Messe von Rossini

Proben des Projektchors lassen Wertheimer Straßen erklingen

34 Sängerinnen und Sänger bereiten mit Bezirkskantor Carsten Wiedemann-Hohl Aufführung am 12. November in der Stiftskirche vor

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Kai Grottenthaler
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Wertheim. Schon von weitem sind die choralen Klänge zu vernehmen. – An jedem Mittwochabend in den Straßen rund um den Wertheimer Stiftshof. Dort probt der Projektchor für sein neues Vorhaben: Die „Petite Messe solennelle“ von Gioachino Rossini.

Lehrer, Entertainer, Dompteur: Bezirkskantor Carsten Wiedemann-Hohl hat auch an diesem Abend gleich mehrere Rollen inne. In erster Linie aber ist er Chorleiter. Zu später Stunde versucht er die 34 Sängerinnen und Sänger zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Das ist, aus Sicht eines Amateurs gesprochen, an diesem Abend nicht immer ein leichtes Unterfangen. Das sollte aber auch nicht weiter verwunderlich sein, wenn man bedenkt, dass es sich doch erst um die zweite Zusammenkunft des in voller Stärke rund 50-köpfigen Ensembles handelte.

Die „Petite Messe solennelle“ von Gioachino Rossini

Die „Petite Messe solennelle“ ist eine Messvertonung von Gioachino Rossini (1792 bis 1868). Sie gilt als das bedeutendste Werk der letzten Arbeitsphase Rossinis und als eine seiner wichtigsten geistlichen Kompositionen.

Entstehungsjahr der Messe ist 1863. Es handelt sich um eine Auftragskomposition für den Comte Alexis Pillet-Will und dessen Frau Louise Pillet-Will, der das Werk gewidmet ist.

Die ungewöhnliche Besetzung der Messe für Singstimmen, zwei Klaviere und Harmonium steht in der neapolitanischen Cembalo-Tradition des 18. Jahrhunderts.

Drei Jahre nach der Komposition arbeitete Rossini auch noch eine Orchesterfassung aus – hauptsächlich aus der Sorge heraus, die Messe könnte nach seinem Tode durch die anderweitige Bearbeitung entstellt werden. kg

Fast alle Sänger sind als Mitglieder des Stifts- oder des Projektchors mit den Herausforderungen und Abläufen bei einem solchen Vorhaben vertraut. Manche waren sogar schon vor 19 Jahren dabei, als die Messe zum ersten Mal in Wertheim aufgeführt wurde. Nun bleiben noch vier Monate Zeit, bis jeder Ton sitzen sollte: Am 12. November findet die Aufführung in der Stiftskirche statt.

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„Ist der Bass noch aufnahmefähig?“ Mit etwas strengem Blick ruft der Dirigent um 21.30 Uhr die hintere Reihe zur Ordnung. Nach zwei Stunden intensiver Probe schwindet bei manchem Choristen langsam die Aufmerksamkeit. Doch auch gegen Ende muss noch Disziplin herrschen. Ohne die würde ein solches Projekt nicht erfolgreich zu stemmen sein. Schon der griechische Dichter Hesiod wusste: Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt.

Zunächst probt der Chor in geschlechtergetrennten Gruppen, um sich an das Werk heranzutasten: Die kleinere Herrengruppe unter der Leitung von Carsten Wiedemann-Hohl; die Bronnbacher Organistin Regina Oetzel coacht den zahlenmäßig deutlich überlegenen weiblichen Part. In der zweiten Hälfte des Abends übt der Chor dann gemeinsam. Wobei das eigentlich falsch ausgedrückt ist. Denn die Treffen am Mittwoch sollen eigentlich nicht dem Üben dienen. „Übt das zuhause!“, fordert der Kantor seine Schützlinge gelegentlich auf.

Individuell unterstützen können dabei auch „practice-Videos“ im Internet, auf denen die einzelnen Stimmen eingespielt worden sind. Im Herbst werden dann die beiden Instrumentalisten Carsten Klomp (Klavier) und sein Student Paul Tarling (Harmonium) zum Projektchor dazustoßen.

Die Freude am gemeinsamen Singen steht für alle im Vordergrund – auch für den Dirigenten. Der hat aber auch seine Ansprüche. Die italienische Komposition aus der Romantik „hat durchaus ihre Schwierigkeiten“, erklärt Wiedemann-Hohl. Dazu gehören schnelle Läufe und hohe Töne. Tenöre müssen bis zum A nach oben. Gleichzeitig sei die Inszenierung jedoch auch „lustig, spritzig und durchsetzt von opernhaften Gesten.“ Und damit das Gegenteil von dem, was man unter Kirchenmusik vermutet.

