Odenwald-Tauber. Die Defizit-Uhr auf der Internetseite der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) tickt unaufhörlich: Die Zahl vergrößert sich pro Stunde um 572 322 Euro. Dabei sollten Deutschlands Krankenhäuser wirtschaftlicher werden. Dieses Ziel schrieb sich die Reform der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2003 auf die Fahnen. Als Schlüssel wurden damals die sogenannte diagnosebezogene Fallpauschalen gesehen.
Seit dem Jahr 2004 rechnen die Krankenhäuser nun auf Basis dieser Pauschalen ab, die die Behandlung einer Erkrankung in einer bestimmten Zeit vergütet. Das Problem: Wenn der Patient länger in der Klinik liegt, bleibt die Fallpauschale die gleiche. Heute, knapp zehn Jahre nach der Einführung des Vergütungsmodells, ringen die politisch Verantwortlichen um neue Lösungen. Ein finaler Entwurf für das Gesetz, das zum 1. Januar 2024 in Kraft treten soll, liegt bis dato nicht vor.
Viele sehen Existenz gefährdet
Dabei drängt die Zeit: Immer mehr kleine Kliniken sind von der Insolvenz bedroht. Laut einer Umfrage der DKG im Juli sehen 69 Prozent der Krankenhäuser ihre Existenz kurz- und mittelfristig gefährdet. Fast keine Klinik kann ihre Ausgaben aus den laufenden Einnahmen decken. In unserer Region bangt Wertheim um sein Krankenhaus, das sich in einer finanziell sehr schwierigen Lage befindet. Der im Schutzschirmverfahren Generalhandlungsbevollmächtige Mark Boddenberg muss dem Insolvenzgericht im Dezember einen Sanierungsplan vorlegen.
Dass die angestrebte Krankenhausreform die Wertheimer Klinik retten wird, schloss Boddenberg in einem FN-Interview Ende September aus. „Wenn das Gesetz vor fünf Jahren gekommen wäre, dann hätte man die Herausforderungen außerhalb eines Schutzverfahrens lösen können. Bis das Gesetz wirklich greift, wird es noch dauern – nach meiner Schätzung etwa zwei bis drei Jahre. Das ist definitiv zu spät, aber nicht nur für Wertheim, sondern für sehr viel mehr Häuser, die in einer ähnlich schwierigen Lage sind“, sagt Boddenberg.
Was steht im Eckpunktepapier?
Das im Juli veröffentlichte Eckpunktepapier zeichnet die Linien der Reform vor. Geplant ist, Fallpauschalen durch ein Vorhaltebudget abzulösen. Fixkosten, die den Kliniken entstehen, weil sie bestimmte Strukturen zur Versorgung bereithalten, würden künftig gedeckt.
Welche Versorgung die Kliniken anbieten, sollen Leistungsgruppen festlegen. „Die Zuordnung soll nach dem jetzigen Entwurf durch die Bundesländer erfolgen und auch regionale Besonderheiten berücksichtigen können. Außerdem soll die Vernetzung von Einrichtungen gefördert werden“, erklärt Ute Emig-Lange, Sprecherin der BBT-Gruppe Region Tauberfranken-Hohenlohe, zu der unter anderem das Caritas-Krankenhaus in Bad Mergentheim und das Krankenhaus Tauberbischofsheim gehören.
Wird die Krankenhausreform das Kliniksterben aufhalten?
„Bisher gibt es noch immer keinen Referentenentwurf für das erforderliche Bundesgesetz zur Krankenhausstrukturreform. Das einzig Greifbare, das vorliegt, ist ein fortgeschriebenes, in zentralen Punkten aber in sich widersprüchliches Eckpunktepapier aus dem Bundesgesundheitsministerium. Auf dieser Basis eine verlässliche Bewertung abzugeben, ist definitiv nicht möglich“, sagt der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises Achim Brötel unter dessen Trägerschaft die Neckar-Odenwald-Kliniken in Buchen und Mosbach stehen. Der Bund habe seinen Zeitplan mehrfach gestreckt, so Brötel. „Für mich zeigt das, dass die Reform, die ja durchaus einen guten Ausgangspunkt hat, in zentralen Fragen einfach nicht zu Ende gedacht war und deshalb nachgearbeitet werden muss.“
Auch die Verantwortlichen der BBT-Gruppe erwarten weitere Veränderungen am Entwurf während der parlamentarischen Debatte. „Ob das Gesetz – wie ursprünglich von Herrn Lauterbach geplant – Anfang 2024 in Kraft treten kann, ist momentan nicht abzusehen“, äußert Emig-Lange. Folge sei eine lange Übergangsphase bis einzelne Teile der Reform wirksam werden könnten. „Die Krankenhäuser befinden sich aber aktuell in einer prekären wirtschaftlichen Lage: Hauptursachen sind die Preissteigerungen bei den Sachkosten wie Energie, Lebensmittel oder medizinische Materialien“, verdeutlicht die Klinik-Sprecherin.
