Wertheim. Seit zwei Jahren lebt Lara Bohnet in New York. Nach dem Abschluss ihres Studiums an der renommierten New York University wird sie den Titel Philosophical Doctorate (PhD) in Economics tragen. Das alles hört sich nicht nur spannend an, sondern ist es auch – zumal Lara Bohnet dort den Status „Alien“ hat.
Die Weltoffenheit wurde ihr von ihren Eltern quasi vorgelebt: „Wir sind schon immer gerne verreist, um andere Länder und Kulturen kennenzulernen“, erzählt die junge Frau im Gespräch mit den FN. „Seit ich 2014 am Wertheimer Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium mein Abitur abgelegt habe, wohne ich eigentlich fast durchgehend im Ausland“, sagt sie und lacht.
Nach dem Abi hinaus in die Welt
Zunächst studierte die 27-Jährige in den Niederlanden, verbrachte ein Auslandssemester in Santiago de Chile, legte ihren Bachelor in „International Business“ ab, um dann den Master in Volkswirtschaftslehre in Lissabon zu machen. Dort arbeitete sie auch zwei Jahre am Forschungszentrum der Universität: In ihrem Projekt ging es um die Integration von Migranten aus Kap Verde. In Portugal verliebte sie sich nicht nur ins Surfen, sondern auch in einen Kommilitonen, einen jungen Amerikaner aus New Jersey.
Mit ihm wagte sie dann den Sprung über den großen Teich: „Ich hatte schon immer Lust, in New York zu leben. Außerdem sind die Doktorprogramme in den USA sehr renommiert und die Stipendien besser als in Europa. Mein Wunsch war es auch, mit dem Stipendium finanziell unabhängig sein zu können“, begründet sie diesen Schritt.
Stressiges erstes Jahr
Allerdings entpuppte sich das erste Jahr an der Uni als sehr stressig. „Man muss sich für die Forschungsphase des PhD qualifizieren. Wenn man diese ,Qualifying exams’ nicht besteht, darf man einmal wiederholen. Beim zweiten Mal ist man dann ‘raus aus der Nummer.“ Zusammen mit einer Freundin aus Wien, die sie in New York kennenlernte, biss sie sich durch, bestand, und ist nun, im zweiten Jahr, wesentlich entspannter.
Sie hat inzwischen mit ihrem eigenen Forschungsprojekt angefangen und arbeitet zusätzlich als „Teaching assistent“ an der Uni: „Unter anderem gebe ich immer freitags Tutorien, in denen ich mit Bachelor-Studenten den Stoff der Woche nochmals durchgehe, Fragen beantworte und Aufgaben korrigiere.“
In Williamsburg zuhause
In Williamsburg, einem Stadtteil des Bezirks Brooklyn, wohnt sie mit ihrem Freund und fühlt sich dort richtig wohl. „Mit der Metro bin ich in sieben Minuten in Manhattan und laufe dann den Broadway entlang zur Uni am Washington Square Park.“ Sie hat sich schon so an ihr Leben in New York gewöhnt, dass sich das total selbstverständlich anhört. Ist es für sie wirklich schon „normal“, in solch einer Stadt wie dem „Big Apple“ zu leben? Lara Bohnet lacht und antwortet: „Im Alltag laufe ich inzwischen nicht mehr mit dem ständigen Blick nach oben durch die Straßen Manhattans. Aber wenn Freunde zu Besuch sind und ich mit ihnen unterwegs bin, denke ich schon auch immer noch: ,Wow!‘, und an der wunderschönen Skyline kann ich mich nie sattsehen“, gibt sie zu. New York sei genauso aufregend, wie sie es sich vorgestellt hat. Lara Bohnet spricht von der unglaublichen Fülle an Möglichkeiten, die sich dort bieten, und berichtet als kleines Beispiel von vielen von einer Bäckerei in ihrer Nachbarschaft, die bis Mitternacht geöffnet ist und in der man DJs zuhören kann, während man seinen Kuchen isst.
Sie schwärmt von den vielen Restaurants, Konzerten, Tanzveranstaltungen und Musicals, aber auch von der Aufgeschlossenheit der Menschen dort: „In Amerika gelten New Yorker allgemein ja als extrem unfreundlich. Das kann ich nun überhaupt nicht bestätigen.“
Seit Kamala Harris für das Präsidentenamt kandidiert und gegen Donald Trump antritt, spürt Lara Bohnet bei den Amerikanern, mit denen sie befreundet ist, zudem „eine völlig neue Energie“: „Die Leute sind wieder optimistischer. Obwohl Joe Biden von vielen als guter Präsident angesehen wurde, hat Harris hoffentlich bessere Chancen, eine Wiederwahl der Demokraten zu sichern.“
Sie berichtet über kostenlose Jam Sessions von Profimusikern in dem Jazzclub, den sie am Wochenende gerne besucht, von öffentlichen Plätzen mit Tischen und Stühlen am Wasser, wo man sein eigenes Essen mitbringen und verzehren darf, und von vielen netten Komplimenten, die man oft „einfach so“ bekomme. Diese Offenheit vermisst sie in Deutschland.
