Wirtschaft - Schwedischer Konzern erwirbt Reicholzheimer Hightech-Unternehmen / Jochen Kleinertz: „Werden eigenständige Einheit bleiben“

Reicholzheim: Hightech-Firma ATG für 105 Millionen Euro verkauft

105 Millionen Euro legt das schwedische Unternehmen Mycronic auf den Tisch, um die Reicholzheimer Hightech-Firma ATG Luther & Maelzer zu erwerben. Im Taubertal hofft man auf langfristige Investitionen.

Von 
Gerd Weimer
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Der Unternehmenssitz von ATG Luther& Maelzer in Reicholzheim. Die globalen Geschäfte sollen auch nach dem Verkauf von hier aus gesteuert werden. © Elisa Katt

Reicholzheim. Das Reicholzheimer Technologieunternehmen ATG Luther & Maelzer hat einen neuen Eigentümer. Wie verschiedenen Pressemitteilungen zu entnehmen ist, veräußerte die US-amerikanische Firma Cohu 100 Prozent der Anteile an das schwedische Unternehmen Mycronic. Kaufpreis: gut 105 Millionen Euro.

Sieht Vorteile nach dem Verkauf: ATG-Chef Jochen Kleinertz. © ATG

Das Geschäft ging schon im Mai über die Bühne und wird am 24. Juni rechtskräftig. Die Kaufsumme wird bar bezahlt. Cohu zieht sich damit komplett aus dem Geschäftsfeld der Leiterplattenprüfung zurück. Über die Gründe für den Ausstieg machte das kalifornische Unternehmen keine näheren Angaben.

Die Bündelung der Kräfte mit Mycronic ergebe größere Chancen für den zukünftigen Erfolg in dem Marktsegment. Cohu wolle sich auf das Geschäft mit Halbleiterausrüstung und Dienstleistungen konzentrieren, hieß es lediglich in einer Pressemitteilung. Das Geschäftsfeld machte bei Cohu, wie den Finanzberichten der Kaliformier zu entnehmen ist, nur wenige Prozente des Gesamtumsatzes aus.

Wachstumsmarkt

Die Schweden wollen mit dem Erwerb der ATG vom Boom im Markt der Leiterplattenherstellung profitieren. Der entwickle sich gut und werde in den nächsten Jahren voraussichtlich weiter wachsen. „Die Übernahme von ATG erweitert unser Angebot und schafft eine Plattform für elektronische Testsysteme“, wird Mycronic-Chef Anders Lindqvist in einer Pressemitteilung zitiert.

Sein Unternehmen werde dadurch gestärkt. Man wolle mit der Einheit „Global Technologies“, in die der Reicholzheimer Betrieb integriert werden soll, in Marktnischen erfolgreich sein, die das Potenzial haben, schneller zu wachsen als der Gesamtmarkt, sagte er demnach.

Hintergrund: Eigentümerwechsel bei ATG Luther & Maelzer

Die Wurzeln des Reicholzheimer Unternehmens ATG Luther & Maelzer reichen 50 Jahre zurück. Manfred Prokopp gründete die Firma 1979 mit Partner Günther Schmitt. Die Produktion der ersten Leiterplattenprüfanlage fand in einer Garage statt.

Von 1997 bis 2003 war das Unternehmen in den Händen der US-amerikanischen Konzerns Dover Corporation. In dieser Zeit fusionierte ATG mit Luther & Maelzer, das 1972 bei Hannover gegründet worden war.

2013 wurde ATG Luther & Maelzer von dem US-amerikanischen Unternehmen Xcerra Corp übernommen.

Fünf Jahre später erfolgte der Verkauf an Cohu. Die Kalifornier veräußerten das Reicholzheimer Unternehmen jetzt an Mycronic mit Sitz im schwedischen Stockholm. wei

Mycronic ist nach eigenen Angaben bereits seit mehr als 40 Jahren in der Elektronikbranche tätig. Die Schweden verstehen sich als „globale Organisation“ mit Tochtergesellschaften und Händlern unterstütze man die Branchenführer in mehr als 50 Ländern, heißt es.

Man sei Partner von Elektronik- und Displayherstellern weltweit. Führende Unternehmen der Oberflächenmontagetechnik, der Halbleiter- und Automobilindustrie nutzten die Mycronic-Produkte sowie die „Dienstleistungen und Lösungen zur Entwicklung der zukünftigen Elektronik – von hochmodernen Displays über lebensrettende medizinische Implantate bis hin zur nächsten Generation von Satelliten“.

Keine Umstrukturierung

Mycronic beschäftigt gut 1500 Mitarbeiter weltweit und erwirtschaftete im vergangenen Jahr etwa 380 Millionen Euro Umsatz. Das Jahresergebnis (vor Steuern) betrug 87 Millionen Euro.

Für die ATG in Reicholzheim ist der Meilenstein ein weiterer von vielen in den vergangenen Jahrzehnten. Die Gesellschafter haben seit der Gründung Ende der 70er Jahre mehrfach gewechselt (siehe Hintergrund). Allerdings hofft man im Taubertal diesbezüglich auf etwas ruhigere Zeiten: Bei den bisherigen Muttergesellschaften war man eher strategisches Beiwerk. Cohu beispielsweise war hauptsächlich in der Branche der Halbleiterprüfung unterwegs, während die ATG sich auf die Tests von unbestückten Halbleiterplatten spezialisiert hat.

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„Wir werden weiterhin eine eigenständige Einheit bleiben und die globalen Geschäfte von Reicholzheim aus steuern“, sagte ATG-Chef Jochen Kleinertz auf FN-Anfrage. Der Eigentümerwechsel werde nicht mit einer Umstrukturierung verbunden sein. Er erwarte vielmehr, „dass die Schweden langfristig in uns investieren“. Der „ordentliche Kaufpreis“ sei ein Indiz dafür. ATG beschäftigt derzeit insgesamt 190 Mitarbeiter, 90 davon arbeiten in Reicholzheim.

44 Millionen Euro Umsatz

Nach Kleinertz Angaben erwirtschaftete die ATG Luther & Maelzer 2020 rund 44 Millionen Euro Umsatzerlöse. Der Gewinn nach Steuern belief sich demnach auf 4,8 Millionen Euro. Darin nicht enthalten sind Umsatz und Gewinne der ausländischen Einheiten (in den USA, China, Taiwan). Kleinertz zufolge ist das Reicholzheimer High-Tech-Unternehmen Weltmarktführer bei der Entwicklung und Produktion von sogenannten „Fingertestsystemen“ für Leiterplatten. Kunden seien unter anderem Samsung und Cisco, ein Anbieter von Kommunikationssystemen. Auch das chinesische Unternehmen Foxconn, in dessen Werken beispielsweise zahlreiche Apple-Produkte hergestellt werden, gehört zu den Abnehmern.

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