Anders als Unternehmen aus anderen Branchen, sei es für die Krankenhäuser nicht möglich, Kosten an die Verbraucher weiterzugeben, weil die Preise durch die Fallpauschalen im Voraus für das ganze Jahr festgelegt und gedeckelt seien. In Baden-Württemberg betrage diese Steigerung 2023 auf der Einnahmenseite gerade mal 4,3 Prozent. Die Ausgaben der Krankenhäuser stiegen dagegen im zweistelligen Prozentbereich. „Dazu kommen die Tarifsteigerungen für die Mitarbeitenden in unseren Krankenhäusern. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben öffnet sich somit immer schneller und immer weiter.“
Lauterbach spricht von einer „Existenzgarantie für kleine Kliniken auf dem Land“. Wie sicher sind die Standorte in der Region?
Brötel verweist hier auf das Wörtchen „auch“ in Lauterbachs Aussage. „Abgesehen davon, dass er diese Äußerung explizit auf Ostdeutschland bezogen hat, wird sie aber auch nur dann zutreffend sein, wenn erstens der Bund in seinem Gesetzentwurf den kleinen Kliniken auf dem Land überhaupt die strukturellen Möglichkeiten einräumt, um das notwendige medizinische Leistungsspektrum weiterhin anbieten zu können, und zweitens das Land Baden-Württemberg auf dieser Basis dann die entsprechenden Leistungsgruppen an das betreffende Krankenhaus zuweist.“
Tendenziell sei die Reform aber offenkundig nicht auf den Erhalt kleiner Häuser, sondern auf das Gegenteil davon angelegt. „Das ergibt sich schon daraus, dass die finanziellen Mittel auf dem jetzigen Stand gedeckelt werden sollen. Ein solches System, das den Anspruch erhebt, dass es gerade den kleinen Krankenhäusern anschließend besser geht als jetzt, kann nach den Gesetzen der Logik nur dann funktionieren, wenn deutlich weniger Häuser in den Topf hineingreifen als bisher.“ Die Reform sei dementsprechend auf eine weitere Zentralisierung und eine Verringerung der Zahl der Krankenhäuser angelegt.
Die Kliniken sollen sich stärker spezialisieren. Welche Auswirkungen wird das auf die Häuser in der Region haben?
„Schon jetzt bieten die Krankenhäuser der BBT-Gruppe in der Region ein über die Grundversorgung in Chirurgie und Inneren Medizin hinausgehendes medizinisches Leistungsspektrum an. Dazu gehören im Krankenhaus Tauberbischofsheim zum Beispiel das umfassende Angebot der Psychiatrie, psychosomatischen Medizin und Psychotherapie sowie der Geriatrie und der konservativen Orthopädie mit Schmerztherapie. Das Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim als zentralversorgendes Krankenhaus verfügt über ein sehr breites Behandlungsspektrum mit großer Spezialisierung in nahezu allen Fachbereichen. Eine große zentrale Notaufnahme steht rund um die Uhr bereit und wird im kommenden Jahr weiter ausgebaut.
„Wir gehen davon aus, dass unser Versorgungskonzept passend für die Bedarfe in der Region ist und weiterhin Unterstützung finden wird. Die Forderungen haben wir aufgegriffen und setzen sie bereits um. Hierfür arbeiten seit mehreren Jahren die drei BBT-Krankenhäuser in der Region eng zusammen“, erläutert Emig-Lange. Ergänzt durch Medizinische Versorgungszentren, Seniorenheime und Bildungszentren habe die BBT-Gruppe in der Region bereits Strukturen geschaffen, um eine vernetzte medizinisch-pflegerische Versorgung über verschiedene Bereiche hinweg zu organisieren.
Noch sei unklar, für welche Leistungsgruppen das Hardheimer Krankenhaus in Frage komme, erklärte Verwaltungsleiter Lothar Beger kürzlich bei einer Versammlung des Freundes- und Förderkreises „Unser Krankenhaus“. „Ich gehe aber davon aus, dass wir weiterhin unsere wichtigsten Operationen durchführen dürfen.“ Die Fachrichtungen Innere, Chirurgie und Gynäkologie sollten auf jeden Fall erhalten werden. Wahrscheinlich werde Hardheim als „Level 1i“-Haus eingruppiert, laut Definition als „sektorenübergreifender Versorger“ ein „bettenführendes Primärversorgungszentrum“, das stationäre Leistungen der interdisziplinären Grundversorgung wohnortnah mit ambulanten fach- und hausärztlichen Leistungen verbindet und sich durch eine enge Zusammenarbeit mit weiteren Berufsgruppen im Bereich der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung auszeichnet. Dabei gebe es vielversprechende Überschneidungen zwischen den Reformplänen des Bundes und den Ideen der Krankenhausverwaltung zur zukunftssicheren Neuausrichtung des Hauses.