Mit Rossini füllt sich auch für den Chorleiter eine Lücke: Es sei „ein Stück, das ich schon länger mal machen wollte.“ In Studienzeiten habe er selbst zu Rossini auf dem Harmonium gespielt. „Das jetzt als Dirigent zu erleben, ist sehr interessant“, so Wiedemann-Hohl. Nach den Händel-Werken „Brockes-Passion“ und „Messias“ ist Rossinis Messe sein drittes großes Projekt in Wertheim. Mit der Erfahrung von über 15 derartigen Konzerten erläutert er seine Motivation: „Es soll etwas für die Gemeinde, für die Menschen sein.“

Keine Elite-Veranstaltung

Dabei legt der Chorleiter Wert auf ein niederschwelliges Angebot. Mitmachen kann eigentlich jeder. „Das hier ist keine Elite-Veranstaltung. Wer singen kann und singen mag, ist hier genau richtig“, erklärt er. Notenkenntnis sei aufgrund der Herausforderungen des Stücks aber sehr empfehlenswert.

Der Chor ist nicht nur altersmäßig bunt gemischt. Frauen stellen zwar die Mehrheit, doch auch acht Männer sind an diesem Abend anwesend. Wünschenswert wären noch zehn Männer mehr. Die Hoffnung auf männlichen Zuwachs hat Wiedemann-Hohl noch nicht ganz aufgegeben: „Wer einsteigen will, muss aber sehr bald kommen.“ Gefährdet sei das Projekt aber auch ohne weiteren Zuwachs nicht: „Wir kriegen es auch so gut hin.“

Mindestens von Vorteil, wahrscheinlich sogar Voraussetzung für ein gutes Ergebnis ist eine positive Atmosphäre. Die Stimmung ist gut, es wird konzentriert gearbeitet. Auch ein kleiner Witz darf mal sein, gemeinsam wird viel gelacht. Etwa wenn der Leiter dem Sopran seine Vorstellungen des gut gesungenen „Ky-ri-e“ mit Löwenlauten näherbringen möchte. „Heute klingt es zu viel nach Schmerz“, merkt er kritisch, aber wohlwollend an. Akribie ist im Chor ebenso notwendig wie Ausdauer. So richtig zufrieden ist er nicht: „Wir machen ausnahmsweise noch ein bisschen länger“, verkündet er um 21.30 Uhr. Eine Viertelstunde halten alle noch durch.

Die meisten Sänger haben bereits Erfahrungen mit Projekten dieser Art gesammelt. Dazu gehört auch Simon Hame aus Kreuzwertheim, der regelmäßig in einem Schulchor in Marktheidenfeld singt. Nach „Messias“ ist es sein zweites Projekt in Wertheim: „Das hier ist eine tolle und große Herausforderung, die uns auch mal an die Grenzen bringt.“

Ebenso projektmäßig singt Doris Szabo im Wertheimer Chor mit. Sie ist auch im Kirchenchor in Kreuzwertheim aktiv. „Das ist ein echtes Klangerlebnis“, freut sie sich über die Größe des Chors. Begeistert ist sie zudem darüber, dass auch junge Leute – wie etwa frisch gebackene Abiturientinnen – dabei sind.

„Gehirnjogging“

Nachdem sich der Kirchenchor in Nassig kurz vor Corona wegen einer fehlenden Leitung aufgelöst hat, hat sich Birgit Mohr vor einem Jahr dem Wertheimer Chor angeschlossen. Das aktuelle Projekt empfinde sie als sehr spannend. Eine andere Teilnehmerin sieht in dem gemeinsamen Singen auch ein „gutes Gehirnjogging“. Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass sich Singen im Chor gerade im Alter positiv auf Körper und Geist auswirkt, zeigt sich auch an diesem Abend.

Und so wird auch am nächsten Mittwoch wieder Rossinis Musik die Gassen rund um den Stiftshof erfüllen. Mit Ausnahme einer kurzen Sommerpause geht das bis Mitte November so weiter. Bis die vier Monate Vorbereitung dann in der großen Aufführung münden werden. Die allerdings dauert dann nur eineinhalb Stunden.

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