„Mit einer Hand auf der Hupe“
Aber natürlich gibt es auch in New York Dinge, die sie nerven. Zum Beispiel das ständige Gehupe: „Die Leute fahren offensichtlich mit einer Hand am Lenkrad und einer auf der Hupe“, das viele Plastik durch die ausgeprägte „To Go“-Kultur, und das mangelnde Umweltbewusstsein: „Wenn beispielsweise Leute im Auto auf jemanden warten, lassen sie gern im heißen New Yorker Sommer wegen der Klimaanlage den Motor laufen – auch eine halbe Stunde lang, wenn es sein muss.“
Außerdem findet sie das amerikanische Krankenversicherungssystem nicht gut: „Wenn jemand seinen Job von einen Tag auf den anderen verliert, hat er kein soziales Netz, das ihn auffängt. Zudem braucht man in den USA viel mehr Rücklagen als in Deutschland, um ein entspanntes Leben führen zu können.“
Die Mieten und vieles andere seien teurer als in Deutschland, allerdings bekomme man auch mehr Lohn als hierzulande – wenn man eine gute Ausbildung vorweisen kann.
Wie geht es denn in drei Jahren weiter, wenn sie ihren Doktortitel in der Tasche hat? Lara Bohnet berichtet vom „Academic job market“, einer zentralen Bewerbungsplattform für Stellen als „Assistant professor“. Allerdings weiß sie noch nicht, ob das dann das Richtige für sie sei: „Den Standort der Uni kann man sich leider oftmals nicht aussuchen, und dass man beispielsweise eine Stelle an der weltberühmten Columbia University in New York kommt, ist eher unwahrscheinlich.“
„Bonnet“ statt Bohnet
Lara Bohnet, die ihren Nachnamen in den USA nur noch als kurzes „Bonnet“ ausspricht, weil Amerikaner mit dem langgezogenen „oh“ Schwierigkeiten haben, zählt als ausländische Studentin und Teilnehmerin an einem akademischen Programm zu den „Non-resident Aliens“.
Sie erklärt: „Wenn man nach fünf Jahren den Abschluss in einem der STEM-Fächer, also in Science, Technology, Engineering oder Math hat, bekommt man für einen bestimmten Zeitraum eine Arbeitserlaubnis. Danach kann man sich auf eine Lotterie bewerben, in der man vielleicht eine ein verlängertes Visum bekommt und sich dann auf eine Green Card bewerben kann.“
Wollte sie tatsächlich in den USA bleiben, sei es „praktisch, mit einem Amerikaner zusammen zu sein, um diesen Prozess gegebenenfalls zu umgehen“, scherzt sie.
Wenn sie demnächst wieder zurück nach New York fliegt, hat sie diesmal ausnahmsweise auch etwas typisch Bayerisches im Gepäck – ein Dirndl. „In einer Brauerei in Williamsburg findet ein Oktoberfest statt. Da gibt es dann auch Butterbrezeln, die ich in New York sonst sehr vermisse.“ Ihr Freund wird sie dann – in Ermangelung einer Lederhose – in Jeans und einem T-Shirt begleiten, auf dem Hosenträger und Krachlederne einfach aufgedruckt sind.
Das sind Lara Bohnets Tipps für New York
Lara Bohnet rät: „Auf jeden Fall eine der fünf Aussichtsplattformen besuchen. Die neueste ist die Summit One Vanderbilt. Wer New York von oben bei Tag und Nacht erleben möchte, sollte am besten kurz vor Sonnenuntergang hingehen.“
Von der Dachterrasse des Pier 57 am Hudson River hat man einen tollen Ausblick auf Little Island.
Die öffentliche Fähre „NYC Ferry“ nutzen. Tickets gibt es in einer App. Bei Google Maps als Verkehrsmittel „Fähre“ eingeben. Eine schöne Strecke ist zum Beispiel die von Williamsburg zum Brooklyn Bridge Park. An der Brooklyn Bridge hat man von der Dachterrasse des Time Out Markets eine Top-Aussicht.
Im Sommer die vielen kostenlosen Angebote nutzen – wie etwa Kanufahrten auf dem East River oder Open-Air-Salsa-Kurse. Hier am besten online nach den Angeboten schauen.
Der Prospect Park, eine 1867 eröffnete, 2,4 Quadratkilometer große Parkanlage im östlichen Zentrum von Brooklyn, und der Domino Park, ein fünf Hektar großer Park am East River in Williamsburg auf dem Gelände einer früheren Zuckerraffinerie, sind ihre Lieblingsparks.
Anstatt zu viele Museen in kurzer Zeit zu besuchen, besser in verschiedenen Vierteln herumschlendern – zum Beispiel in Williamsburg, Bushwick, Park Slope oder West Village mit seinen vielen Jazzbars und kleinen Cafés.
Ihr Museums-Geheimtipp: das Tenement-Museum, in dem man anhand restaurierter Appartements aus dem 19. Jahrhundert etwas zur Geschichte der überwiegend jüdischen und italienischen Migranten aus Europa erfährt.
Auch bei Hitze immer eine leichte Jacke mitnehmen, weil die Klimaanlagen in Gebäuden „eher an Winter denken lassen."
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