Das Eckpunktepapier sieht eine Abkehr von den Fallpauschalen hin zu einem Vorhaltebudget vor. Wird das mehr Handlungsspielraum ermöglichen?
„Richtig ist es, das Fallpauschalensystem in entscheidenden Punkten zu modifizieren. Noch besser wäre es aber, es gleich ganz abzuschaffen. Krankenhäuser sind nämlich keine Wirtschaftsunternehmen, sondern unverzichtbare Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Deshalb geht die angedachte Einführung einer Vorhaltevergütung in die richtige Richtung“, bewertet Brötel den Entwurf.
In der BBT-Gruppe begrüßt man die Abkehr von den Fallpauschalen hin zum geplanten Vorhaltebudget. „Ausgebildetes Fachpersonal, hochwertige Medizintechnik, Labor und Diagnostik müssen rund um die Uhr bereitstehen. Die Kosten für diese Vorhaltung müssen bei der Finanzierung stärker berücksichtigt werden, daher ist das der richtige Ansatz. Wermutstropfen ist allerdings, dass wir die Effekte daraus frühestens im Jahr 2025 spüren werden. Zwischenzeitlich lässt man die Krankenhäuser mit existenziellen Risiken allein“, so Emig-Lange. Außerdem sei bislang nicht klar, was unter Vorhaltekosten zu verstehen ist. „Im Krankenhaus halten wir komplexe diagnostische, therapeutische und organisatorische Strukturen vor. Dazu gehört weit mehr als einzelne Abteilungen wie die Notaufnahme oder die Stroke Unit für Schlaganfälle“, führt Emig-Lange aus.
Generalhandlungsbevollmächtiger Mark Boddenberg beurteilt die Reform vom Grundsatz her positiv. „Die Schwerpunkte, welche die Reform hat, sind die richtigen: Konzentration, mehr ambulante Versorgung und die Vorhaltepauschale, die den Kliniken unabhängig vom Patientenaufkommen, der Liegezeit und den Diagnosen eine Pauschale für das Bereitstellen bestimmter Leistungen garantiert. Das funktioniert und wird den kleineren Häusern helfen. Das System wird angepasst, auch um den Kliniken im ländlichen Bereich zu helfen. Es braucht allerdings Zeit, bis es greift.“
Soforthilfen sind bisher nicht angedacht. Wie bewerten die Krankenhausverantwortlichen den Verzicht auf Soforthilfen?
„Wenn man das bisherige Agieren von Bundesminister Lauterbach sieht, muss man den Eindruck gewinnen, als ob der Minister ein unkontrolliertes Krankenhaussterben zumindest billigend in Kauf nimmt“, konstatiert Landrat Brötel im Hinblick auf zahlreiche Krankenhaus-Insolvenzen. „Weitere werden in immer kürzeren Abständen folgen, weil die Träger schlicht die Liquidität nicht mehr sicherstellen können. Und: Dazu gehören nicht nur kleine Häuser auf dem Land. In meinen Augen ist es deshalb grob verantwortungslos, eine Soforthilfe achselzuckend abzulehnen“, verdeutlicht Brötel. Wer so handle, riskiere eine Reform auf dem kalten Weg und zulasten der Bevölkerung. „Ein Krankenhaus, das einmal geschlossen wurde, wird nämlich nicht wiedereröffnet werden, wenn die Reform irgendwann einmal greift.“
Emig-Lange: „Krankenhäuser brauchen jetzt ein Gesetz, das vor die große Krankenhausreform geschaltet ist, und das einen fairen Ausgleich für die massiv gestiegen Personal- und Sachkosten schafft. Die Politik muss für einen vollständigen Inflationsausgleich sorgen, sonst werden viele Krankenhäuser die geplante Reform nicht mehr erleben. Da die Bundespolitik dieses Vorschaltgesetz trotz lauter Proteste bisher abgelehnt hat, wird das Kliniksterben weitergehen. Das hat Herr Lauterbach selbst ja auch schon eingeräumt. Welche Auswirkungen die Reform dann auf die noch verbleibenden Kliniken haben wird, lässt sich jetzt nicht sicher abschätzen.
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