina Bernard (Saxofon), Anton Stötzer (Violoncello) und Kevin Bernard (Akkordeon) bilden gemeinsam das Trio „Züngelnder Saitenwind“. Ein erklärungsbedürftiger Name, der sich aus den Saiten des Cellos, dem für Akkordeon und Blasinstrument benötigten Wind (auch im Orgelbau wird das so bezeichnet) und den Metallzungen zusammensetzt, die beim Akkordeon durch eben diesen Wind zum Klingen gebracht werden.
Das Spannende an dieser Besetzung ist, dass es quasi die Neuauflage einer typisch barocken Ensembleformation, bestehend aus Soloinstrument (meist Flöte oder Geige), Harmonieinstrument (meist Cembalo oder Orgel) und Bassinstrument (Cello oder Fagott) ist. Nur wird hier die Flöte durch das Saxofon und das Cembalo durch das Akkordeon ersetzt.
Und so fragten sich die drei Musiker in ihrer gemeinsamen Moderation, wie sie auf modernem Instrumentarium historische Musik adäquat darstellen können. Eine Frage, die sich übrigens die Spieler historischer Instrumente genauso stellen. Um es kurz zu machen: Die Adaption gelang hervorragend. Zu Beginn des Konzerts konnte man bei drei Sätzen aus Bachs Orchestersuite Nr. 2 wirklich fast glauben, dass die virtuosen Saxofon-Linien von einem Cembalo begleitet würden.
Im zweiten Satz der sich anschließenden Sonate für Flöte und Cembalo des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel wird die Cembalostimme des Akkordeons tatsächlich zu einer zweiten und gleichwertigen Solostimme.
Abwechslungsreich
Neben dem barockem Gestus bot diese Besetzung, für die Akkordeonist Kevin Bernard sämtliche Arrangements geschrieben hat, auch die Möglichkeit, Musik der (Früh)Moderne wie Ferenc Farkas’ „Alte ungarische Tänze“ oder Piazzolas „Oblivion“ oder seinen als Zugabe gespielten „Libertango“ sehr abwechslungsreich und spannend darzustellen. Eindrucksvoll, wie die drei auch feine Temponuancen wie im „Lassu“ von Farkas gemeinsam gestalteten und ausmusizierten. Hier merkte man am perfekten Zusammenspiel die jahrelange gemeinsame Arbeit am deutlichsten.
Die Bescheidenheit, mit der der Name des Arrangeurs Bernard auf dem Programm verschwiegen wird, ist wahrlich nicht nötig, weswegen auf diese vorbereitende Tätigkeit des Ensembles an dieser Stelle ausdrücklich hingewiesen werden soll. Besonders beeindruckt war der selbst arrangierende Schreiber dieser Zeilen von Béla Bartóks rumänischen Volkstänzen, die in Bernards Fassung noch reizvoller sind als im Original. Auch der gezielte Einsatz gläserner Flageolett-Klänge des Cellos am Ende des Piazzolla – „Oblivion“, dessen Sexten-Seeligkeit leicht ins kitschige abrutschen könnte, ist ein Beispiel für die sehr gekonnt gefertigten Arrangements.
Insgesamt war es ein wirklich spannender und mitreißender Abend. Dass das Publikum (wenn auch vergeblich) versuchte, sich eine zweite Zugabe zu erklatschen, spricht für sich und dafür, das Ensemble wieder einmal in die Region einzuladen.
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